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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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edelste all unsrer Feinde, ein Mensch, wie ihn die ganze Menschheit braucht!'
Ruft's und gibt ihm die Bahn frei zu den Seinenl"

"Kurios!"

"Nicht wahr, meine Herren, kurios und beinahe wunderbar? Aber dergleichen
kommt vor -- auch ohne jegliches Verdienst."

Zurück vom Obristen traf Marwitz vor dem Leutnantsquartier auf Veit, der
eben seinen Zug Husaren satteln ließ.

"Wir müssen uns früher irgendwo begegnet sein", sprach er ihn an.

"Ich hatte noch nicht die Ehre, Herr von der Marwitz", erwiderte Veit nicht
ohne Befangenheit.

"Doch! Ihre Züge kommen mir eigentümlich bekannt vor. Warten Sie --
wo war das doch? ... In Berlin etwa, im Salon der Rahel Lewin?"

"In der Tat, ich kenne die Demoiselle Lewin recht gut."

"El, sehen Sie wohl, und ich selbst darf mich zu ihren treuesten Freunden
rechnen."

Veit lächelte verbindlich, hatte aber Eile, sich bei seinem Eskadronchef
abzumelden.

Inzwischen war auch Gerlach vor die Tür getreten, klopfte Marwitz' schönem
Pferde den Hals und schwatzte noch ein wenig.

"Dieser blutjunge Offizier, der da auf Feldwache zieht," unterbrach ihn
Marwitz zerstreut, "was mag den zur Armee getrieben haben? Scheint er doch
kaum siebzehn Jahre alt. Auch so ein braver Junker, der für die Sache der
Freiheit seinen Cicero mit dem Säbel vertauschte?"

"Leutnant Veit nennt er sich und ist ein Prachtkerl. Niemand weiß so recht,
woher der Wind ihn geweht -- vielleicht -- vielleicht gar aus einem Jung¬
fräulein-Stift."

"Wie? Soll das mehr sein als ein Lagerscherz?"

"Im Ernst, doch entre nous: es schwören viele drauf, daß Leutnant Veit
ein Mädchen sei, eines vom kühnen Schlage jener Lenore Prohaska, die als
Lützowscher Jäger fiel."

"Wenn dem wirklich so wäre." sagte Marwitz streng, "so hätte jeder Soldat
das Recht verwirkt, es auch nur von ferne zu vermuten. Alle Ehre solch einer
NaturI Respekt vor dem Leutnant Veit als unsrem Kameraden und sonst kein
Wort mehr in dieser Sache!"

Er reichte die Hand vom Pferd herab, und Gerlach schlug ein.

Nach wenigen Minuten war Leutnant Veit wieder bei seinem marschfertigen
Zuge. Jetzt ritt er auf Marwitz mit einem Ausdruck froher Entschlossenheit zu:

"Wenn Sie ohne Aufenthalt zurück wollen zu Ihrem Stäbe, Herr von der
Marwitz, so haben wir eine Strecke gleichen Weges. Darf ich mir das Vergnügen
machen, Sie bis zu meinem Posten zu begleiten?""

"Nichts Angenehmeres könnte mir geschehen, Herr Kamerad.

So ritten sie ab, an der Spitze des Zuges, in westlicher Richtung auf
Chateau Thierry zu. >

Der Nebel zerteilte sich; dafür fielen Regenschauer und Schneeflocken, die
schon in der Luft zerschmolzen und vom Südwestwind den Reitern ins Gesicht
getrieben wurden. Am Feldrain tauchte mitunter ein Bauer mit seinem Karren


edelste all unsrer Feinde, ein Mensch, wie ihn die ganze Menschheit braucht!'
Ruft's und gibt ihm die Bahn frei zu den Seinenl"

„Kurios!"

„Nicht wahr, meine Herren, kurios und beinahe wunderbar? Aber dergleichen
kommt vor — auch ohne jegliches Verdienst."

Zurück vom Obristen traf Marwitz vor dem Leutnantsquartier auf Veit, der
eben seinen Zug Husaren satteln ließ.

„Wir müssen uns früher irgendwo begegnet sein", sprach er ihn an.

„Ich hatte noch nicht die Ehre, Herr von der Marwitz", erwiderte Veit nicht
ohne Befangenheit.

„Doch! Ihre Züge kommen mir eigentümlich bekannt vor. Warten Sie —
wo war das doch? ... In Berlin etwa, im Salon der Rahel Lewin?"

„In der Tat, ich kenne die Demoiselle Lewin recht gut."

„El, sehen Sie wohl, und ich selbst darf mich zu ihren treuesten Freunden
rechnen."

Veit lächelte verbindlich, hatte aber Eile, sich bei seinem Eskadronchef
abzumelden.

Inzwischen war auch Gerlach vor die Tür getreten, klopfte Marwitz' schönem
Pferde den Hals und schwatzte noch ein wenig.

„Dieser blutjunge Offizier, der da auf Feldwache zieht," unterbrach ihn
Marwitz zerstreut, „was mag den zur Armee getrieben haben? Scheint er doch
kaum siebzehn Jahre alt. Auch so ein braver Junker, der für die Sache der
Freiheit seinen Cicero mit dem Säbel vertauschte?"

„Leutnant Veit nennt er sich und ist ein Prachtkerl. Niemand weiß so recht,
woher der Wind ihn geweht — vielleicht — vielleicht gar aus einem Jung¬
fräulein-Stift."

„Wie? Soll das mehr sein als ein Lagerscherz?"

„Im Ernst, doch entre nous: es schwören viele drauf, daß Leutnant Veit
ein Mädchen sei, eines vom kühnen Schlage jener Lenore Prohaska, die als
Lützowscher Jäger fiel."

„Wenn dem wirklich so wäre." sagte Marwitz streng, „so hätte jeder Soldat
das Recht verwirkt, es auch nur von ferne zu vermuten. Alle Ehre solch einer
NaturI Respekt vor dem Leutnant Veit als unsrem Kameraden und sonst kein
Wort mehr in dieser Sache!"

Er reichte die Hand vom Pferd herab, und Gerlach schlug ein.

Nach wenigen Minuten war Leutnant Veit wieder bei seinem marschfertigen
Zuge. Jetzt ritt er auf Marwitz mit einem Ausdruck froher Entschlossenheit zu:

„Wenn Sie ohne Aufenthalt zurück wollen zu Ihrem Stäbe, Herr von der
Marwitz, so haben wir eine Strecke gleichen Weges. Darf ich mir das Vergnügen
machen, Sie bis zu meinem Posten zu begleiten?""

„Nichts Angenehmeres könnte mir geschehen, Herr Kamerad.

So ritten sie ab, an der Spitze des Zuges, in westlicher Richtung auf
Chateau Thierry zu. >

Der Nebel zerteilte sich; dafür fielen Regenschauer und Schneeflocken, die
schon in der Luft zerschmolzen und vom Südwestwind den Reitern ins Gesicht
getrieben wurden. Am Feldrain tauchte mitunter ein Bauer mit seinem Karren


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[0639] edelste all unsrer Feinde, ein Mensch, wie ihn die ganze Menschheit braucht!' Ruft's und gibt ihm die Bahn frei zu den Seinenl" „Kurios!" „Nicht wahr, meine Herren, kurios und beinahe wunderbar? Aber dergleichen kommt vor — auch ohne jegliches Verdienst." Zurück vom Obristen traf Marwitz vor dem Leutnantsquartier auf Veit, der eben seinen Zug Husaren satteln ließ. „Wir müssen uns früher irgendwo begegnet sein", sprach er ihn an. „Ich hatte noch nicht die Ehre, Herr von der Marwitz", erwiderte Veit nicht ohne Befangenheit. „Doch! Ihre Züge kommen mir eigentümlich bekannt vor. Warten Sie — wo war das doch? ... In Berlin etwa, im Salon der Rahel Lewin?" „In der Tat, ich kenne die Demoiselle Lewin recht gut." „El, sehen Sie wohl, und ich selbst darf mich zu ihren treuesten Freunden rechnen." Veit lächelte verbindlich, hatte aber Eile, sich bei seinem Eskadronchef abzumelden. Inzwischen war auch Gerlach vor die Tür getreten, klopfte Marwitz' schönem Pferde den Hals und schwatzte noch ein wenig. „Dieser blutjunge Offizier, der da auf Feldwache zieht," unterbrach ihn Marwitz zerstreut, „was mag den zur Armee getrieben haben? Scheint er doch kaum siebzehn Jahre alt. Auch so ein braver Junker, der für die Sache der Freiheit seinen Cicero mit dem Säbel vertauschte?" „Leutnant Veit nennt er sich und ist ein Prachtkerl. Niemand weiß so recht, woher der Wind ihn geweht — vielleicht — vielleicht gar aus einem Jung¬ fräulein-Stift." „Wie? Soll das mehr sein als ein Lagerscherz?" „Im Ernst, doch entre nous: es schwören viele drauf, daß Leutnant Veit ein Mädchen sei, eines vom kühnen Schlage jener Lenore Prohaska, die als Lützowscher Jäger fiel." „Wenn dem wirklich so wäre." sagte Marwitz streng, „so hätte jeder Soldat das Recht verwirkt, es auch nur von ferne zu vermuten. Alle Ehre solch einer NaturI Respekt vor dem Leutnant Veit als unsrem Kameraden und sonst kein Wort mehr in dieser Sache!" Er reichte die Hand vom Pferd herab, und Gerlach schlug ein. Nach wenigen Minuten war Leutnant Veit wieder bei seinem marschfertigen Zuge. Jetzt ritt er auf Marwitz mit einem Ausdruck froher Entschlossenheit zu: „Wenn Sie ohne Aufenthalt zurück wollen zu Ihrem Stäbe, Herr von der Marwitz, so haben wir eine Strecke gleichen Weges. Darf ich mir das Vergnügen machen, Sie bis zu meinem Posten zu begleiten?"" „Nichts Angenehmeres könnte mir geschehen, Herr Kamerad. So ritten sie ab, an der Spitze des Zuges, in westlicher Richtung auf Chateau Thierry zu. > Der Nebel zerteilte sich; dafür fielen Regenschauer und Schneeflocken, die schon in der Luft zerschmolzen und vom Südwestwind den Reitern ins Gesicht getrieben wurden. Am Feldrain tauchte mitunter ein Bauer mit seinem Karren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/639>, abgerufen am 23.07.2024.