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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Marwitz

seinen Trott wie ehedem. Das alte Jahrhundert, sein Sinn und sein Ton, ist
geblieben!"

"L'est w Zuerrel" bemerkte entschuldigend Leutnant von Gerlach. Ebenso
wie Veit war er als Freiwilliger mitgezogen.

"Ja, o'est Iz Zuerre! und nichts für ungut, Kamerad Veit I" Diesmal klang
der rauhe Bierbaß beinahe ritterlich.

Draußen kam jemand durch die Pfützen herangetrabt, hielt vor der Tür und
holte sich Auskunft. Gleich darauf stand er auch schon vor dem Tisch der Spieler:
eine gebieterische Erscheinung, stolz und strahlend wie ein junger Kriegsgott. - Er
grüßte militärisch kurz und streckte dem Leutnant von Gerlach die Hand entgegen.

"Marwitzl" rief dieser überrascht. "Hol' mich der und jener! Wo kommen
Sie her?"

"Von meinem Kommando, dem Generalstab der ersten Brigade, mit Order
an Ihren Obristen."

"Das ist nämlich Herr Alexander von der Marwitz, vom Regiment Gendarmes",
stellte Gerlach vor.

Die Offiziere verbeugten sich gleichgültig und steif, nur Leutnant Veit trat
unwillkürlich einige Schritte vor, besann sich und errötete. Alexander von der
Marwitz sah ihn groß an, hatte eine Frage auf den Lippen, ward aber durch
Gerlach unterbrochen, der ihn ganz für sich in Anspruch nahm.

Lange hielt er sich nicht auf, mit einem vielsagenden Blick auf die Würfel
und Branntweinflaschen verabschiedete er sich, den Obristen aufzusuchen.

"Ein Herr von der Marwitz? Wer ist das? Adel aus Brandenburg?"

"Aus Brandenburg?" lachte Gerlach. "Weit mehr als das! Adel aus
Genieland I"

"Gar ein Prinz mit Inkognito?"

"Höher hinauf! Nämlich der Marwitz schlechtweg, der ganze, der einzige
Alexander von der Marwitz! Aber freilich die schlesischen Garnisonen wissen nichts
von ihm."

"Nennen Sie uns seine Verdienste, und wir stehen beschämt."

"Verdienste? Ein armer Referendarius aus Potsdam ist er, Kollega von mir
bei der Regierung, ein obskurer Leutnant aus drei Kriegen, ein Landmann und
ein Philosoph, aber Freund und Gefährte unsrer Besten. Kein andres Verdienst
als seine große Seele!"

"O weh, geht es da hinaus? Wohl gar vom Tugendbund? Lieber Gerlach,
damit lockt er keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor!"

"Ums Locken ist's ihm auch wahrhaftig nicht zu tun, sondern er ist, wie
einer sein nutz." Das rief der junge Veit dazwischen; seine Augen blitzten, seine
Stimme bebte vor unterdrückten: Enthusiasmus.

"Hallo, Herr Bruder, kennen Sie ihn auch?" neckten die Zweifler, doch Veit
war sporenklingend schon zur Tür hinaus.

Gerlach antwortete an seiner Statt:

"Wer kennt ihn nicht! Bei Coswig ist er letzten Sommer mit polnischen
Lanzenreitern ins Gedränge geraten. Und wie sie ihn schon vom Pferde reißen
wollen, sprengt der General von Szymanowski auf seine Kerle los und brüllt sie
an: .Was tut ihr! Hände weg! Das ist der Alexander von der Marwitz, der


Marwitz

seinen Trott wie ehedem. Das alte Jahrhundert, sein Sinn und sein Ton, ist
geblieben!"

„L'est w Zuerrel" bemerkte entschuldigend Leutnant von Gerlach. Ebenso
wie Veit war er als Freiwilliger mitgezogen.

„Ja, o'est Iz Zuerre! und nichts für ungut, Kamerad Veit I" Diesmal klang
der rauhe Bierbaß beinahe ritterlich.

Draußen kam jemand durch die Pfützen herangetrabt, hielt vor der Tür und
holte sich Auskunft. Gleich darauf stand er auch schon vor dem Tisch der Spieler:
eine gebieterische Erscheinung, stolz und strahlend wie ein junger Kriegsgott. - Er
grüßte militärisch kurz und streckte dem Leutnant von Gerlach die Hand entgegen.

„Marwitzl" rief dieser überrascht. „Hol' mich der und jener! Wo kommen
Sie her?"

„Von meinem Kommando, dem Generalstab der ersten Brigade, mit Order
an Ihren Obristen."

„Das ist nämlich Herr Alexander von der Marwitz, vom Regiment Gendarmes",
stellte Gerlach vor.

Die Offiziere verbeugten sich gleichgültig und steif, nur Leutnant Veit trat
unwillkürlich einige Schritte vor, besann sich und errötete. Alexander von der
Marwitz sah ihn groß an, hatte eine Frage auf den Lippen, ward aber durch
Gerlach unterbrochen, der ihn ganz für sich in Anspruch nahm.

Lange hielt er sich nicht auf, mit einem vielsagenden Blick auf die Würfel
und Branntweinflaschen verabschiedete er sich, den Obristen aufzusuchen.

„Ein Herr von der Marwitz? Wer ist das? Adel aus Brandenburg?"

„Aus Brandenburg?" lachte Gerlach. „Weit mehr als das! Adel aus
Genieland I"

„Gar ein Prinz mit Inkognito?"

„Höher hinauf! Nämlich der Marwitz schlechtweg, der ganze, der einzige
Alexander von der Marwitz! Aber freilich die schlesischen Garnisonen wissen nichts
von ihm."

„Nennen Sie uns seine Verdienste, und wir stehen beschämt."

„Verdienste? Ein armer Referendarius aus Potsdam ist er, Kollega von mir
bei der Regierung, ein obskurer Leutnant aus drei Kriegen, ein Landmann und
ein Philosoph, aber Freund und Gefährte unsrer Besten. Kein andres Verdienst
als seine große Seele!"

„O weh, geht es da hinaus? Wohl gar vom Tugendbund? Lieber Gerlach,
damit lockt er keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor!"

„Ums Locken ist's ihm auch wahrhaftig nicht zu tun, sondern er ist, wie
einer sein nutz." Das rief der junge Veit dazwischen; seine Augen blitzten, seine
Stimme bebte vor unterdrückten: Enthusiasmus.

„Hallo, Herr Bruder, kennen Sie ihn auch?" neckten die Zweifler, doch Veit
war sporenklingend schon zur Tür hinaus.

Gerlach antwortete an seiner Statt:

„Wer kennt ihn nicht! Bei Coswig ist er letzten Sommer mit polnischen
Lanzenreitern ins Gedränge geraten. Und wie sie ihn schon vom Pferde reißen
wollen, sprengt der General von Szymanowski auf seine Kerle los und brüllt sie
an: .Was tut ihr! Hände weg! Das ist der Alexander von der Marwitz, der


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[0638] Marwitz seinen Trott wie ehedem. Das alte Jahrhundert, sein Sinn und sein Ton, ist geblieben!" „L'est w Zuerrel" bemerkte entschuldigend Leutnant von Gerlach. Ebenso wie Veit war er als Freiwilliger mitgezogen. „Ja, o'est Iz Zuerre! und nichts für ungut, Kamerad Veit I" Diesmal klang der rauhe Bierbaß beinahe ritterlich. Draußen kam jemand durch die Pfützen herangetrabt, hielt vor der Tür und holte sich Auskunft. Gleich darauf stand er auch schon vor dem Tisch der Spieler: eine gebieterische Erscheinung, stolz und strahlend wie ein junger Kriegsgott. - Er grüßte militärisch kurz und streckte dem Leutnant von Gerlach die Hand entgegen. „Marwitzl" rief dieser überrascht. „Hol' mich der und jener! Wo kommen Sie her?" „Von meinem Kommando, dem Generalstab der ersten Brigade, mit Order an Ihren Obristen." „Das ist nämlich Herr Alexander von der Marwitz, vom Regiment Gendarmes", stellte Gerlach vor. Die Offiziere verbeugten sich gleichgültig und steif, nur Leutnant Veit trat unwillkürlich einige Schritte vor, besann sich und errötete. Alexander von der Marwitz sah ihn groß an, hatte eine Frage auf den Lippen, ward aber durch Gerlach unterbrochen, der ihn ganz für sich in Anspruch nahm. Lange hielt er sich nicht auf, mit einem vielsagenden Blick auf die Würfel und Branntweinflaschen verabschiedete er sich, den Obristen aufzusuchen. „Ein Herr von der Marwitz? Wer ist das? Adel aus Brandenburg?" „Aus Brandenburg?" lachte Gerlach. „Weit mehr als das! Adel aus Genieland I" „Gar ein Prinz mit Inkognito?" „Höher hinauf! Nämlich der Marwitz schlechtweg, der ganze, der einzige Alexander von der Marwitz! Aber freilich die schlesischen Garnisonen wissen nichts von ihm." „Nennen Sie uns seine Verdienste, und wir stehen beschämt." „Verdienste? Ein armer Referendarius aus Potsdam ist er, Kollega von mir bei der Regierung, ein obskurer Leutnant aus drei Kriegen, ein Landmann und ein Philosoph, aber Freund und Gefährte unsrer Besten. Kein andres Verdienst als seine große Seele!" „O weh, geht es da hinaus? Wohl gar vom Tugendbund? Lieber Gerlach, damit lockt er keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor!" „Ums Locken ist's ihm auch wahrhaftig nicht zu tun, sondern er ist, wie einer sein nutz." Das rief der junge Veit dazwischen; seine Augen blitzten, seine Stimme bebte vor unterdrückten: Enthusiasmus. „Hallo, Herr Bruder, kennen Sie ihn auch?" neckten die Zweifler, doch Veit war sporenklingend schon zur Tür hinaus. Gerlach antwortete an seiner Statt: „Wer kennt ihn nicht! Bei Coswig ist er letzten Sommer mit polnischen Lanzenreitern ins Gedränge geraten. Und wie sie ihn schon vom Pferde reißen wollen, sprengt der General von Szymanowski auf seine Kerle los und brüllt sie an: .Was tut ihr! Hände weg! Das ist der Alexander von der Marwitz, der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/638>, abgerufen am 23.07.2024.