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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

ist in Spanien wenig zu spüren. Am kläglichsten liegen die Schulverhältnisse.
Hier kann man sagen, daß der Staat kaum etwas zur Vorbereitung der
Trennung, wenig dazu getan hat, die Schulen brauchbar und selbständig zu machen
und von geistlichem Einfluß zu befreien, sondern daß die katholische Kirche mit
voller Genehmigung des Staates die meisten und die wichtigsten Bildungsmittel
And Anstalten in Händen hat. Hier fehlt den: Spanier die leichte Lebens¬
auffassung und die rasche Anpassungsfähigkeit der Franzosen. Das Blut, das
in den Adern der Franzosen rollt, ist von dem des Spaniers so verschieden
wie Veuve Cliquot von altem Madeira- oder Malagawein. Zwar ist seit der
Revolution von 1868 manches geschehen. Noch viel mehr und zwar auf
vorhandener gesetzlicher Basis -- hätte geschehen können. Bereits das Gesetz
von 1857 über den öffentlichen Unterricht hatte das gesamte Unterrichtswesen
zentralisiert und dem Ministerio de Fomento unterstellt. Ein Dekret vom
12. Juni 1874 hatte den "Unterrichtsrat" reorganisiert. Danach war in
Spanien das selbst in Deutschland noch nicht überall erreichte Ideal des
obligatorischen und unentgeltlichen Volksschulunterrichts verwirklicht. Leider nur
auf dem Papier. Kein Spanier behauptet oder weiß auch nur, daß in
Spanien allgemeine Schulpflicht besteht. Die Schulgesetze sind veraltet.
Zwar bestehen (wenigstens bestanden sie nach einer Statistik für 1904) in
Spanien 25348 öffentliche Volks-, sogenannte Primärschulen mit angeblich
2205311 Schülern; daneben gibt es aber zahllose Klosterschulen und über
6000, meist unter mehr oder weniger großem geistlichen Einfluß stehende, vom
Staat gemäß Artikel 24 der Verfassung von 1869 nur nach den Grundsätzen
der Moral und Hygiene beaufsichtigte Privatschulen. Lehrerseminare soll es 55
(nach einer anderen Statistik nur 51), Lehrerinnenseminare 37 (oder 32),
staatliche sekundär- oder Mittelschulen (in8titulo8 as 8SAuriäa enssnanzie), etwa
unsere Gymnasien und Realschulen, 70 (oder 58) mit etwa 40000 Schülern
geben. 325 Colegios, worunter 83 geistliche, sollen zur Vorbereitung für das
Studium an den (10) Universitäten (mit 515 Dozenten, die der Aufsicht der
Bischöfe unterstehen und nach dem Erlaß Alfonsos des Zwölften und des
Marques de Arorio vom 27. Februar 1875 einen Eid leisten müssen, daß sie
bei ihrer Lehrtätigkeit die Dogmen der katholischen Kirchen beachten wollen, und
20000 Studenten) und der vor einigen Jahren in Madrid aus Privatmitteln
gegründeten "freien" Hochschule vorhanden sein. "Spezialschulen" dienen den
Berufen der Architekten, Künstler, Diplomaten, Kaufleuten, der Tierärzte,
Ingenieure, Bergbaubeamten, Land- und Forstwirte, Turnlehrer usw. Eine
neuere Errungenschaft sind die Normalschulen (L8aucta8 normales, die den
Volksschullehrerstand heranbilden sollen, und unter denen die Normalschule in
Madrid hervorragt. Was bedeuten aber alle diese Zahlen und Daten angesichts
der für den Umfang des Staates massenhaften Diözesanseminare zur Vorbildung
des Klerus (68), weiter gegenüber der Bestimmung des Konkordats von 1851,
daß der Unterricht in den Leitsätzen mit der katholischen Religion über-


Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

ist in Spanien wenig zu spüren. Am kläglichsten liegen die Schulverhältnisse.
Hier kann man sagen, daß der Staat kaum etwas zur Vorbereitung der
Trennung, wenig dazu getan hat, die Schulen brauchbar und selbständig zu machen
und von geistlichem Einfluß zu befreien, sondern daß die katholische Kirche mit
voller Genehmigung des Staates die meisten und die wichtigsten Bildungsmittel
And Anstalten in Händen hat. Hier fehlt den: Spanier die leichte Lebens¬
auffassung und die rasche Anpassungsfähigkeit der Franzosen. Das Blut, das
in den Adern der Franzosen rollt, ist von dem des Spaniers so verschieden
wie Veuve Cliquot von altem Madeira- oder Malagawein. Zwar ist seit der
Revolution von 1868 manches geschehen. Noch viel mehr und zwar auf
vorhandener gesetzlicher Basis — hätte geschehen können. Bereits das Gesetz
von 1857 über den öffentlichen Unterricht hatte das gesamte Unterrichtswesen
zentralisiert und dem Ministerio de Fomento unterstellt. Ein Dekret vom
12. Juni 1874 hatte den „Unterrichtsrat" reorganisiert. Danach war in
Spanien das selbst in Deutschland noch nicht überall erreichte Ideal des
obligatorischen und unentgeltlichen Volksschulunterrichts verwirklicht. Leider nur
auf dem Papier. Kein Spanier behauptet oder weiß auch nur, daß in
Spanien allgemeine Schulpflicht besteht. Die Schulgesetze sind veraltet.
Zwar bestehen (wenigstens bestanden sie nach einer Statistik für 1904) in
Spanien 25348 öffentliche Volks-, sogenannte Primärschulen mit angeblich
2205311 Schülern; daneben gibt es aber zahllose Klosterschulen und über
6000, meist unter mehr oder weniger großem geistlichen Einfluß stehende, vom
Staat gemäß Artikel 24 der Verfassung von 1869 nur nach den Grundsätzen
der Moral und Hygiene beaufsichtigte Privatschulen. Lehrerseminare soll es 55
(nach einer anderen Statistik nur 51), Lehrerinnenseminare 37 (oder 32),
staatliche sekundär- oder Mittelschulen (in8titulo8 as 8SAuriäa enssnanzie), etwa
unsere Gymnasien und Realschulen, 70 (oder 58) mit etwa 40000 Schülern
geben. 325 Colegios, worunter 83 geistliche, sollen zur Vorbereitung für das
Studium an den (10) Universitäten (mit 515 Dozenten, die der Aufsicht der
Bischöfe unterstehen und nach dem Erlaß Alfonsos des Zwölften und des
Marques de Arorio vom 27. Februar 1875 einen Eid leisten müssen, daß sie
bei ihrer Lehrtätigkeit die Dogmen der katholischen Kirchen beachten wollen, und
20000 Studenten) und der vor einigen Jahren in Madrid aus Privatmitteln
gegründeten „freien" Hochschule vorhanden sein. „Spezialschulen" dienen den
Berufen der Architekten, Künstler, Diplomaten, Kaufleuten, der Tierärzte,
Ingenieure, Bergbaubeamten, Land- und Forstwirte, Turnlehrer usw. Eine
neuere Errungenschaft sind die Normalschulen (L8aucta8 normales, die den
Volksschullehrerstand heranbilden sollen, und unter denen die Normalschule in
Madrid hervorragt. Was bedeuten aber alle diese Zahlen und Daten angesichts
der für den Umfang des Staates massenhaften Diözesanseminare zur Vorbildung
des Klerus (68), weiter gegenüber der Bestimmung des Konkordats von 1851,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/634>, abgerufen am 23.07.2024.