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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

241 und 586 des Strafgesetzbuchs, die übrigens für alle Kulte gelten, unter
uns Deutsche ebenfalls eigenartig an. So bestraft zwar das spanische Straf¬
recht das Ableugnen des katholischen Dogmas nicht, wenn es nicht in spöttischer
oder höhnischer Form und in Beleidigungsabsicht geschieht. Dagegen ist jede
öffentliche Verspottung des katholischen Dogmas strafbar, und jener Begriff
wird soweit ausgedehnt, daß die Gerichte sogar das Nichtabnehmen des Hutes
(oder das Sich-nicht-entfernen) vor dem Matikum (der über die Straße getragenen
Eucharistie) als darunter fallend ansehen. In gleicher Weise wird das Unter¬
lassen des Hutabnehmens vor jeder religiösen Zeremonie oder Prozession
beurteilt, wenn es beabsichtigt war*).

Diesem Rechtszustand gegenüber bedeutet es nicht viel, wenn der Staat --
was der "Osservatore Romano" in der erwähnten Note ebenfalls als "Zu¬
geständnis" der Kurie in Anspruch nimmt -- die Gründung neuer Ordens¬
häuser von staatlicher Erlaubnis abhängig macht, die Ordenskongregationen zur
Zahlung von Staatssteuern, wie sie anderen juristischen Personen oder Unter¬
tanen obliegen, verpflichten, die Entstehung juristischer Personen (z. B. Orden,
Kongregationen) von vorgängiger staatlicher Naturalisation abhängig macht,
oder wenn er anordnet, daß von Errichtung, Gründung oder Bau eines Tempels
oder Friedhofs binnen 48 Stunden der höheren Verwaltungsbehörde Mit¬
teilung zu machen ist, daß Vorstände und Direktoren geistlicher Schulen Spanier
sein müssen, ihren Namen, Titel, ihre Unterrichtsgegenstände anzuzeigen haben
und der Aufsicht und dem Einfluß der Regierung unterstehen. Freilich wird
eine einigermaßen umfassende "Trennung von Staat und Kirche" mit diesen
kleinen und kleinsten Schranken freier religiöser Betätigung ebenso aufräumen,
wie jenes Verbot der nichtkatholischen manikeZtaeiones publicas fallen wird.
Die nichtkatholischen Kulte können beanspruchen, daß sie nicht nur geduldet und
strafrechtlich geschützt sondern auch geachtet werden, woraus sich die freie
Betätigung gottesdienstlicher Handlungen außerhalb der Kirchenmauern von
selbst ergeben.

Es liegt nahe, die in den Anfangsstadien befindliche spanische Trennungs¬
bewegung mit der ihres Vorbildes, der Trennung in Frankreich, zu vergleichen.
Die Voraussetzungen sind von Grund aus verschieden. Auf die Verschiedenheit
der wirtschaftlichen Fragen habe ich bereits hingewiesen. Sie sind nicht einmal
die wichtigsten. Für das Gelingen der Auseinandersetzung zwischen Staat und
Kirche in Spanien fehlt es zurzeit noch an jeder Vorbereitung. Als Frankreich
im Jahre 1905 den entscheidenden Schlag gegen die katholische Kirche führte,
war bereits eine ganze Generation in der französischen interkonfessionellen,
religionsunterrichtslosen Volksschule herangewachsen, das Priestertum stark
Modernistisch durchsetzt, die Sozialdemokratie und der linksstehende Liberalismus
im Besitz der Kammermajoritüt, ja eines Ministerportefeuilles. Von dem allen



*) Vgl. Torres Campus, Span. Staatsrecht in l>. Marquardsens Hmidb. d, öff, Rechts,
IV, T. 7, S. 17.
Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien

241 und 586 des Strafgesetzbuchs, die übrigens für alle Kulte gelten, unter
uns Deutsche ebenfalls eigenartig an. So bestraft zwar das spanische Straf¬
recht das Ableugnen des katholischen Dogmas nicht, wenn es nicht in spöttischer
oder höhnischer Form und in Beleidigungsabsicht geschieht. Dagegen ist jede
öffentliche Verspottung des katholischen Dogmas strafbar, und jener Begriff
wird soweit ausgedehnt, daß die Gerichte sogar das Nichtabnehmen des Hutes
(oder das Sich-nicht-entfernen) vor dem Matikum (der über die Straße getragenen
Eucharistie) als darunter fallend ansehen. In gleicher Weise wird das Unter¬
lassen des Hutabnehmens vor jeder religiösen Zeremonie oder Prozession
beurteilt, wenn es beabsichtigt war*).

Diesem Rechtszustand gegenüber bedeutet es nicht viel, wenn der Staat —
was der „Osservatore Romano" in der erwähnten Note ebenfalls als „Zu¬
geständnis" der Kurie in Anspruch nimmt — die Gründung neuer Ordens¬
häuser von staatlicher Erlaubnis abhängig macht, die Ordenskongregationen zur
Zahlung von Staatssteuern, wie sie anderen juristischen Personen oder Unter¬
tanen obliegen, verpflichten, die Entstehung juristischer Personen (z. B. Orden,
Kongregationen) von vorgängiger staatlicher Naturalisation abhängig macht,
oder wenn er anordnet, daß von Errichtung, Gründung oder Bau eines Tempels
oder Friedhofs binnen 48 Stunden der höheren Verwaltungsbehörde Mit¬
teilung zu machen ist, daß Vorstände und Direktoren geistlicher Schulen Spanier
sein müssen, ihren Namen, Titel, ihre Unterrichtsgegenstände anzuzeigen haben
und der Aufsicht und dem Einfluß der Regierung unterstehen. Freilich wird
eine einigermaßen umfassende „Trennung von Staat und Kirche" mit diesen
kleinen und kleinsten Schranken freier religiöser Betätigung ebenso aufräumen,
wie jenes Verbot der nichtkatholischen manikeZtaeiones publicas fallen wird.
Die nichtkatholischen Kulte können beanspruchen, daß sie nicht nur geduldet und
strafrechtlich geschützt sondern auch geachtet werden, woraus sich die freie
Betätigung gottesdienstlicher Handlungen außerhalb der Kirchenmauern von
selbst ergeben.

Es liegt nahe, die in den Anfangsstadien befindliche spanische Trennungs¬
bewegung mit der ihres Vorbildes, der Trennung in Frankreich, zu vergleichen.
Die Voraussetzungen sind von Grund aus verschieden. Auf die Verschiedenheit
der wirtschaftlichen Fragen habe ich bereits hingewiesen. Sie sind nicht einmal
die wichtigsten. Für das Gelingen der Auseinandersetzung zwischen Staat und
Kirche in Spanien fehlt es zurzeit noch an jeder Vorbereitung. Als Frankreich
im Jahre 1905 den entscheidenden Schlag gegen die katholische Kirche führte,
war bereits eine ganze Generation in der französischen interkonfessionellen,
religionsunterrichtslosen Volksschule herangewachsen, das Priestertum stark
Modernistisch durchsetzt, die Sozialdemokratie und der linksstehende Liberalismus
im Besitz der Kammermajoritüt, ja eines Ministerportefeuilles. Von dem allen



*) Vgl. Torres Campus, Span. Staatsrecht in l>. Marquardsens Hmidb. d, öff, Rechts,
IV, T. 7, S. 17.
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[0633] Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien 241 und 586 des Strafgesetzbuchs, die übrigens für alle Kulte gelten, unter uns Deutsche ebenfalls eigenartig an. So bestraft zwar das spanische Straf¬ recht das Ableugnen des katholischen Dogmas nicht, wenn es nicht in spöttischer oder höhnischer Form und in Beleidigungsabsicht geschieht. Dagegen ist jede öffentliche Verspottung des katholischen Dogmas strafbar, und jener Begriff wird soweit ausgedehnt, daß die Gerichte sogar das Nichtabnehmen des Hutes (oder das Sich-nicht-entfernen) vor dem Matikum (der über die Straße getragenen Eucharistie) als darunter fallend ansehen. In gleicher Weise wird das Unter¬ lassen des Hutabnehmens vor jeder religiösen Zeremonie oder Prozession beurteilt, wenn es beabsichtigt war*). Diesem Rechtszustand gegenüber bedeutet es nicht viel, wenn der Staat — was der „Osservatore Romano" in der erwähnten Note ebenfalls als „Zu¬ geständnis" der Kurie in Anspruch nimmt — die Gründung neuer Ordens¬ häuser von staatlicher Erlaubnis abhängig macht, die Ordenskongregationen zur Zahlung von Staatssteuern, wie sie anderen juristischen Personen oder Unter¬ tanen obliegen, verpflichten, die Entstehung juristischer Personen (z. B. Orden, Kongregationen) von vorgängiger staatlicher Naturalisation abhängig macht, oder wenn er anordnet, daß von Errichtung, Gründung oder Bau eines Tempels oder Friedhofs binnen 48 Stunden der höheren Verwaltungsbehörde Mit¬ teilung zu machen ist, daß Vorstände und Direktoren geistlicher Schulen Spanier sein müssen, ihren Namen, Titel, ihre Unterrichtsgegenstände anzuzeigen haben und der Aufsicht und dem Einfluß der Regierung unterstehen. Freilich wird eine einigermaßen umfassende „Trennung von Staat und Kirche" mit diesen kleinen und kleinsten Schranken freier religiöser Betätigung ebenso aufräumen, wie jenes Verbot der nichtkatholischen manikeZtaeiones publicas fallen wird. Die nichtkatholischen Kulte können beanspruchen, daß sie nicht nur geduldet und strafrechtlich geschützt sondern auch geachtet werden, woraus sich die freie Betätigung gottesdienstlicher Handlungen außerhalb der Kirchenmauern von selbst ergeben. Es liegt nahe, die in den Anfangsstadien befindliche spanische Trennungs¬ bewegung mit der ihres Vorbildes, der Trennung in Frankreich, zu vergleichen. Die Voraussetzungen sind von Grund aus verschieden. Auf die Verschiedenheit der wirtschaftlichen Fragen habe ich bereits hingewiesen. Sie sind nicht einmal die wichtigsten. Für das Gelingen der Auseinandersetzung zwischen Staat und Kirche in Spanien fehlt es zurzeit noch an jeder Vorbereitung. Als Frankreich im Jahre 1905 den entscheidenden Schlag gegen die katholische Kirche führte, war bereits eine ganze Generation in der französischen interkonfessionellen, religionsunterrichtslosen Volksschule herangewachsen, das Priestertum stark Modernistisch durchsetzt, die Sozialdemokratie und der linksstehende Liberalismus im Besitz der Kammermajoritüt, ja eines Ministerportefeuilles. Von dem allen *) Vgl. Torres Campus, Span. Staatsrecht in l>. Marquardsens Hmidb. d, öff, Rechts, IV, T. 7, S. 17.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/633>, abgerufen am 23.07.2024.