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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien
xandgerichtsrat privatdozent Dr. I, Lriedrich- von

as klassische Land des Marienkultus und der Ketzerverbrennung
(^.uto co ke). der Inquisition und des Jesuitismus geht zurzeit
durch eine kirchenpolitische Krise. Ein umfassender Arbeiterstreik
fällt zeitlich damit zusammen. Ursächlich gegenseitig bedingt oder
auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind beide Bewegungen
anscheinend nicht. Die Krise kommt von oben. Ministerpräsident Caualejas
hofft -- ein zweiter Combes oder Bricmd -- in den Cortes eine Majorität
für seine antiklerikalen Pläne zu finden. Der Streik kommt von unten. Die
spanische Negierung vermutet sozialistische und anarchistische Umtriebe dahinter,
keine republikanischen. Die Demokratie ist also diesmal nicht die Schwester der
"Trennung von Staat und Kirche". -- Kann man überhaupt das, was bis
jetzt in Spanien geschehen und für die nächsten Monate zu erwarten ist, schon
"Trennung von Staat und Kirche" nennen? Es kommt darauf an. was man
unter "Trennung von Staat und Kirche" verstanden wissen will. Unanfechtbare
juristische Kriterien dieses rechtspolitischen Schlagworts gibt es nicht. Mit allen
rechtlich-logischen Konsequenzen verwirklicht ist es nirgends, auch uicht in Frank¬
reich oder Nordamerika. Bei Licht betrachtet, ist es eine rechtsphilosophische
Idee, die in den Köpfen spukt, seit es eine Kirche, ja muwti8 mutancllZ: seit
es eine Religion gibt, d. h. solange Menschen die Erde bewohnen. Sie enthält
sich der historisch-psychologischen Betrachtung als der Kampf der religiösen und
der kirchlich-rechtlichen Motive in den Seelen der Menschen einerseits, beider
wie den sozialen und staatlich-rechtlichen Motiven anderseits. Mittels derselben
Methode ist auch die sogenannte "Einheit von Staat und Kirche" rechts¬
philosophisch zu bewerten; sie ist vorhanden, solange die Mehrzahl der Staats¬
bürger als solche religiös-kirchliche Motive hat und betätigt. Ist dem aber so.
dann ist man berechtigt, jeden Anfang einer wenn auch nur teilweisen Los¬
lösung -- eine restlose gibt es nicht, hat es nie gegeben und wird es nie
geben -- des Staates von der Kirche oder der Kirche vom Staate als eine
Trennungsbewegung zu bezeichnen. Eine solche in der Richtung einer der




Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien
xandgerichtsrat privatdozent Dr. I, Lriedrich- von

as klassische Land des Marienkultus und der Ketzerverbrennung
(^.uto co ke). der Inquisition und des Jesuitismus geht zurzeit
durch eine kirchenpolitische Krise. Ein umfassender Arbeiterstreik
fällt zeitlich damit zusammen. Ursächlich gegenseitig bedingt oder
auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind beide Bewegungen
anscheinend nicht. Die Krise kommt von oben. Ministerpräsident Caualejas
hofft — ein zweiter Combes oder Bricmd — in den Cortes eine Majorität
für seine antiklerikalen Pläne zu finden. Der Streik kommt von unten. Die
spanische Negierung vermutet sozialistische und anarchistische Umtriebe dahinter,
keine republikanischen. Die Demokratie ist also diesmal nicht die Schwester der
„Trennung von Staat und Kirche". — Kann man überhaupt das, was bis
jetzt in Spanien geschehen und für die nächsten Monate zu erwarten ist, schon
„Trennung von Staat und Kirche" nennen? Es kommt darauf an. was man
unter „Trennung von Staat und Kirche" verstanden wissen will. Unanfechtbare
juristische Kriterien dieses rechtspolitischen Schlagworts gibt es nicht. Mit allen
rechtlich-logischen Konsequenzen verwirklicht ist es nirgends, auch uicht in Frank¬
reich oder Nordamerika. Bei Licht betrachtet, ist es eine rechtsphilosophische
Idee, die in den Köpfen spukt, seit es eine Kirche, ja muwti8 mutancllZ: seit
es eine Religion gibt, d. h. solange Menschen die Erde bewohnen. Sie enthält
sich der historisch-psychologischen Betrachtung als der Kampf der religiösen und
der kirchlich-rechtlichen Motive in den Seelen der Menschen einerseits, beider
wie den sozialen und staatlich-rechtlichen Motiven anderseits. Mittels derselben
Methode ist auch die sogenannte „Einheit von Staat und Kirche" rechts¬
philosophisch zu bewerten; sie ist vorhanden, solange die Mehrzahl der Staats¬
bürger als solche religiös-kirchliche Motive hat und betätigt. Ist dem aber so.
dann ist man berechtigt, jeden Anfang einer wenn auch nur teilweisen Los¬
lösung — eine restlose gibt es nicht, hat es nie gegeben und wird es nie
geben — des Staates von der Kirche oder der Kirche vom Staate als eine
Trennungsbewegung zu bezeichnen. Eine solche in der Richtung einer der


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[0627] [Abbildung] Die Trennung von Staat und Kirche in Spanien xandgerichtsrat privatdozent Dr. I, Lriedrich- von as klassische Land des Marienkultus und der Ketzerverbrennung (^.uto co ke). der Inquisition und des Jesuitismus geht zurzeit durch eine kirchenpolitische Krise. Ein umfassender Arbeiterstreik fällt zeitlich damit zusammen. Ursächlich gegenseitig bedingt oder auf eine gemeinsame Ursache zurückzuführen sind beide Bewegungen anscheinend nicht. Die Krise kommt von oben. Ministerpräsident Caualejas hofft — ein zweiter Combes oder Bricmd — in den Cortes eine Majorität für seine antiklerikalen Pläne zu finden. Der Streik kommt von unten. Die spanische Negierung vermutet sozialistische und anarchistische Umtriebe dahinter, keine republikanischen. Die Demokratie ist also diesmal nicht die Schwester der „Trennung von Staat und Kirche". — Kann man überhaupt das, was bis jetzt in Spanien geschehen und für die nächsten Monate zu erwarten ist, schon „Trennung von Staat und Kirche" nennen? Es kommt darauf an. was man unter „Trennung von Staat und Kirche" verstanden wissen will. Unanfechtbare juristische Kriterien dieses rechtspolitischen Schlagworts gibt es nicht. Mit allen rechtlich-logischen Konsequenzen verwirklicht ist es nirgends, auch uicht in Frank¬ reich oder Nordamerika. Bei Licht betrachtet, ist es eine rechtsphilosophische Idee, die in den Köpfen spukt, seit es eine Kirche, ja muwti8 mutancllZ: seit es eine Religion gibt, d. h. solange Menschen die Erde bewohnen. Sie enthält sich der historisch-psychologischen Betrachtung als der Kampf der religiösen und der kirchlich-rechtlichen Motive in den Seelen der Menschen einerseits, beider wie den sozialen und staatlich-rechtlichen Motiven anderseits. Mittels derselben Methode ist auch die sogenannte „Einheit von Staat und Kirche" rechts¬ philosophisch zu bewerten; sie ist vorhanden, solange die Mehrzahl der Staats¬ bürger als solche religiös-kirchliche Motive hat und betätigt. Ist dem aber so. dann ist man berechtigt, jeden Anfang einer wenn auch nur teilweisen Los¬ lösung — eine restlose gibt es nicht, hat es nie gegeben und wird es nie geben — des Staates von der Kirche oder der Kirche vom Staate als eine Trennungsbewegung zu bezeichnen. Eine solche in der Richtung einer der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/627>, abgerufen am 23.07.2024.