Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lage des Deutschtums in Galizien

gehalten, ohne daß ihre Volksgenossen sich allzuviel um sie bekümmert hätten.
Der Gustav-Adolf-Verein hat wohl schon seit dem Ende der sechziger Jahre den
evangelischen Deutschen seine wertvolle Hilfe gewährt; um die katholischen hat
sich niemand damals bekümmert. Man wußte eben von diesen Deutschen nichts;
man glaubte, daß die Deutschen in Galizien zumeist Juden seien; deshalb
wollten die Deutschnationalen im sogenannten Linzer Programm tatsächlich
Galizien den Polen ausliefern. Als man im Westen von der Gründung des
Christlich-deutschen Bundes Nachricht erhielt (1907), sagte ein Blatt wörtlich
folgendes: "Nun haben wir's. Wir dachten, das Deutschtum Galiziens setze
sich ausschließlich aus deutsch sprechenden Juden zusammen. Und nun kommt
die Kunde von der Gründung eines christlichen deutschen Vereins in Galizien.
Unsere herzlichsten Glückwünsche unseren Brüdern in der Ferne!" Es ist aber
auch erklärlich, daß das deutsche Volk nichts von diesen Vorposten hörte und
sich um sie nicht kümmerte, denn die zerstreuten deutschen Siedlungen wußten
kaum etwas voneinander; sie waren nicht organisiert und pflegten keine Beziehungen
zu den Deutschen des Westens und zu jenen der anderen Karpathenländer.
Kein Wunder, daß ihre Feinde mit diesen vergessenen Vorposten bald fertig zu
werden hofften, erinnerten sie sich doch daran, daß einmal schon ein kräftiges
deutsches Leben in Galizien bestanden hatte und vernichtet worden war.

Aber die Verhältnisse haben sich geändert. Das Nattonalgefühl des deutschen
Volkes ist erwacht; seine mächtigen Organisationen lenken ihre Aufmerksamkeit
immer stärker auf die Deutschen in der Zerstreuung. Die galizischen Deutschen
haben sich organisiert und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gelenkt.
Zwischen den verschiedenen Gruppen der Karpathendeutschen entwickeln sich freund¬
schaftliche Beziehungen. Die mißglückte Auswanderuugsbewegung muß die
Überzeugung hervorgerufen haben, daß diese Kolonisten noch stark genug sind,
um da, wo sie einmal stehen, deutsche Arbeit zu verrichten, daß sie nicht daran
denken, die Vorposten aufzugeben. Das deutsche Volk muß zur Erkenntnis
kommen, daß es keinen Schritt aus diesem Grenzgebiete zurückweichen darf: nicht
die vorgeschobenen Vorposten zurückziehen, sondern sie verstärken muß die Aufgabe
der praktischen Politiker sein. Ins Grenzgebiet gehören überschüssige Kräfte aus
den übervölkerten westlichen Gebieten I Die Rückziehung der Deutschen aus
Galizien stellt die Deutschen in Schlesien dem Ansturm des Slawismus bloß;
es würde eine vollständige Isolierung des Bukowiner Deutschtums bedeuten,
eine Wiederbelebung des oberungarischen, besonders des Zipser Deutschtums
unmöglich machen. Würde einmal der Abbröcklungsprozeß beginnen, so wäre
nicht abzusehen, wie weit er fortschreiten könnte. Die Opfer, die das deutsche
Volk sür die vorgeschobenen Ansiedlungen bringt, denen insbesondere die Kirchen-
und Schulerhaltung bedeutende Lasten auflegt, sind ebenso nützlich angebracht,
wie Summen für die Erbauung von Festungen im bedrohten Grenzgebiet.

Den Feinden des galizischen Deutschtums muß alle Hoffnung genommen
werden, daß sie es niederringen können. Wohl hat der mächtige polnische


Grenzboten til 1910 73
Die Lage des Deutschtums in Galizien

gehalten, ohne daß ihre Volksgenossen sich allzuviel um sie bekümmert hätten.
Der Gustav-Adolf-Verein hat wohl schon seit dem Ende der sechziger Jahre den
evangelischen Deutschen seine wertvolle Hilfe gewährt; um die katholischen hat
sich niemand damals bekümmert. Man wußte eben von diesen Deutschen nichts;
man glaubte, daß die Deutschen in Galizien zumeist Juden seien; deshalb
wollten die Deutschnationalen im sogenannten Linzer Programm tatsächlich
Galizien den Polen ausliefern. Als man im Westen von der Gründung des
Christlich-deutschen Bundes Nachricht erhielt (1907), sagte ein Blatt wörtlich
folgendes: „Nun haben wir's. Wir dachten, das Deutschtum Galiziens setze
sich ausschließlich aus deutsch sprechenden Juden zusammen. Und nun kommt
die Kunde von der Gründung eines christlichen deutschen Vereins in Galizien.
Unsere herzlichsten Glückwünsche unseren Brüdern in der Ferne!" Es ist aber
auch erklärlich, daß das deutsche Volk nichts von diesen Vorposten hörte und
sich um sie nicht kümmerte, denn die zerstreuten deutschen Siedlungen wußten
kaum etwas voneinander; sie waren nicht organisiert und pflegten keine Beziehungen
zu den Deutschen des Westens und zu jenen der anderen Karpathenländer.
Kein Wunder, daß ihre Feinde mit diesen vergessenen Vorposten bald fertig zu
werden hofften, erinnerten sie sich doch daran, daß einmal schon ein kräftiges
deutsches Leben in Galizien bestanden hatte und vernichtet worden war.

Aber die Verhältnisse haben sich geändert. Das Nattonalgefühl des deutschen
Volkes ist erwacht; seine mächtigen Organisationen lenken ihre Aufmerksamkeit
immer stärker auf die Deutschen in der Zerstreuung. Die galizischen Deutschen
haben sich organisiert und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gelenkt.
Zwischen den verschiedenen Gruppen der Karpathendeutschen entwickeln sich freund¬
schaftliche Beziehungen. Die mißglückte Auswanderuugsbewegung muß die
Überzeugung hervorgerufen haben, daß diese Kolonisten noch stark genug sind,
um da, wo sie einmal stehen, deutsche Arbeit zu verrichten, daß sie nicht daran
denken, die Vorposten aufzugeben. Das deutsche Volk muß zur Erkenntnis
kommen, daß es keinen Schritt aus diesem Grenzgebiete zurückweichen darf: nicht
die vorgeschobenen Vorposten zurückziehen, sondern sie verstärken muß die Aufgabe
der praktischen Politiker sein. Ins Grenzgebiet gehören überschüssige Kräfte aus
den übervölkerten westlichen Gebieten I Die Rückziehung der Deutschen aus
Galizien stellt die Deutschen in Schlesien dem Ansturm des Slawismus bloß;
es würde eine vollständige Isolierung des Bukowiner Deutschtums bedeuten,
eine Wiederbelebung des oberungarischen, besonders des Zipser Deutschtums
unmöglich machen. Würde einmal der Abbröcklungsprozeß beginnen, so wäre
nicht abzusehen, wie weit er fortschreiten könnte. Die Opfer, die das deutsche
Volk sür die vorgeschobenen Ansiedlungen bringt, denen insbesondere die Kirchen-
und Schulerhaltung bedeutende Lasten auflegt, sind ebenso nützlich angebracht,
wie Summen für die Erbauung von Festungen im bedrohten Grenzgebiet.

Den Feinden des galizischen Deutschtums muß alle Hoffnung genommen
werden, daß sie es niederringen können. Wohl hat der mächtige polnische


Grenzboten til 1910 73
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0589" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316874"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lage des Deutschtums in Galizien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2449" prev="#ID_2448"> gehalten, ohne daß ihre Volksgenossen sich allzuviel um sie bekümmert hätten.<lb/>
Der Gustav-Adolf-Verein hat wohl schon seit dem Ende der sechziger Jahre den<lb/>
evangelischen Deutschen seine wertvolle Hilfe gewährt; um die katholischen hat<lb/>
sich niemand damals bekümmert. Man wußte eben von diesen Deutschen nichts;<lb/>
man glaubte, daß die Deutschen in Galizien zumeist Juden seien; deshalb<lb/>
wollten die Deutschnationalen im sogenannten Linzer Programm tatsächlich<lb/>
Galizien den Polen ausliefern. Als man im Westen von der Gründung des<lb/>
Christlich-deutschen Bundes Nachricht erhielt (1907), sagte ein Blatt wörtlich<lb/>
folgendes: &#x201E;Nun haben wir's. Wir dachten, das Deutschtum Galiziens setze<lb/>
sich ausschließlich aus deutsch sprechenden Juden zusammen. Und nun kommt<lb/>
die Kunde von der Gründung eines christlichen deutschen Vereins in Galizien.<lb/>
Unsere herzlichsten Glückwünsche unseren Brüdern in der Ferne!" Es ist aber<lb/>
auch erklärlich, daß das deutsche Volk nichts von diesen Vorposten hörte und<lb/>
sich um sie nicht kümmerte, denn die zerstreuten deutschen Siedlungen wußten<lb/>
kaum etwas voneinander; sie waren nicht organisiert und pflegten keine Beziehungen<lb/>
zu den Deutschen des Westens und zu jenen der anderen Karpathenländer.<lb/>
Kein Wunder, daß ihre Feinde mit diesen vergessenen Vorposten bald fertig zu<lb/>
werden hofften, erinnerten sie sich doch daran, daß einmal schon ein kräftiges<lb/>
deutsches Leben in Galizien bestanden hatte und vernichtet worden war.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2450"> Aber die Verhältnisse haben sich geändert. Das Nattonalgefühl des deutschen<lb/>
Volkes ist erwacht; seine mächtigen Organisationen lenken ihre Aufmerksamkeit<lb/>
immer stärker auf die Deutschen in der Zerstreuung. Die galizischen Deutschen<lb/>
haben sich organisiert und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gelenkt.<lb/>
Zwischen den verschiedenen Gruppen der Karpathendeutschen entwickeln sich freund¬<lb/>
schaftliche Beziehungen. Die mißglückte Auswanderuugsbewegung muß die<lb/>
Überzeugung hervorgerufen haben, daß diese Kolonisten noch stark genug sind,<lb/>
um da, wo sie einmal stehen, deutsche Arbeit zu verrichten, daß sie nicht daran<lb/>
denken, die Vorposten aufzugeben. Das deutsche Volk muß zur Erkenntnis<lb/>
kommen, daß es keinen Schritt aus diesem Grenzgebiete zurückweichen darf: nicht<lb/>
die vorgeschobenen Vorposten zurückziehen, sondern sie verstärken muß die Aufgabe<lb/>
der praktischen Politiker sein. Ins Grenzgebiet gehören überschüssige Kräfte aus<lb/>
den übervölkerten westlichen Gebieten I Die Rückziehung der Deutschen aus<lb/>
Galizien stellt die Deutschen in Schlesien dem Ansturm des Slawismus bloß;<lb/>
es würde eine vollständige Isolierung des Bukowiner Deutschtums bedeuten,<lb/>
eine Wiederbelebung des oberungarischen, besonders des Zipser Deutschtums<lb/>
unmöglich machen. Würde einmal der Abbröcklungsprozeß beginnen, so wäre<lb/>
nicht abzusehen, wie weit er fortschreiten könnte. Die Opfer, die das deutsche<lb/>
Volk sür die vorgeschobenen Ansiedlungen bringt, denen insbesondere die Kirchen-<lb/>
und Schulerhaltung bedeutende Lasten auflegt, sind ebenso nützlich angebracht,<lb/>
wie Summen für die Erbauung von Festungen im bedrohten Grenzgebiet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2451" next="#ID_2452"> Den Feinden des galizischen Deutschtums muß alle Hoffnung genommen<lb/>
werden, daß sie es niederringen können.  Wohl hat der mächtige polnische</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten til 1910 73</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0589] Die Lage des Deutschtums in Galizien gehalten, ohne daß ihre Volksgenossen sich allzuviel um sie bekümmert hätten. Der Gustav-Adolf-Verein hat wohl schon seit dem Ende der sechziger Jahre den evangelischen Deutschen seine wertvolle Hilfe gewährt; um die katholischen hat sich niemand damals bekümmert. Man wußte eben von diesen Deutschen nichts; man glaubte, daß die Deutschen in Galizien zumeist Juden seien; deshalb wollten die Deutschnationalen im sogenannten Linzer Programm tatsächlich Galizien den Polen ausliefern. Als man im Westen von der Gründung des Christlich-deutschen Bundes Nachricht erhielt (1907), sagte ein Blatt wörtlich folgendes: „Nun haben wir's. Wir dachten, das Deutschtum Galiziens setze sich ausschließlich aus deutsch sprechenden Juden zusammen. Und nun kommt die Kunde von der Gründung eines christlichen deutschen Vereins in Galizien. Unsere herzlichsten Glückwünsche unseren Brüdern in der Ferne!" Es ist aber auch erklärlich, daß das deutsche Volk nichts von diesen Vorposten hörte und sich um sie nicht kümmerte, denn die zerstreuten deutschen Siedlungen wußten kaum etwas voneinander; sie waren nicht organisiert und pflegten keine Beziehungen zu den Deutschen des Westens und zu jenen der anderen Karpathenländer. Kein Wunder, daß ihre Feinde mit diesen vergessenen Vorposten bald fertig zu werden hofften, erinnerten sie sich doch daran, daß einmal schon ein kräftiges deutsches Leben in Galizien bestanden hatte und vernichtet worden war. Aber die Verhältnisse haben sich geändert. Das Nattonalgefühl des deutschen Volkes ist erwacht; seine mächtigen Organisationen lenken ihre Aufmerksamkeit immer stärker auf die Deutschen in der Zerstreuung. Die galizischen Deutschen haben sich organisiert und die Aufmerksamkeit des Westens auf sich gelenkt. Zwischen den verschiedenen Gruppen der Karpathendeutschen entwickeln sich freund¬ schaftliche Beziehungen. Die mißglückte Auswanderuugsbewegung muß die Überzeugung hervorgerufen haben, daß diese Kolonisten noch stark genug sind, um da, wo sie einmal stehen, deutsche Arbeit zu verrichten, daß sie nicht daran denken, die Vorposten aufzugeben. Das deutsche Volk muß zur Erkenntnis kommen, daß es keinen Schritt aus diesem Grenzgebiete zurückweichen darf: nicht die vorgeschobenen Vorposten zurückziehen, sondern sie verstärken muß die Aufgabe der praktischen Politiker sein. Ins Grenzgebiet gehören überschüssige Kräfte aus den übervölkerten westlichen Gebieten I Die Rückziehung der Deutschen aus Galizien stellt die Deutschen in Schlesien dem Ansturm des Slawismus bloß; es würde eine vollständige Isolierung des Bukowiner Deutschtums bedeuten, eine Wiederbelebung des oberungarischen, besonders des Zipser Deutschtums unmöglich machen. Würde einmal der Abbröcklungsprozeß beginnen, so wäre nicht abzusehen, wie weit er fortschreiten könnte. Die Opfer, die das deutsche Volk sür die vorgeschobenen Ansiedlungen bringt, denen insbesondere die Kirchen- und Schulerhaltung bedeutende Lasten auflegt, sind ebenso nützlich angebracht, wie Summen für die Erbauung von Festungen im bedrohten Grenzgebiet. Den Feinden des galizischen Deutschtums muß alle Hoffnung genommen werden, daß sie es niederringen können. Wohl hat der mächtige polnische Grenzboten til 1910 73

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/589
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/589>, abgerufen am 23.07.2024.