Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Prinz Linn von schönen'es-Larolath

Schopenhauers Pessimismus hat der Dichter in anderer Gestalt, geläutert,
verklärt bei Wilhelm Raabe wiedergefunden. Und wie dieser in seinem gewaltigen
Roman "Schüdderunp" von einem Postkarren das Symbol für ein erschütterndes
Menschendrama herholt, so schiebt bei Carolath ein seltsamer Handelsmann
seinen Karren mit Scherben durch die Straßen. In den: einfachen Knittelvers
des Haus Sachs wird uns die tiefe Bedeutung dieser Scherben erklärt. Sie
sind die Freuden und Leiden unseres Lebens:

Mondschein und Giebeldächer habe" es dem Dichter angetan. Auf dem
Marktplatz plätschert der Springbrunnen. Von weiten: tutet der Wächter leis
in sein Horn. Wir sind in Deutschland, in der Heimat der Romantik. Freilich
Carolaths Phantasie ist nicht zügellos, seine Begeisterung für die "gute, alte
Zeit", von keiner reaktionären Tendenz bedingt, sie entspricht nur der Sehn¬
sucht des Dichters, in der Poesie der Vergangenheit das Leid der Gegenwart
ZU ertränken. Es sind die alten, längst bekannten Tilgenden des deutschen
Volkes. Auf sie setzt er seine ganze Hoffnung. Und so ist er stolzen Mutes:

Und diesen kraftvollen, männlich starken, wahrhaft deutschnationalen Dichter
hat die landläufige Literaturgeschichte lange genug als Dekadent zu charakterisieren
versucht!


Prinz Linn von schönen'es-Larolath

Schopenhauers Pessimismus hat der Dichter in anderer Gestalt, geläutert,
verklärt bei Wilhelm Raabe wiedergefunden. Und wie dieser in seinem gewaltigen
Roman „Schüdderunp" von einem Postkarren das Symbol für ein erschütterndes
Menschendrama herholt, so schiebt bei Carolath ein seltsamer Handelsmann
seinen Karren mit Scherben durch die Straßen. In den: einfachen Knittelvers
des Haus Sachs wird uns die tiefe Bedeutung dieser Scherben erklärt. Sie
sind die Freuden und Leiden unseres Lebens:

Mondschein und Giebeldächer habe» es dem Dichter angetan. Auf dem
Marktplatz plätschert der Springbrunnen. Von weiten: tutet der Wächter leis
in sein Horn. Wir sind in Deutschland, in der Heimat der Romantik. Freilich
Carolaths Phantasie ist nicht zügellos, seine Begeisterung für die „gute, alte
Zeit", von keiner reaktionären Tendenz bedingt, sie entspricht nur der Sehn¬
sucht des Dichters, in der Poesie der Vergangenheit das Leid der Gegenwart
ZU ertränken. Es sind die alten, längst bekannten Tilgenden des deutschen
Volkes. Auf sie setzt er seine ganze Hoffnung. Und so ist er stolzen Mutes:

Und diesen kraftvollen, männlich starken, wahrhaft deutschnationalen Dichter
hat die landläufige Literaturgeschichte lange genug als Dekadent zu charakterisieren
versucht!


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316862"/>
          <fw type="header" place="top"> Prinz Linn von schönen'es-Larolath</fw><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_35" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2406"> Schopenhauers Pessimismus hat der Dichter in anderer Gestalt, geläutert,<lb/>
verklärt bei Wilhelm Raabe wiedergefunden. Und wie dieser in seinem gewaltigen<lb/>
Roman &#x201E;Schüdderunp" von einem Postkarren das Symbol für ein erschütterndes<lb/>
Menschendrama herholt, so schiebt bei Carolath ein seltsamer Handelsmann<lb/>
seinen Karren mit Scherben durch die Straßen. In den: einfachen Knittelvers<lb/>
des Haus Sachs wird uns die tiefe Bedeutung dieser Scherben erklärt. Sie<lb/>
sind die Freuden und Leiden unseres Lebens:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_36" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2407"> Mondschein und Giebeldächer habe» es dem Dichter angetan. Auf dem<lb/>
Marktplatz plätschert der Springbrunnen. Von weiten: tutet der Wächter leis<lb/>
in sein Horn. Wir sind in Deutschland, in der Heimat der Romantik. Freilich<lb/>
Carolaths Phantasie ist nicht zügellos, seine Begeisterung für die &#x201E;gute, alte<lb/>
Zeit", von keiner reaktionären Tendenz bedingt, sie entspricht nur der Sehn¬<lb/>
sucht des Dichters, in der Poesie der Vergangenheit das Leid der Gegenwart<lb/>
ZU ertränken. Es sind die alten, längst bekannten Tilgenden des deutschen<lb/>
Volkes. Auf sie setzt er seine ganze Hoffnung.  Und so ist er stolzen Mutes:</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_37" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_2408"> Und diesen kraftvollen, männlich starken, wahrhaft deutschnationalen Dichter<lb/>
hat die landläufige Literaturgeschichte lange genug als Dekadent zu charakterisieren<lb/>
versucht!</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] Prinz Linn von schönen'es-Larolath Schopenhauers Pessimismus hat der Dichter in anderer Gestalt, geläutert, verklärt bei Wilhelm Raabe wiedergefunden. Und wie dieser in seinem gewaltigen Roman „Schüdderunp" von einem Postkarren das Symbol für ein erschütterndes Menschendrama herholt, so schiebt bei Carolath ein seltsamer Handelsmann seinen Karren mit Scherben durch die Straßen. In den: einfachen Knittelvers des Haus Sachs wird uns die tiefe Bedeutung dieser Scherben erklärt. Sie sind die Freuden und Leiden unseres Lebens: Mondschein und Giebeldächer habe» es dem Dichter angetan. Auf dem Marktplatz plätschert der Springbrunnen. Von weiten: tutet der Wächter leis in sein Horn. Wir sind in Deutschland, in der Heimat der Romantik. Freilich Carolaths Phantasie ist nicht zügellos, seine Begeisterung für die „gute, alte Zeit", von keiner reaktionären Tendenz bedingt, sie entspricht nur der Sehn¬ sucht des Dichters, in der Poesie der Vergangenheit das Leid der Gegenwart ZU ertränken. Es sind die alten, längst bekannten Tilgenden des deutschen Volkes. Auf sie setzt er seine ganze Hoffnung. Und so ist er stolzen Mutes: Und diesen kraftvollen, männlich starken, wahrhaft deutschnationalen Dichter hat die landläufige Literaturgeschichte lange genug als Dekadent zu charakterisieren versucht!

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/577>, abgerufen am 23.07.2024.