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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Prinz Linn von Schöneres-Larolnth

ergriffen Frau von Puttkamer und den Prinzen in jenen Jugendtagen ans das
mächtigste.

In Rom trat Carolath dem sinnentrnnkenen Maler Makart nahe. Der
berauschende Prunk, das tönende Pathos konnte Carolath, oft zum Schaden
seiner Poesie, nie ganz aufgeben. In Italien feierten Sturm und Drang
leidenschaftliche Orgien. Erst am Genfer See, wohl im Frühling 1837, kam seine
wandermüde Sehnsucht zur Ruhe. Seine Vermählung mit Katharina von Knorring
aus schlichtem, edlem estländischen Stamme führte die große Wende in seinen:
Leben herbei.

Nun hatte Carolath den stillen, großzügigen, opfermütigen weiblichen
Charakter gefunden. Blühende Kinder folgten. Sein Aufenthalt, zunächst zu
Palsgaard in Dänemark, dann auf dem ererbten Gut Haseldorf bei Hamburg,
dergastfreiestenStätte für aller KünstlerArt undHerkunft, schien sich überaus glücklich
zu gestalten. Da ergriff ein unheilbares qualvolles Leiden den indes im Sinn eines
dogmenfreien Christentums gläubig gewordenen Menschenfreund. In einen: sozialen
Wirken innigster Nächstenliebe erschöpfte Carolath seine letzten Lebensjahre.
Operation folgte auf Operation. Vom Krankenbett aus, mit den: Bleistift in
der Hand, schrieb er ohne Klage die teilnehmendsten Worte selbst dem entferntesten
seiner Verehrer.

Wenn einmal des Prinzen Briefe erscheinen werden, hoffentlich recht bald,
so wird sich ergeben, daß Schönaich-Carolath als Mensch vielleicht der edelste
Charakter war, den die deutsche Literatur wohl seit langem aufzuweisen hat.

Der drohende Tod schreckte ihn nicht. Monatelang vor dem Ende stand
auf seineu Befehl in: Schloß der bereitgehaltene Sarg. "Ich möchte schlafen",
waren seine letzten Worte am 30. April 1908.




Schönaich-Carolath ist vor allem Lyriker, Lyriker nicht bloß in dem eigent¬
lichen Lied, sondern auch in der Ballade, im Epos, in der Novelle. Stark
persönlich wirksam geht er fast immer von: eigenen Erlebnis aus, und wie
Goethe hätte er von sich sagen können: "Was ich nicht lebte und was mir
nicht auf die Nägel brannte und zu schaffe" machte, habe ich auch nicht gedichtet
und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte."
Der mächtige Wahrheitsgehalt in Carolaths Dichtungen hängt damit auf das
innigste zusammen."

Schon sein frühestes Buch, die 1878 erschienenen "Lieder an eine Verlorene,
ist ein großes Lebensbekenntnis. Sein erstes und letztes Wort darin heißt Weib:
die moderne, entgötterte Frau, die Byron, Heine. Lenau in einen Abgrund
seelischer Zerrissenheit geschleudert hat. die raffinierte Dame der Welt, wie sie
Grisebachs Tannhcinserepen schildern, das dekadente Wesen der "Lieder einer
Verlorenen" von Ada Christen. Aber neben diesen literarischen Einflüssen,
denen der junge Dichter damals ausgesetzt war, weil sie mit persönlichen


Prinz Linn von Schöneres-Larolnth

ergriffen Frau von Puttkamer und den Prinzen in jenen Jugendtagen ans das
mächtigste.

In Rom trat Carolath dem sinnentrnnkenen Maler Makart nahe. Der
berauschende Prunk, das tönende Pathos konnte Carolath, oft zum Schaden
seiner Poesie, nie ganz aufgeben. In Italien feierten Sturm und Drang
leidenschaftliche Orgien. Erst am Genfer See, wohl im Frühling 1837, kam seine
wandermüde Sehnsucht zur Ruhe. Seine Vermählung mit Katharina von Knorring
aus schlichtem, edlem estländischen Stamme führte die große Wende in seinen:
Leben herbei.

Nun hatte Carolath den stillen, großzügigen, opfermütigen weiblichen
Charakter gefunden. Blühende Kinder folgten. Sein Aufenthalt, zunächst zu
Palsgaard in Dänemark, dann auf dem ererbten Gut Haseldorf bei Hamburg,
dergastfreiestenStätte für aller KünstlerArt undHerkunft, schien sich überaus glücklich
zu gestalten. Da ergriff ein unheilbares qualvolles Leiden den indes im Sinn eines
dogmenfreien Christentums gläubig gewordenen Menschenfreund. In einen: sozialen
Wirken innigster Nächstenliebe erschöpfte Carolath seine letzten Lebensjahre.
Operation folgte auf Operation. Vom Krankenbett aus, mit den: Bleistift in
der Hand, schrieb er ohne Klage die teilnehmendsten Worte selbst dem entferntesten
seiner Verehrer.

Wenn einmal des Prinzen Briefe erscheinen werden, hoffentlich recht bald,
so wird sich ergeben, daß Schönaich-Carolath als Mensch vielleicht der edelste
Charakter war, den die deutsche Literatur wohl seit langem aufzuweisen hat.

Der drohende Tod schreckte ihn nicht. Monatelang vor dem Ende stand
auf seineu Befehl in: Schloß der bereitgehaltene Sarg. „Ich möchte schlafen",
waren seine letzten Worte am 30. April 1908.




Schönaich-Carolath ist vor allem Lyriker, Lyriker nicht bloß in dem eigent¬
lichen Lied, sondern auch in der Ballade, im Epos, in der Novelle. Stark
persönlich wirksam geht er fast immer von: eigenen Erlebnis aus, und wie
Goethe hätte er von sich sagen können: „Was ich nicht lebte und was mir
nicht auf die Nägel brannte und zu schaffe« machte, habe ich auch nicht gedichtet
und ausgesprochen. Liebesgedichte habe ich nur gemacht, wenn ich liebte."
Der mächtige Wahrheitsgehalt in Carolaths Dichtungen hängt damit auf das
innigste zusammen."

Schon sein frühestes Buch, die 1878 erschienenen „Lieder an eine Verlorene,
ist ein großes Lebensbekenntnis. Sein erstes und letztes Wort darin heißt Weib:
die moderne, entgötterte Frau, die Byron, Heine. Lenau in einen Abgrund
seelischer Zerrissenheit geschleudert hat. die raffinierte Dame der Welt, wie sie
Grisebachs Tannhcinserepen schildern, das dekadente Wesen der „Lieder einer
Verlorenen" von Ada Christen. Aber neben diesen literarischen Einflüssen,
denen der junge Dichter damals ausgesetzt war, weil sie mit persönlichen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/575>, abgerufen am 23.07.2024.