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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Prinz Linn von Schönaich-Larolath

waren. Den "Briefen eines Verstorbenen" von Pückler-Muskau folgten die
"Lieder eines Erwachenden" seines Landsmanns, des Grafen Moritz von Strachwitz.
Die glutvollen, freiheitwerbenden Verse des einem streng katholischen Hause
entstammenden, leider nur allzu früh verstorbenen Edelmanns in des Wortes
reinster Bedeutung wirkten ohne Zweifel nach auf Georg Freiherr" von Dyherrn
aus Glogau, der 1875 zur katholischen Kirche übertrat, heute mit Unrecht selbst
bei seinen Glaubensgenossen vergessen ist.

Hatte Fürst Pückler-Muskau gewissermaßen den Übergang gebildet von
der Romantik zum Junge" Deutschland, so schloß sich am Ende der siebziger
Jahre der junge Prinz Schönaich-Carolath Heine an, um als Neuromautiker
zu enden.

Prinz Emil von Schönaich - Carolath ist ein Nachkomme des von Gottsched
zum Dichter gekrönten, den Germanisten auch heute noch bekannten gleichnamigen
Verfassers der "Ganzen Ästhetik in einer Nuß". Aber mit diesem literarischen
Sonderling hat unser Dichter auch nichts weiter gemein als den bloßen Namen
und die Bande des Blutes. Seine Stellung in der Literaturgeschichte ist bereits
fest begründet. Man wird sie nur näher zu umschreiben und in ihrer sympto¬
matischen Bedeutung für das moderne Kulturleben eingehender zu würdigen
haben. Denn Schönaich-Carolath mit seiner den Tiefen der Volkspoesie im
Sinne Eichendorffs nachspürenden wahrhaft deutschen Seele, mit seiner hohen,
an romanischen und englischen Vorbildern geschulten formellen Begabung ist
nicht nur der literarische Vermittler zwischen den Idealen der Romantik und der
Stilkunst unserer jüngsten Dichter, sondern noch mehr der Pfadfinder, der Weg¬
weiser, der Bahnbrecher für eine neue Zukunft, in der die klassischen Formen
der vollendeten Schönheit beseelt vom Geist der christlichen Romantik die zer¬
klüfteten gesellschaftlichen Zustände durch eine neue Kultur verewigen und wieder
versöhnen sollen. In dein sozialen Ringen der Gegenwart hat er mit ebenso
scharfem Auge wie mit warmfühlendem Herzen sittliche Werte erkannt. Und so
predigt er, als Dichter ein Hohepriester Gottes, gegen die klassenverhetzende
Barbarei eine erbarmungsvolle Menschlichkeit, gegen den Haß die Liebe, gegen
den Streit die Versöhnung, politisch, religiös, literarisch, in allem ein Jreniker
durch und durch.

Geboren zu Breslau am 8. April 185!^, wurde der künftige Dichter schon
in seinen ersten Lebensjahren von guten Genien begleitet. Der Vater, ein aus¬
gezeichneter Musiker, vor allem aber die Mutter, eine vortreffliche Kennerin
fremder Sprachen und Literaturen, weckten frühzeitig seinen für alles Schöne
empfänglichen Sinn. In Breslau sah der Knabe oft Karl von Holtei und
begeisterte sich an Strachwitz und Freiligrath, Eichendorff und Uhland. Seine
ersten poetischen Versuche gerieten nach dem Muster eines damaligen Mode¬
lyrikers, namens Ferrand. Dies hat mir Carolath persönlich eingestanden.

Abwechselnd in Schlesien und in Italien verbrachte er seine erste Jugend.
In Wiesbaden besuchte er das Gymnasium, nicht immer mit Freude an der


Grenzboten III 1910 71
Prinz Linn von Schönaich-Larolath

waren. Den „Briefen eines Verstorbenen" von Pückler-Muskau folgten die
„Lieder eines Erwachenden" seines Landsmanns, des Grafen Moritz von Strachwitz.
Die glutvollen, freiheitwerbenden Verse des einem streng katholischen Hause
entstammenden, leider nur allzu früh verstorbenen Edelmanns in des Wortes
reinster Bedeutung wirkten ohne Zweifel nach auf Georg Freiherr« von Dyherrn
aus Glogau, der 1875 zur katholischen Kirche übertrat, heute mit Unrecht selbst
bei seinen Glaubensgenossen vergessen ist.

Hatte Fürst Pückler-Muskau gewissermaßen den Übergang gebildet von
der Romantik zum Junge» Deutschland, so schloß sich am Ende der siebziger
Jahre der junge Prinz Schönaich-Carolath Heine an, um als Neuromautiker
zu enden.

Prinz Emil von Schönaich - Carolath ist ein Nachkomme des von Gottsched
zum Dichter gekrönten, den Germanisten auch heute noch bekannten gleichnamigen
Verfassers der „Ganzen Ästhetik in einer Nuß". Aber mit diesem literarischen
Sonderling hat unser Dichter auch nichts weiter gemein als den bloßen Namen
und die Bande des Blutes. Seine Stellung in der Literaturgeschichte ist bereits
fest begründet. Man wird sie nur näher zu umschreiben und in ihrer sympto¬
matischen Bedeutung für das moderne Kulturleben eingehender zu würdigen
haben. Denn Schönaich-Carolath mit seiner den Tiefen der Volkspoesie im
Sinne Eichendorffs nachspürenden wahrhaft deutschen Seele, mit seiner hohen,
an romanischen und englischen Vorbildern geschulten formellen Begabung ist
nicht nur der literarische Vermittler zwischen den Idealen der Romantik und der
Stilkunst unserer jüngsten Dichter, sondern noch mehr der Pfadfinder, der Weg¬
weiser, der Bahnbrecher für eine neue Zukunft, in der die klassischen Formen
der vollendeten Schönheit beseelt vom Geist der christlichen Romantik die zer¬
klüfteten gesellschaftlichen Zustände durch eine neue Kultur verewigen und wieder
versöhnen sollen. In dein sozialen Ringen der Gegenwart hat er mit ebenso
scharfem Auge wie mit warmfühlendem Herzen sittliche Werte erkannt. Und so
predigt er, als Dichter ein Hohepriester Gottes, gegen die klassenverhetzende
Barbarei eine erbarmungsvolle Menschlichkeit, gegen den Haß die Liebe, gegen
den Streit die Versöhnung, politisch, religiös, literarisch, in allem ein Jreniker
durch und durch.

Geboren zu Breslau am 8. April 185!^, wurde der künftige Dichter schon
in seinen ersten Lebensjahren von guten Genien begleitet. Der Vater, ein aus¬
gezeichneter Musiker, vor allem aber die Mutter, eine vortreffliche Kennerin
fremder Sprachen und Literaturen, weckten frühzeitig seinen für alles Schöne
empfänglichen Sinn. In Breslau sah der Knabe oft Karl von Holtei und
begeisterte sich an Strachwitz und Freiligrath, Eichendorff und Uhland. Seine
ersten poetischen Versuche gerieten nach dem Muster eines damaligen Mode¬
lyrikers, namens Ferrand. Dies hat mir Carolath persönlich eingestanden.

Abwechselnd in Schlesien und in Italien verbrachte er seine erste Jugend.
In Wiesbaden besuchte er das Gymnasium, nicht immer mit Freude an der


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[0573] Prinz Linn von Schönaich-Larolath waren. Den „Briefen eines Verstorbenen" von Pückler-Muskau folgten die „Lieder eines Erwachenden" seines Landsmanns, des Grafen Moritz von Strachwitz. Die glutvollen, freiheitwerbenden Verse des einem streng katholischen Hause entstammenden, leider nur allzu früh verstorbenen Edelmanns in des Wortes reinster Bedeutung wirkten ohne Zweifel nach auf Georg Freiherr« von Dyherrn aus Glogau, der 1875 zur katholischen Kirche übertrat, heute mit Unrecht selbst bei seinen Glaubensgenossen vergessen ist. Hatte Fürst Pückler-Muskau gewissermaßen den Übergang gebildet von der Romantik zum Junge» Deutschland, so schloß sich am Ende der siebziger Jahre der junge Prinz Schönaich-Carolath Heine an, um als Neuromautiker zu enden. Prinz Emil von Schönaich - Carolath ist ein Nachkomme des von Gottsched zum Dichter gekrönten, den Germanisten auch heute noch bekannten gleichnamigen Verfassers der „Ganzen Ästhetik in einer Nuß". Aber mit diesem literarischen Sonderling hat unser Dichter auch nichts weiter gemein als den bloßen Namen und die Bande des Blutes. Seine Stellung in der Literaturgeschichte ist bereits fest begründet. Man wird sie nur näher zu umschreiben und in ihrer sympto¬ matischen Bedeutung für das moderne Kulturleben eingehender zu würdigen haben. Denn Schönaich-Carolath mit seiner den Tiefen der Volkspoesie im Sinne Eichendorffs nachspürenden wahrhaft deutschen Seele, mit seiner hohen, an romanischen und englischen Vorbildern geschulten formellen Begabung ist nicht nur der literarische Vermittler zwischen den Idealen der Romantik und der Stilkunst unserer jüngsten Dichter, sondern noch mehr der Pfadfinder, der Weg¬ weiser, der Bahnbrecher für eine neue Zukunft, in der die klassischen Formen der vollendeten Schönheit beseelt vom Geist der christlichen Romantik die zer¬ klüfteten gesellschaftlichen Zustände durch eine neue Kultur verewigen und wieder versöhnen sollen. In dein sozialen Ringen der Gegenwart hat er mit ebenso scharfem Auge wie mit warmfühlendem Herzen sittliche Werte erkannt. Und so predigt er, als Dichter ein Hohepriester Gottes, gegen die klassenverhetzende Barbarei eine erbarmungsvolle Menschlichkeit, gegen den Haß die Liebe, gegen den Streit die Versöhnung, politisch, religiös, literarisch, in allem ein Jreniker durch und durch. Geboren zu Breslau am 8. April 185!^, wurde der künftige Dichter schon in seinen ersten Lebensjahren von guten Genien begleitet. Der Vater, ein aus¬ gezeichneter Musiker, vor allem aber die Mutter, eine vortreffliche Kennerin fremder Sprachen und Literaturen, weckten frühzeitig seinen für alles Schöne empfänglichen Sinn. In Breslau sah der Knabe oft Karl von Holtei und begeisterte sich an Strachwitz und Freiligrath, Eichendorff und Uhland. Seine ersten poetischen Versuche gerieten nach dem Muster eines damaligen Mode¬ lyrikers, namens Ferrand. Dies hat mir Carolath persönlich eingestanden. Abwechselnd in Schlesien und in Italien verbrachte er seine erste Jugend. In Wiesbaden besuchte er das Gymnasium, nicht immer mit Freude an der Grenzboten III 1910 71

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/573>, abgerufen am 25.08.2024.