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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Römisches, Allzurömisches

Leider kein falsches Zeugnis, wie ich nach meinen sonstigen Beobachtungen
gestehen muß^

Das Dekret ist ein neuer Beweis für eine Tendenz im Katholizismus,
die sich in ihrer Gefährlichkeit an dem gleichen Gegenstand zu erkennen gibt.
Pius der Zehnte hat schon eine Reihe von Anordnungen getroffen, die auf
verschiedenen Gebieten einheitliche Formen herstellen sollen; ich erinnere nur
an die Einführung des vatikanischen Choralmusters, an die (für Deutschland
wirkungslose) Reform des christlichen Unterrichts, an die praktischen Maßnahmen
gegen die Ausbreitung des Modernismus, die der Schlußteil der Enzyklika
Pascendi enthält. Die Tendenz, die sich darin ausdrückt, ist die einer fort¬
schreitenden Zentralisation. Ihre Existenz ist von mir keineswegs neu entdeckt
worden, man hat auch früher vielfach gegen sie gekämpft. Heute wagt niemand
mehr, in gewissen kirchlichen Erscheinungen die Folgen der zentralisierenden
Entwicklung zu sehen. Zur gründlichen Erkenntnis des Übels wird man wohl
gelangt sein, wenn alles schematisiert und uniformiert, an lebendigem Gehalt
aber verarmt ist. Was das neue Dekret vereinheitlichen will, läßt sich nur unter
Anpassung an die nationalen Verhältnisse und Bedürfnisse regeln. Entweder
fällt es also unbeachtet unter den Tisch oder es übt einen ungesunden Zwang
aus. -- Auch die bedenklichste Begleiterscheinung der unbedingten Zentralisation
Zeigt sich an dein Dekret. Man wird sich erinnern, daß sich in den letzten
Jahren die katholische Presse Deutschlands mehrfach durch die Wendung "nur
für Italien gültig" aus Verlegenheiten zog, die ihr römische Erlasse bereitet
hatten. In Wirklichkeit waren solche Erlasse durchweg für die ganze Welt
bestimmt, aber so einseitig auf Italiens Zustände zugeschnitten, daß den deutschen
Katholiken kein anderer Ausweg blieb. Zentralisierung ist naturnotwendig
immer ein Stück Roinanisierung. Wenigstens unter Pius dem Zehnten, der
selber nur italienische Verhältnisse kennt und zuverlässiger Informationen von
jenseits der Grenzpfähle anscheinend völlig entbehrt. Wer einigermaßen die
religiös-kirchlichen Gepflogenheiten Italiens kennt, merkt dem Dekret an jeder
Zeile das italienische Maß an. Es ist in vollkommener Ahnungslosigkeit von
dem Charakter der Erstkommunion in Deutschland verfaßt. Es geht aber weiter
von einer theologischen Auffassung aus, die unseren: religiösen Empfinden
widerspricht. Es ist katholische Lehre, daß die Gnadenwirkung des Sakramentes
den Willen, also die aktive Mitwirkung des Empfängers voraussetzt. Ein
Sakrament ist keineswegs ein Zaubermittel, das man nur dem Getauften zu
applizieren braucht, um ihn an Gnade zu bereichern. Dem romanischen Volks¬
charakter entsprechend legt man nun in Italien das Hauptgewicht beim Sakramenten¬
empfang auf das äußere Geschehen, in unserem Falle also auf den Genuß des
Leibes Christi. Unsere germanische Religiosität verlangt eine möglichst hohe
Anspannung der eigenen Persönlichkeit, eine entschiedene Aktivität, um die
sakramentale Vereinigung mit Gott wirklich wertvoll und fruchtbar zu machen,
^ir verlangen darum eine gewisse Altersreife; wir neigen eher dazu, das


Römisches, Allzurömisches

Leider kein falsches Zeugnis, wie ich nach meinen sonstigen Beobachtungen
gestehen muß^

Das Dekret ist ein neuer Beweis für eine Tendenz im Katholizismus,
die sich in ihrer Gefährlichkeit an dem gleichen Gegenstand zu erkennen gibt.
Pius der Zehnte hat schon eine Reihe von Anordnungen getroffen, die auf
verschiedenen Gebieten einheitliche Formen herstellen sollen; ich erinnere nur
an die Einführung des vatikanischen Choralmusters, an die (für Deutschland
wirkungslose) Reform des christlichen Unterrichts, an die praktischen Maßnahmen
gegen die Ausbreitung des Modernismus, die der Schlußteil der Enzyklika
Pascendi enthält. Die Tendenz, die sich darin ausdrückt, ist die einer fort¬
schreitenden Zentralisation. Ihre Existenz ist von mir keineswegs neu entdeckt
worden, man hat auch früher vielfach gegen sie gekämpft. Heute wagt niemand
mehr, in gewissen kirchlichen Erscheinungen die Folgen der zentralisierenden
Entwicklung zu sehen. Zur gründlichen Erkenntnis des Übels wird man wohl
gelangt sein, wenn alles schematisiert und uniformiert, an lebendigem Gehalt
aber verarmt ist. Was das neue Dekret vereinheitlichen will, läßt sich nur unter
Anpassung an die nationalen Verhältnisse und Bedürfnisse regeln. Entweder
fällt es also unbeachtet unter den Tisch oder es übt einen ungesunden Zwang
aus. — Auch die bedenklichste Begleiterscheinung der unbedingten Zentralisation
Zeigt sich an dein Dekret. Man wird sich erinnern, daß sich in den letzten
Jahren die katholische Presse Deutschlands mehrfach durch die Wendung „nur
für Italien gültig" aus Verlegenheiten zog, die ihr römische Erlasse bereitet
hatten. In Wirklichkeit waren solche Erlasse durchweg für die ganze Welt
bestimmt, aber so einseitig auf Italiens Zustände zugeschnitten, daß den deutschen
Katholiken kein anderer Ausweg blieb. Zentralisierung ist naturnotwendig
immer ein Stück Roinanisierung. Wenigstens unter Pius dem Zehnten, der
selber nur italienische Verhältnisse kennt und zuverlässiger Informationen von
jenseits der Grenzpfähle anscheinend völlig entbehrt. Wer einigermaßen die
religiös-kirchlichen Gepflogenheiten Italiens kennt, merkt dem Dekret an jeder
Zeile das italienische Maß an. Es ist in vollkommener Ahnungslosigkeit von
dem Charakter der Erstkommunion in Deutschland verfaßt. Es geht aber weiter
von einer theologischen Auffassung aus, die unseren: religiösen Empfinden
widerspricht. Es ist katholische Lehre, daß die Gnadenwirkung des Sakramentes
den Willen, also die aktive Mitwirkung des Empfängers voraussetzt. Ein
Sakrament ist keineswegs ein Zaubermittel, das man nur dem Getauften zu
applizieren braucht, um ihn an Gnade zu bereichern. Dem romanischen Volks¬
charakter entsprechend legt man nun in Italien das Hauptgewicht beim Sakramenten¬
empfang auf das äußere Geschehen, in unserem Falle also auf den Genuß des
Leibes Christi. Unsere germanische Religiosität verlangt eine möglichst hohe
Anspannung der eigenen Persönlichkeit, eine entschiedene Aktivität, um die
sakramentale Vereinigung mit Gott wirklich wertvoll und fruchtbar zu machen,
^ir verlangen darum eine gewisse Altersreife; wir neigen eher dazu, das


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[0569] Römisches, Allzurömisches Leider kein falsches Zeugnis, wie ich nach meinen sonstigen Beobachtungen gestehen muß^ Das Dekret ist ein neuer Beweis für eine Tendenz im Katholizismus, die sich in ihrer Gefährlichkeit an dem gleichen Gegenstand zu erkennen gibt. Pius der Zehnte hat schon eine Reihe von Anordnungen getroffen, die auf verschiedenen Gebieten einheitliche Formen herstellen sollen; ich erinnere nur an die Einführung des vatikanischen Choralmusters, an die (für Deutschland wirkungslose) Reform des christlichen Unterrichts, an die praktischen Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Modernismus, die der Schlußteil der Enzyklika Pascendi enthält. Die Tendenz, die sich darin ausdrückt, ist die einer fort¬ schreitenden Zentralisation. Ihre Existenz ist von mir keineswegs neu entdeckt worden, man hat auch früher vielfach gegen sie gekämpft. Heute wagt niemand mehr, in gewissen kirchlichen Erscheinungen die Folgen der zentralisierenden Entwicklung zu sehen. Zur gründlichen Erkenntnis des Übels wird man wohl gelangt sein, wenn alles schematisiert und uniformiert, an lebendigem Gehalt aber verarmt ist. Was das neue Dekret vereinheitlichen will, läßt sich nur unter Anpassung an die nationalen Verhältnisse und Bedürfnisse regeln. Entweder fällt es also unbeachtet unter den Tisch oder es übt einen ungesunden Zwang aus. — Auch die bedenklichste Begleiterscheinung der unbedingten Zentralisation Zeigt sich an dein Dekret. Man wird sich erinnern, daß sich in den letzten Jahren die katholische Presse Deutschlands mehrfach durch die Wendung „nur für Italien gültig" aus Verlegenheiten zog, die ihr römische Erlasse bereitet hatten. In Wirklichkeit waren solche Erlasse durchweg für die ganze Welt bestimmt, aber so einseitig auf Italiens Zustände zugeschnitten, daß den deutschen Katholiken kein anderer Ausweg blieb. Zentralisierung ist naturnotwendig immer ein Stück Roinanisierung. Wenigstens unter Pius dem Zehnten, der selber nur italienische Verhältnisse kennt und zuverlässiger Informationen von jenseits der Grenzpfähle anscheinend völlig entbehrt. Wer einigermaßen die religiös-kirchlichen Gepflogenheiten Italiens kennt, merkt dem Dekret an jeder Zeile das italienische Maß an. Es ist in vollkommener Ahnungslosigkeit von dem Charakter der Erstkommunion in Deutschland verfaßt. Es geht aber weiter von einer theologischen Auffassung aus, die unseren: religiösen Empfinden widerspricht. Es ist katholische Lehre, daß die Gnadenwirkung des Sakramentes den Willen, also die aktive Mitwirkung des Empfängers voraussetzt. Ein Sakrament ist keineswegs ein Zaubermittel, das man nur dem Getauften zu applizieren braucht, um ihn an Gnade zu bereichern. Dem romanischen Volks¬ charakter entsprechend legt man nun in Italien das Hauptgewicht beim Sakramenten¬ empfang auf das äußere Geschehen, in unserem Falle also auf den Genuß des Leibes Christi. Unsere germanische Religiosität verlangt eine möglichst hohe Anspannung der eigenen Persönlichkeit, eine entschiedene Aktivität, um die sakramentale Vereinigung mit Gott wirklich wertvoll und fruchtbar zu machen, ^ir verlangen darum eine gewisse Altersreife; wir neigen eher dazu, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/569>, abgerufen am 25.08.2024.