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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Römisches, Allzurömischcs

Straßburger Domkapitel wollte das Alter für die Erstkommunion auf vierzehn
Jahre festsetzen, der Bischof hielt ein Alter von zwölf Jahren für ausreichend.
(Zwölf bis dreizehn Jahre ist das in Deutschland gebräuchliche Alter.) Die
Entscheidung der Sakramentskongregation wurde angerufen, die Antwort war
das Dekret, das Gültigkeit für die gesamte katholische Welt hat. Das Dekret
legt dar: es genüge, daß die Kinder mit den religiösen Grundwahrheiten bekannt
wären und das Sakrament von gewöhnlichem Brot unterscheiden könnten. Wer
im Empfang des Abendmahls einen religiösen Akt sieht, wird diese Begründung
schwer verstehen; er muß annehmen, daß die Katholiken einen recht niedrigen
Begriff vom Mittelpunkt ihres Kultus, vom Altarssakrament haben. Was die
deutschen Katholiken in Wirklichkeit über die Neuerung denken, wird ja in der
Öffentlichkeit nicht bekannt. Nur die erwähnten Blätter, die unbesehen alles
preisen, was von hierarchischen Stellen ausgeht, waren wieder auf dem Plan.
Aus Frankreich, Österreich und der Schweiz sind mir Preßäußerungen gegen
die Neuerung bekannt geworden. Alles, was einsichtige katholische Blätter in
Deutschland tun, ist, daß sie das Dekret nicht veröffentlichen und die "Aus¬
führungsbestimmungen" abwarten. Die Ausführungsbestimmungen bestehen in
den Konzessionen, die voraussichtlich die deutschen Bischöfe erlangen werden, --
erlangen müssen, wenn sie nicht eine wahre Revolution in allen Gemeinden
hervorrufen wollen. Es handelt sich nicht um eine äußerliche Gewohnheit,
so wie man hier die Kinder mit drei Tagen, dort mit vierzehn Tagen zu taufen
pflegt. Der Tag der Erstkommunion ist für das reifende Kind und für die
katholische Familie ein religiöses Ereignis, dessen Wirkungen meist bis ins Greisen¬
alter dauern und oft auf die Umgebung übergreifen. Dementsprechend ist auch die
Stimmung, die das Dekret unter den Katholiken erweckthat. Aber -- sie bleibt im
Verborgenen, und in Ergebung wartet man ab, was die Bischöfe in Rom erreichen
werden. Wenn schon die Furcht vor dem offenen Wort überhaupt alles beherrscht, so
erst recht die Scheu vor einer Meinungsäußerung in sogenannten "inner¬
kirchlichen" Angelegenheiten. Der Klerus betrachtet sie als Dinge, die nicht
vor das Laienpublikum gehören, und die Laien haben sich daran gewöhnt, das
religiöse Denken und Wollen den Theologen zu überlassen. Die Aufnahme
des Dekrets beleuchtet diese Tatsache sehr grell. Einem tiefpersönlichen Glauben
an das Altarssakrament kann es doch nicht gleichgültig sein, welche theologische
Auffassung darüber verbreitet wird. In meinem religiösen Innenleben nimmt
die Eucharistie die Stelle des ersten und reichsten Kraftursprungs ein. Darum
ist es mir überaus schmerzlich, daß meine Glaubensüberzeugung mit den Gesichts¬
punkten des Dekrets nicht in Einklang zu bringen ist. Und wenn ich Kinder
hätte, zwänge mich zudem mein Vatergewissen, mich mit derartigen kirchlichen
Anordnungen auseinanderzusetzen. Können denn Dinge, die so tief ins Innere
der Persönlichkeit eingreifen, einer sachverständigen Instanz, der Theologie, zur
alleinigen Behandlung überlassen bleiben? Diese Selbstentäußerung der
Laien ist das denkbar schlechteste Zeugnis für ihre individuelle Religiosität.


Römisches, Allzurömischcs

Straßburger Domkapitel wollte das Alter für die Erstkommunion auf vierzehn
Jahre festsetzen, der Bischof hielt ein Alter von zwölf Jahren für ausreichend.
(Zwölf bis dreizehn Jahre ist das in Deutschland gebräuchliche Alter.) Die
Entscheidung der Sakramentskongregation wurde angerufen, die Antwort war
das Dekret, das Gültigkeit für die gesamte katholische Welt hat. Das Dekret
legt dar: es genüge, daß die Kinder mit den religiösen Grundwahrheiten bekannt
wären und das Sakrament von gewöhnlichem Brot unterscheiden könnten. Wer
im Empfang des Abendmahls einen religiösen Akt sieht, wird diese Begründung
schwer verstehen; er muß annehmen, daß die Katholiken einen recht niedrigen
Begriff vom Mittelpunkt ihres Kultus, vom Altarssakrament haben. Was die
deutschen Katholiken in Wirklichkeit über die Neuerung denken, wird ja in der
Öffentlichkeit nicht bekannt. Nur die erwähnten Blätter, die unbesehen alles
preisen, was von hierarchischen Stellen ausgeht, waren wieder auf dem Plan.
Aus Frankreich, Österreich und der Schweiz sind mir Preßäußerungen gegen
die Neuerung bekannt geworden. Alles, was einsichtige katholische Blätter in
Deutschland tun, ist, daß sie das Dekret nicht veröffentlichen und die „Aus¬
führungsbestimmungen" abwarten. Die Ausführungsbestimmungen bestehen in
den Konzessionen, die voraussichtlich die deutschen Bischöfe erlangen werden, —
erlangen müssen, wenn sie nicht eine wahre Revolution in allen Gemeinden
hervorrufen wollen. Es handelt sich nicht um eine äußerliche Gewohnheit,
so wie man hier die Kinder mit drei Tagen, dort mit vierzehn Tagen zu taufen
pflegt. Der Tag der Erstkommunion ist für das reifende Kind und für die
katholische Familie ein religiöses Ereignis, dessen Wirkungen meist bis ins Greisen¬
alter dauern und oft auf die Umgebung übergreifen. Dementsprechend ist auch die
Stimmung, die das Dekret unter den Katholiken erweckthat. Aber — sie bleibt im
Verborgenen, und in Ergebung wartet man ab, was die Bischöfe in Rom erreichen
werden. Wenn schon die Furcht vor dem offenen Wort überhaupt alles beherrscht, so
erst recht die Scheu vor einer Meinungsäußerung in sogenannten „inner¬
kirchlichen" Angelegenheiten. Der Klerus betrachtet sie als Dinge, die nicht
vor das Laienpublikum gehören, und die Laien haben sich daran gewöhnt, das
religiöse Denken und Wollen den Theologen zu überlassen. Die Aufnahme
des Dekrets beleuchtet diese Tatsache sehr grell. Einem tiefpersönlichen Glauben
an das Altarssakrament kann es doch nicht gleichgültig sein, welche theologische
Auffassung darüber verbreitet wird. In meinem religiösen Innenleben nimmt
die Eucharistie die Stelle des ersten und reichsten Kraftursprungs ein. Darum
ist es mir überaus schmerzlich, daß meine Glaubensüberzeugung mit den Gesichts¬
punkten des Dekrets nicht in Einklang zu bringen ist. Und wenn ich Kinder
hätte, zwänge mich zudem mein Vatergewissen, mich mit derartigen kirchlichen
Anordnungen auseinanderzusetzen. Können denn Dinge, die so tief ins Innere
der Persönlichkeit eingreifen, einer sachverständigen Instanz, der Theologie, zur
alleinigen Behandlung überlassen bleiben? Diese Selbstentäußerung der
Laien ist das denkbar schlechteste Zeugnis für ihre individuelle Religiosität.


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[0568] Römisches, Allzurömischcs Straßburger Domkapitel wollte das Alter für die Erstkommunion auf vierzehn Jahre festsetzen, der Bischof hielt ein Alter von zwölf Jahren für ausreichend. (Zwölf bis dreizehn Jahre ist das in Deutschland gebräuchliche Alter.) Die Entscheidung der Sakramentskongregation wurde angerufen, die Antwort war das Dekret, das Gültigkeit für die gesamte katholische Welt hat. Das Dekret legt dar: es genüge, daß die Kinder mit den religiösen Grundwahrheiten bekannt wären und das Sakrament von gewöhnlichem Brot unterscheiden könnten. Wer im Empfang des Abendmahls einen religiösen Akt sieht, wird diese Begründung schwer verstehen; er muß annehmen, daß die Katholiken einen recht niedrigen Begriff vom Mittelpunkt ihres Kultus, vom Altarssakrament haben. Was die deutschen Katholiken in Wirklichkeit über die Neuerung denken, wird ja in der Öffentlichkeit nicht bekannt. Nur die erwähnten Blätter, die unbesehen alles preisen, was von hierarchischen Stellen ausgeht, waren wieder auf dem Plan. Aus Frankreich, Österreich und der Schweiz sind mir Preßäußerungen gegen die Neuerung bekannt geworden. Alles, was einsichtige katholische Blätter in Deutschland tun, ist, daß sie das Dekret nicht veröffentlichen und die „Aus¬ führungsbestimmungen" abwarten. Die Ausführungsbestimmungen bestehen in den Konzessionen, die voraussichtlich die deutschen Bischöfe erlangen werden, — erlangen müssen, wenn sie nicht eine wahre Revolution in allen Gemeinden hervorrufen wollen. Es handelt sich nicht um eine äußerliche Gewohnheit, so wie man hier die Kinder mit drei Tagen, dort mit vierzehn Tagen zu taufen pflegt. Der Tag der Erstkommunion ist für das reifende Kind und für die katholische Familie ein religiöses Ereignis, dessen Wirkungen meist bis ins Greisen¬ alter dauern und oft auf die Umgebung übergreifen. Dementsprechend ist auch die Stimmung, die das Dekret unter den Katholiken erweckthat. Aber — sie bleibt im Verborgenen, und in Ergebung wartet man ab, was die Bischöfe in Rom erreichen werden. Wenn schon die Furcht vor dem offenen Wort überhaupt alles beherrscht, so erst recht die Scheu vor einer Meinungsäußerung in sogenannten „inner¬ kirchlichen" Angelegenheiten. Der Klerus betrachtet sie als Dinge, die nicht vor das Laienpublikum gehören, und die Laien haben sich daran gewöhnt, das religiöse Denken und Wollen den Theologen zu überlassen. Die Aufnahme des Dekrets beleuchtet diese Tatsache sehr grell. Einem tiefpersönlichen Glauben an das Altarssakrament kann es doch nicht gleichgültig sein, welche theologische Auffassung darüber verbreitet wird. In meinem religiösen Innenleben nimmt die Eucharistie die Stelle des ersten und reichsten Kraftursprungs ein. Darum ist es mir überaus schmerzlich, daß meine Glaubensüberzeugung mit den Gesichts¬ punkten des Dekrets nicht in Einklang zu bringen ist. Und wenn ich Kinder hätte, zwänge mich zudem mein Vatergewissen, mich mit derartigen kirchlichen Anordnungen auseinanderzusetzen. Können denn Dinge, die so tief ins Innere der Persönlichkeit eingreifen, einer sachverständigen Instanz, der Theologie, zur alleinigen Behandlung überlassen bleiben? Diese Selbstentäußerung der Laien ist das denkbar schlechteste Zeugnis für ihre individuelle Religiosität.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/568>, abgerufen am 23.07.2024.