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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

mit Überlegung handelnden Schützen Tell den Johann Parricida gegenüberstellt.
Nicht immer freilich wird das patriotische Motiv die Tötung zum Begriff des
Todschlages mildern. So sind uns Mörder um ihrer bedienten Tat willen der
grimme Hagen sowie Junius Brutus.

Danach wird man von dem allgemeinen Tötungsdelikt, welches weiter die
eingebürgerte Bezeichnung "Totschlag" führen könnte. Fälle trennen können, die
sich nach ihrer Begehungsart, nach dem Motive wie dem Zwecke der Tat als
besonders schwere darstellen, wird diese als "Mord" bezeichnen und auf sie
Todesstrafe und lebenslängliches Zuchthaus neben der Zuchthausstrafe von zehn
Jahren aufwärts androhen. Wann dann Mord vorliegt, ist quaestio tanti,
aber eben darum ist diese Bestimmung nicht so kasuistisch wie die Stooß', trotz
der drei Gruppen von Tötungsfällen, die sie in sich bürgt.

Bei einer solchen Formulierung werden die Elemente von der Todesstrafe
getroffen werden, die sich als die gemeingefährlichsten darstellen, welche den
höchsten Grad von antisozialer Gesinnung bewiesen haben, sei es, daß diese in
ihrem überlegten Handeln liegt, sei es, daß sie so minderwertig sind, daß sie
sich kein Gewissen daraus machen, ohne Überlegung ein fremdes Menschenleben
zu vernichten.

Der jetzige Z 214 V.E. wird alsdann entbehrlich sein, da er nur einen
Einzelfall der Tötung unter erschwerenden Umständen darstellt. Wer nämlich
bei Ausführung eines anderen Verbrechens, um Hindernisse zu beseitigen oder
sich den Erfolg der Tat zu sichern oder sich nicht ergreifen zu lassen, einen
Totschlag begeht, soll nach § 214 V.E. mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren
oder lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden (während sonst auf Totschlag
Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen sogar Gefängnis
nicht unter einem Jahre steht). Sollte dieser Paragraph aber aufrecht erhalten
bleiben, so wird diese schärfere Bestrafung nicht bloß anzuwenden sein, wenn
der Täter den Totschlag bei Unternehmung eines anderen Verbrechens begeht,
sondern auch wenn er ihn bei Ausübung eines Vergehens oder einer Übertretung
verübt. Die gegenteilige Ansicht des Vorentwurfs, daß in diesen Fällen die
Anwendung der sehr schweren Strafe zu weitgehend erscheint, beruht auf einem
Trugschluß. Wer bei Begehung eines Verbrechens abgefaßt wird und zur Waffe
greift, kämpft wenigstens, um einer langjährigen Zuchthausstrafe zu entgehen;
wer aber, nur bei einem Vergehen oder einer Übertretung betroffen, sich nicht
scheut, ein Menschenleben zu opfern, damit er eine geringere Gefängnisstrafe
oder womöglich eine Geldstrafe vermeide, der beweist meines Erachtens eine
viel antisozialere Gesinnung als der bei dem Verbrechen Abgefaßte.

Zustimmen wird man dem Entwürfe darin, wenn er die Tötung eines
Verwandten aufsteigender Linie nicht mehr als erschwerenden Umstand ansehen
will, weil gerade die Familientragödien, welche mit der Tötung des Vaters
oder der Mutter endigen, ihren letzten Grund meist in dem Verhalten des
Getöteten selbst haben. Ebenso lehnt der Vorentwurf mit Recht die Schaffung


Kritische Aufsätze

mit Überlegung handelnden Schützen Tell den Johann Parricida gegenüberstellt.
Nicht immer freilich wird das patriotische Motiv die Tötung zum Begriff des
Todschlages mildern. So sind uns Mörder um ihrer bedienten Tat willen der
grimme Hagen sowie Junius Brutus.

Danach wird man von dem allgemeinen Tötungsdelikt, welches weiter die
eingebürgerte Bezeichnung „Totschlag" führen könnte. Fälle trennen können, die
sich nach ihrer Begehungsart, nach dem Motive wie dem Zwecke der Tat als
besonders schwere darstellen, wird diese als „Mord" bezeichnen und auf sie
Todesstrafe und lebenslängliches Zuchthaus neben der Zuchthausstrafe von zehn
Jahren aufwärts androhen. Wann dann Mord vorliegt, ist quaestio tanti,
aber eben darum ist diese Bestimmung nicht so kasuistisch wie die Stooß', trotz
der drei Gruppen von Tötungsfällen, die sie in sich bürgt.

Bei einer solchen Formulierung werden die Elemente von der Todesstrafe
getroffen werden, die sich als die gemeingefährlichsten darstellen, welche den
höchsten Grad von antisozialer Gesinnung bewiesen haben, sei es, daß diese in
ihrem überlegten Handeln liegt, sei es, daß sie so minderwertig sind, daß sie
sich kein Gewissen daraus machen, ohne Überlegung ein fremdes Menschenleben
zu vernichten.

Der jetzige Z 214 V.E. wird alsdann entbehrlich sein, da er nur einen
Einzelfall der Tötung unter erschwerenden Umständen darstellt. Wer nämlich
bei Ausführung eines anderen Verbrechens, um Hindernisse zu beseitigen oder
sich den Erfolg der Tat zu sichern oder sich nicht ergreifen zu lassen, einen
Totschlag begeht, soll nach § 214 V.E. mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren
oder lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden (während sonst auf Totschlag
Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen sogar Gefängnis
nicht unter einem Jahre steht). Sollte dieser Paragraph aber aufrecht erhalten
bleiben, so wird diese schärfere Bestrafung nicht bloß anzuwenden sein, wenn
der Täter den Totschlag bei Unternehmung eines anderen Verbrechens begeht,
sondern auch wenn er ihn bei Ausübung eines Vergehens oder einer Übertretung
verübt. Die gegenteilige Ansicht des Vorentwurfs, daß in diesen Fällen die
Anwendung der sehr schweren Strafe zu weitgehend erscheint, beruht auf einem
Trugschluß. Wer bei Begehung eines Verbrechens abgefaßt wird und zur Waffe
greift, kämpft wenigstens, um einer langjährigen Zuchthausstrafe zu entgehen;
wer aber, nur bei einem Vergehen oder einer Übertretung betroffen, sich nicht
scheut, ein Menschenleben zu opfern, damit er eine geringere Gefängnisstrafe
oder womöglich eine Geldstrafe vermeide, der beweist meines Erachtens eine
viel antisozialere Gesinnung als der bei dem Verbrechen Abgefaßte.

Zustimmen wird man dem Entwürfe darin, wenn er die Tötung eines
Verwandten aufsteigender Linie nicht mehr als erschwerenden Umstand ansehen
will, weil gerade die Familientragödien, welche mit der Tötung des Vaters
oder der Mutter endigen, ihren letzten Grund meist in dem Verhalten des
Getöteten selbst haben. Ebenso lehnt der Vorentwurf mit Recht die Schaffung


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[0538] Kritische Aufsätze mit Überlegung handelnden Schützen Tell den Johann Parricida gegenüberstellt. Nicht immer freilich wird das patriotische Motiv die Tötung zum Begriff des Todschlages mildern. So sind uns Mörder um ihrer bedienten Tat willen der grimme Hagen sowie Junius Brutus. Danach wird man von dem allgemeinen Tötungsdelikt, welches weiter die eingebürgerte Bezeichnung „Totschlag" führen könnte. Fälle trennen können, die sich nach ihrer Begehungsart, nach dem Motive wie dem Zwecke der Tat als besonders schwere darstellen, wird diese als „Mord" bezeichnen und auf sie Todesstrafe und lebenslängliches Zuchthaus neben der Zuchthausstrafe von zehn Jahren aufwärts androhen. Wann dann Mord vorliegt, ist quaestio tanti, aber eben darum ist diese Bestimmung nicht so kasuistisch wie die Stooß', trotz der drei Gruppen von Tötungsfällen, die sie in sich bürgt. Bei einer solchen Formulierung werden die Elemente von der Todesstrafe getroffen werden, die sich als die gemeingefährlichsten darstellen, welche den höchsten Grad von antisozialer Gesinnung bewiesen haben, sei es, daß diese in ihrem überlegten Handeln liegt, sei es, daß sie so minderwertig sind, daß sie sich kein Gewissen daraus machen, ohne Überlegung ein fremdes Menschenleben zu vernichten. Der jetzige Z 214 V.E. wird alsdann entbehrlich sein, da er nur einen Einzelfall der Tötung unter erschwerenden Umständen darstellt. Wer nämlich bei Ausführung eines anderen Verbrechens, um Hindernisse zu beseitigen oder sich den Erfolg der Tat zu sichern oder sich nicht ergreifen zu lassen, einen Totschlag begeht, soll nach § 214 V.E. mit Zuchthaus nicht unter fünf Jahren oder lebenslänglichem Zuchthaus bestraft werden (während sonst auf Totschlag Zuchthaus nicht unter zwei Jahren, bei mildernden Umständen sogar Gefängnis nicht unter einem Jahre steht). Sollte dieser Paragraph aber aufrecht erhalten bleiben, so wird diese schärfere Bestrafung nicht bloß anzuwenden sein, wenn der Täter den Totschlag bei Unternehmung eines anderen Verbrechens begeht, sondern auch wenn er ihn bei Ausübung eines Vergehens oder einer Übertretung verübt. Die gegenteilige Ansicht des Vorentwurfs, daß in diesen Fällen die Anwendung der sehr schweren Strafe zu weitgehend erscheint, beruht auf einem Trugschluß. Wer bei Begehung eines Verbrechens abgefaßt wird und zur Waffe greift, kämpft wenigstens, um einer langjährigen Zuchthausstrafe zu entgehen; wer aber, nur bei einem Vergehen oder einer Übertretung betroffen, sich nicht scheut, ein Menschenleben zu opfern, damit er eine geringere Gefängnisstrafe oder womöglich eine Geldstrafe vermeide, der beweist meines Erachtens eine viel antisozialere Gesinnung als der bei dem Verbrechen Abgefaßte. Zustimmen wird man dem Entwürfe darin, wenn er die Tötung eines Verwandten aufsteigender Linie nicht mehr als erschwerenden Umstand ansehen will, weil gerade die Familientragödien, welche mit der Tötung des Vaters oder der Mutter endigen, ihren letzten Grund meist in dem Verhalten des Getöteten selbst haben. Ebenso lehnt der Vorentwurf mit Recht die Schaffung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/538>, abgerufen am 23.07.2024.