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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

eine Umfrage über Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe veranstaltet
mit dem Resultate, daß Männer wie Häckel, Heyse. Kohler. Richard Voß. Max
Nordau. Ernst von Wolzogen. Graf Posadowsky, Prinz Heinrich Carolath u. a. in.,
deren liberale Gesamtweltanschauung gewiß nicht bestritten werden kann, sich
für ihre Beibehaltung ausgesprochen haben. Sie haben eben die Frage nach
den kriminellen Erfahrungen des letzten Menschenalters und nicht nach einer
politischen Dogmenschablone beantwortet. So steht zu hoffen, daß die Todes¬
strafe ohne große Schwierigkeiten auch in das neue Strafgesetzbuch übergehen
wird. Es trifft noch immer zu, was Wismarer in seiner Neichstagsrede vom
1. März 1870 zur Verteidigung der Todesstrafe angeführt hat: "Was ist
denn der Grund, weshalb Sie im Belagerungszustände und, wie ich nicht
Zweifle, im Heere, auf der Marine, da. wo es Ihnen darauf ankommt, daß
Ruhe. Ordnung und Gehorsam gegen das Gesetz unbedingt sichergestellt werden,
auch Sie die Todesstrafe beibehalten wollen? Doch wohl, weil Sie dieser
Strafart eine noch energischere Wirkung zuschreiben als der Aussicht auf eine
Einsperrung mit möglicher Begnadigung und Befreiung. Wenn Sie das aber
Zugehen, daß nur um eines Haares Breite mehr Schutz für den friedlichen
Bürger darin liegt, dann sind Sie dem friedlichen Bürger schuldig, daß Sie
ihm dieses Mehr von Schutz, welches die Gesetzgebung gegen Räuber und
Mörder geben kann, auch geben!" -- Den Sentimentalen aber, die es nicht
fassen können, wie man sich für eine solche mittelalterliche Barbarei erwärmen
könne, sei das Wort des geistreichen Franzosen geantwortet: "t)ne Messieurs
>S8 Ä88a8sin8 commenLönt!" (nämlich mit der Abschaffung der Tötung). Wie
einseitig die Gegner der Todesstrafe in ihren Sympathien für den armen
Hinzurichtenden sind, und wie sehr sie darüber das Menschenleben vergessen,
welches der Delinquent hingemordet hat. dafür bietet den interessantesten Beleg
die berühmte, von den Gegnern der Todesstrafe so gern zitierte Studie Victor
Hugos "Die letzten Stunden eines zum Tode Verurteilten". Der Dichter führt
uns wohl mit dem Verurteilten durch alle Abgründe der Angst und Verzweiflung,
was wir aber bezeichnenderweise nicht erfahren, das ist: warum dieser Mensch
Zum Tode verurteilt wordeu ist, wie der Mord aussah, um dessen willen ihm
"in Leben wiedervergolten wird. Wüßten wir dies, so würde vielleicht der
ganze von Victor Hugo aufgebotene Apparat der Rührung sehr viel wemger
Eindruck auf uns machen.

Was nun die Fälle angeht, in denen die vorsätzliche Tötung mit dem
Tode bestraft werden soll, so hat (abgesehen von den hier nicht interessierenden
Hochverrats- und Dynamitverbrechen) der Vorentwurf die Trennung zwischen
Mord und Totschlag nach den alten Unterscheidungsmerkmalen des geltenden
Strafgesetzbuches beibehalten: die vorsätzliche Tötung ist, wenn sie mit Über¬
legung ausgeführt wird, Mord, ohne diese Totschlag.

Dieses Unterscheidungsmerkmal ist neuerdings von der Wissenschaft wohl
ohne Ausnahme als untauglich zu einer sachdienlichen Unterscheidung verworfen


Kritische Aufsätze

eine Umfrage über Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe veranstaltet
mit dem Resultate, daß Männer wie Häckel, Heyse. Kohler. Richard Voß. Max
Nordau. Ernst von Wolzogen. Graf Posadowsky, Prinz Heinrich Carolath u. a. in.,
deren liberale Gesamtweltanschauung gewiß nicht bestritten werden kann, sich
für ihre Beibehaltung ausgesprochen haben. Sie haben eben die Frage nach
den kriminellen Erfahrungen des letzten Menschenalters und nicht nach einer
politischen Dogmenschablone beantwortet. So steht zu hoffen, daß die Todes¬
strafe ohne große Schwierigkeiten auch in das neue Strafgesetzbuch übergehen
wird. Es trifft noch immer zu, was Wismarer in seiner Neichstagsrede vom
1. März 1870 zur Verteidigung der Todesstrafe angeführt hat: „Was ist
denn der Grund, weshalb Sie im Belagerungszustände und, wie ich nicht
Zweifle, im Heere, auf der Marine, da. wo es Ihnen darauf ankommt, daß
Ruhe. Ordnung und Gehorsam gegen das Gesetz unbedingt sichergestellt werden,
auch Sie die Todesstrafe beibehalten wollen? Doch wohl, weil Sie dieser
Strafart eine noch energischere Wirkung zuschreiben als der Aussicht auf eine
Einsperrung mit möglicher Begnadigung und Befreiung. Wenn Sie das aber
Zugehen, daß nur um eines Haares Breite mehr Schutz für den friedlichen
Bürger darin liegt, dann sind Sie dem friedlichen Bürger schuldig, daß Sie
ihm dieses Mehr von Schutz, welches die Gesetzgebung gegen Räuber und
Mörder geben kann, auch geben!" — Den Sentimentalen aber, die es nicht
fassen können, wie man sich für eine solche mittelalterliche Barbarei erwärmen
könne, sei das Wort des geistreichen Franzosen geantwortet: „t)ne Messieurs
>S8 Ä88a8sin8 commenLönt!" (nämlich mit der Abschaffung der Tötung). Wie
einseitig die Gegner der Todesstrafe in ihren Sympathien für den armen
Hinzurichtenden sind, und wie sehr sie darüber das Menschenleben vergessen,
welches der Delinquent hingemordet hat. dafür bietet den interessantesten Beleg
die berühmte, von den Gegnern der Todesstrafe so gern zitierte Studie Victor
Hugos „Die letzten Stunden eines zum Tode Verurteilten". Der Dichter führt
uns wohl mit dem Verurteilten durch alle Abgründe der Angst und Verzweiflung,
was wir aber bezeichnenderweise nicht erfahren, das ist: warum dieser Mensch
Zum Tode verurteilt wordeu ist, wie der Mord aussah, um dessen willen ihm
«in Leben wiedervergolten wird. Wüßten wir dies, so würde vielleicht der
ganze von Victor Hugo aufgebotene Apparat der Rührung sehr viel wemger
Eindruck auf uns machen.

Was nun die Fälle angeht, in denen die vorsätzliche Tötung mit dem
Tode bestraft werden soll, so hat (abgesehen von den hier nicht interessierenden
Hochverrats- und Dynamitverbrechen) der Vorentwurf die Trennung zwischen
Mord und Totschlag nach den alten Unterscheidungsmerkmalen des geltenden
Strafgesetzbuches beibehalten: die vorsätzliche Tötung ist, wenn sie mit Über¬
legung ausgeführt wird, Mord, ohne diese Totschlag.

Dieses Unterscheidungsmerkmal ist neuerdings von der Wissenschaft wohl
ohne Ausnahme als untauglich zu einer sachdienlichen Unterscheidung verworfen


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[0535] Kritische Aufsätze eine Umfrage über Beibehaltung oder Abschaffung der Todesstrafe veranstaltet mit dem Resultate, daß Männer wie Häckel, Heyse. Kohler. Richard Voß. Max Nordau. Ernst von Wolzogen. Graf Posadowsky, Prinz Heinrich Carolath u. a. in., deren liberale Gesamtweltanschauung gewiß nicht bestritten werden kann, sich für ihre Beibehaltung ausgesprochen haben. Sie haben eben die Frage nach den kriminellen Erfahrungen des letzten Menschenalters und nicht nach einer politischen Dogmenschablone beantwortet. So steht zu hoffen, daß die Todes¬ strafe ohne große Schwierigkeiten auch in das neue Strafgesetzbuch übergehen wird. Es trifft noch immer zu, was Wismarer in seiner Neichstagsrede vom 1. März 1870 zur Verteidigung der Todesstrafe angeführt hat: „Was ist denn der Grund, weshalb Sie im Belagerungszustände und, wie ich nicht Zweifle, im Heere, auf der Marine, da. wo es Ihnen darauf ankommt, daß Ruhe. Ordnung und Gehorsam gegen das Gesetz unbedingt sichergestellt werden, auch Sie die Todesstrafe beibehalten wollen? Doch wohl, weil Sie dieser Strafart eine noch energischere Wirkung zuschreiben als der Aussicht auf eine Einsperrung mit möglicher Begnadigung und Befreiung. Wenn Sie das aber Zugehen, daß nur um eines Haares Breite mehr Schutz für den friedlichen Bürger darin liegt, dann sind Sie dem friedlichen Bürger schuldig, daß Sie ihm dieses Mehr von Schutz, welches die Gesetzgebung gegen Räuber und Mörder geben kann, auch geben!" — Den Sentimentalen aber, die es nicht fassen können, wie man sich für eine solche mittelalterliche Barbarei erwärmen könne, sei das Wort des geistreichen Franzosen geantwortet: „t)ne Messieurs >S8 Ä88a8sin8 commenLönt!" (nämlich mit der Abschaffung der Tötung). Wie einseitig die Gegner der Todesstrafe in ihren Sympathien für den armen Hinzurichtenden sind, und wie sehr sie darüber das Menschenleben vergessen, welches der Delinquent hingemordet hat. dafür bietet den interessantesten Beleg die berühmte, von den Gegnern der Todesstrafe so gern zitierte Studie Victor Hugos „Die letzten Stunden eines zum Tode Verurteilten". Der Dichter führt uns wohl mit dem Verurteilten durch alle Abgründe der Angst und Verzweiflung, was wir aber bezeichnenderweise nicht erfahren, das ist: warum dieser Mensch Zum Tode verurteilt wordeu ist, wie der Mord aussah, um dessen willen ihm «in Leben wiedervergolten wird. Wüßten wir dies, so würde vielleicht der ganze von Victor Hugo aufgebotene Apparat der Rührung sehr viel wemger Eindruck auf uns machen. Was nun die Fälle angeht, in denen die vorsätzliche Tötung mit dem Tode bestraft werden soll, so hat (abgesehen von den hier nicht interessierenden Hochverrats- und Dynamitverbrechen) der Vorentwurf die Trennung zwischen Mord und Totschlag nach den alten Unterscheidungsmerkmalen des geltenden Strafgesetzbuches beibehalten: die vorsätzliche Tötung ist, wenn sie mit Über¬ legung ausgeführt wird, Mord, ohne diese Totschlag. Dieses Unterscheidungsmerkmal ist neuerdings von der Wissenschaft wohl ohne Ausnahme als untauglich zu einer sachdienlichen Unterscheidung verworfen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/535>, abgerufen am 23.07.2024.