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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Dcis Zinn

werden sie vielleicht demnächst einmal einen sehr bedeutenden Beitrag zum
Zinnkonsum der Welt liefern.

Nach all dem Gesagten sind es also die Zinnsteinlagerstätten bezw. Zinn¬
wäschen der Halbinsel Malakka, welche allein den größten Teil des heutigen
Weltbedarfs decken, und sie sind es auch allein, welche wohl noch eine Reihe
von Dezennien hierzu imstande sein werden. Jahrhundertelang wird dieses
aber jedenfalls nicht mehr der Fall sein, und wenn der Zinnverbrauch der Welt
in dem Maße zunimmt wie in den letzten Dezennien (ich verweise hierbei auf
die oben gegebenen Zahlen und bemerke dazu noch, daß im Jahre 1870 die
Weltproduktion an Zinn nur etwa 27000 T. betrug), dann sind auch die
Strcnts-Zinnlager wahrscheinlich schon vor Ablauf eines Jahrhunderts erschöpft.
Sichere Auskunft hierüber zu bekommen, ist mir freilich unmöglich gewesen.
Nehmen wir nun aber an, daß die Lagerstätten auf Malakka selbst die doppelte,
ja dreifache Zeit genügend ergiebig sein werden, dann wird doch in der indu¬
striellen Welt geradezu eine Panik, eine "Ziunot" eintreten, falls man mit
diesem Faktor vorher nicht zu rechnen gelernt hat. Um dieses besser zu begreifen,
muß man einmal der Geschichte des Zinns und der Nachfrage nach ihm auf
dem Weltmarkte nachgehen.

Voll der Verwendung des Zinns im Altertum und in der Bronzeperiode
Zu Geräten und Waffen war bereits die Rede. Im europäischen Mittelalter
nahm die christliche Kirche für ihren Kultus, namentlich durch die in dem sechsten
bezw. siebenten Jahrhundert bei uns erfolgte Einführung der großen Kirchen-
glocken. bedeutende Mengen voll Zinn für sich in Anspruch, da die Glockenbronze
oder die Glockenspeise außer 80 Prozent Kupfer auch 20 Prozent Zinn enthält,
wogegen die antiken Bronzen durchschnittlich nur 10 Prozent Zinn in sich schließen.
Auch die kirchliche Kunst bediente sich vielfach der Bronze. Ich erinnere nur
an die prächtigen Bronzetüren der Dome von Augsburg, Worms, Hildesheini.
Nowgorod usw.. sowie an die herrlichen Bronzearbeiten der Italiener Pisano.
Ghiberti. Donatello und Verrochia und vor allem an die unseres Altmeisters
in der Gießkuust, Peter Bischer. Nach der Erfindung des Schießpulvers sing
die Artillerie in den verschiedenen Kulturstaaten an, große Mengen von Zinn
ZU verschlingen, denn die Geschützbronze enthält auf neun Teile Kupfer ungefähr
einen Teil Zinn. Nach Erfindung der bekannten Uchatius-Bronze, welcher man
durch das sogenannte Kaltstrecken die Eigenschaften des Stahls verleiht, bleibt
es immer noch zweifelhaft, ob nicht zeitweise die Verwendung der Bronze zu
Geschützrohren wieder zunehmen wird. Früh schon lernte man auch das Ver¬
zinnen kupferner Geschirre, eine Kunst, worin nach Plinius selbst die alten
Gallier schon sehr erfahren waren. Seit dem späteren Mittelalter kamen auch
Tafel- und Trinkgeschirre aus reinem Zinn in Italien und Deutschland mehr
und mehr ni Gebrauch und im sechzehnten Jahrhundert wurden sowohl die
Verwendung der Zinnfolie als Spiegelbelag, die Zinnglasur für Kochgeschirre
und Majolika als auch das Zinnemail für Metallivaren entdeckt. Seit dem


Dcis Zinn

werden sie vielleicht demnächst einmal einen sehr bedeutenden Beitrag zum
Zinnkonsum der Welt liefern.

Nach all dem Gesagten sind es also die Zinnsteinlagerstätten bezw. Zinn¬
wäschen der Halbinsel Malakka, welche allein den größten Teil des heutigen
Weltbedarfs decken, und sie sind es auch allein, welche wohl noch eine Reihe
von Dezennien hierzu imstande sein werden. Jahrhundertelang wird dieses
aber jedenfalls nicht mehr der Fall sein, und wenn der Zinnverbrauch der Welt
in dem Maße zunimmt wie in den letzten Dezennien (ich verweise hierbei auf
die oben gegebenen Zahlen und bemerke dazu noch, daß im Jahre 1870 die
Weltproduktion an Zinn nur etwa 27000 T. betrug), dann sind auch die
Strcnts-Zinnlager wahrscheinlich schon vor Ablauf eines Jahrhunderts erschöpft.
Sichere Auskunft hierüber zu bekommen, ist mir freilich unmöglich gewesen.
Nehmen wir nun aber an, daß die Lagerstätten auf Malakka selbst die doppelte,
ja dreifache Zeit genügend ergiebig sein werden, dann wird doch in der indu¬
striellen Welt geradezu eine Panik, eine „Ziunot" eintreten, falls man mit
diesem Faktor vorher nicht zu rechnen gelernt hat. Um dieses besser zu begreifen,
muß man einmal der Geschichte des Zinns und der Nachfrage nach ihm auf
dem Weltmarkte nachgehen.

Voll der Verwendung des Zinns im Altertum und in der Bronzeperiode
Zu Geräten und Waffen war bereits die Rede. Im europäischen Mittelalter
nahm die christliche Kirche für ihren Kultus, namentlich durch die in dem sechsten
bezw. siebenten Jahrhundert bei uns erfolgte Einführung der großen Kirchen-
glocken. bedeutende Mengen voll Zinn für sich in Anspruch, da die Glockenbronze
oder die Glockenspeise außer 80 Prozent Kupfer auch 20 Prozent Zinn enthält,
wogegen die antiken Bronzen durchschnittlich nur 10 Prozent Zinn in sich schließen.
Auch die kirchliche Kunst bediente sich vielfach der Bronze. Ich erinnere nur
an die prächtigen Bronzetüren der Dome von Augsburg, Worms, Hildesheini.
Nowgorod usw.. sowie an die herrlichen Bronzearbeiten der Italiener Pisano.
Ghiberti. Donatello und Verrochia und vor allem an die unseres Altmeisters
in der Gießkuust, Peter Bischer. Nach der Erfindung des Schießpulvers sing
die Artillerie in den verschiedenen Kulturstaaten an, große Mengen von Zinn
ZU verschlingen, denn die Geschützbronze enthält auf neun Teile Kupfer ungefähr
einen Teil Zinn. Nach Erfindung der bekannten Uchatius-Bronze, welcher man
durch das sogenannte Kaltstrecken die Eigenschaften des Stahls verleiht, bleibt
es immer noch zweifelhaft, ob nicht zeitweise die Verwendung der Bronze zu
Geschützrohren wieder zunehmen wird. Früh schon lernte man auch das Ver¬
zinnen kupferner Geschirre, eine Kunst, worin nach Plinius selbst die alten
Gallier schon sehr erfahren waren. Seit dem späteren Mittelalter kamen auch
Tafel- und Trinkgeschirre aus reinem Zinn in Italien und Deutschland mehr
und mehr ni Gebrauch und im sechzehnten Jahrhundert wurden sowohl die
Verwendung der Zinnfolie als Spiegelbelag, die Zinnglasur für Kochgeschirre
und Majolika als auch das Zinnemail für Metallivaren entdeckt. Seit dem


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[0531] Dcis Zinn werden sie vielleicht demnächst einmal einen sehr bedeutenden Beitrag zum Zinnkonsum der Welt liefern. Nach all dem Gesagten sind es also die Zinnsteinlagerstätten bezw. Zinn¬ wäschen der Halbinsel Malakka, welche allein den größten Teil des heutigen Weltbedarfs decken, und sie sind es auch allein, welche wohl noch eine Reihe von Dezennien hierzu imstande sein werden. Jahrhundertelang wird dieses aber jedenfalls nicht mehr der Fall sein, und wenn der Zinnverbrauch der Welt in dem Maße zunimmt wie in den letzten Dezennien (ich verweise hierbei auf die oben gegebenen Zahlen und bemerke dazu noch, daß im Jahre 1870 die Weltproduktion an Zinn nur etwa 27000 T. betrug), dann sind auch die Strcnts-Zinnlager wahrscheinlich schon vor Ablauf eines Jahrhunderts erschöpft. Sichere Auskunft hierüber zu bekommen, ist mir freilich unmöglich gewesen. Nehmen wir nun aber an, daß die Lagerstätten auf Malakka selbst die doppelte, ja dreifache Zeit genügend ergiebig sein werden, dann wird doch in der indu¬ striellen Welt geradezu eine Panik, eine „Ziunot" eintreten, falls man mit diesem Faktor vorher nicht zu rechnen gelernt hat. Um dieses besser zu begreifen, muß man einmal der Geschichte des Zinns und der Nachfrage nach ihm auf dem Weltmarkte nachgehen. Voll der Verwendung des Zinns im Altertum und in der Bronzeperiode Zu Geräten und Waffen war bereits die Rede. Im europäischen Mittelalter nahm die christliche Kirche für ihren Kultus, namentlich durch die in dem sechsten bezw. siebenten Jahrhundert bei uns erfolgte Einführung der großen Kirchen- glocken. bedeutende Mengen voll Zinn für sich in Anspruch, da die Glockenbronze oder die Glockenspeise außer 80 Prozent Kupfer auch 20 Prozent Zinn enthält, wogegen die antiken Bronzen durchschnittlich nur 10 Prozent Zinn in sich schließen. Auch die kirchliche Kunst bediente sich vielfach der Bronze. Ich erinnere nur an die prächtigen Bronzetüren der Dome von Augsburg, Worms, Hildesheini. Nowgorod usw.. sowie an die herrlichen Bronzearbeiten der Italiener Pisano. Ghiberti. Donatello und Verrochia und vor allem an die unseres Altmeisters in der Gießkuust, Peter Bischer. Nach der Erfindung des Schießpulvers sing die Artillerie in den verschiedenen Kulturstaaten an, große Mengen von Zinn ZU verschlingen, denn die Geschützbronze enthält auf neun Teile Kupfer ungefähr einen Teil Zinn. Nach Erfindung der bekannten Uchatius-Bronze, welcher man durch das sogenannte Kaltstrecken die Eigenschaften des Stahls verleiht, bleibt es immer noch zweifelhaft, ob nicht zeitweise die Verwendung der Bronze zu Geschützrohren wieder zunehmen wird. Früh schon lernte man auch das Ver¬ zinnen kupferner Geschirre, eine Kunst, worin nach Plinius selbst die alten Gallier schon sehr erfahren waren. Seit dem späteren Mittelalter kamen auch Tafel- und Trinkgeschirre aus reinem Zinn in Italien und Deutschland mehr und mehr ni Gebrauch und im sechzehnten Jahrhundert wurden sowohl die Verwendung der Zinnfolie als Spiegelbelag, die Zinnglasur für Kochgeschirre und Majolika als auch das Zinnemail für Metallivaren entdeckt. Seit dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/531>, abgerufen am 23.07.2024.