Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Charakter

richtung hinaus und zu Boden warf. Nur ein kurzes, jäh abbrechendes Geheul
stieß er noch aus.

Während ich auf ihn zuging, hörte ich aus dem Walde deu Ruf einer hellen,
angstvollen Stimme.

"Krapsl Krapf!"

Also Krapf heißt die Bestie, dachte ich, als ich vor ihm stand. Er fletschte
nur, ohne sonst eine Bewegung zu machen, die Zähne, dann rückte er noch
ein paarmal den Kopf hin und her, als wolle er sich in die Erde einwühlen, und
ein feiner Bindfaden rieselte aus seinen Nasenlöchern. -- Er war verendet. Das
linke Ohr aber lag noch immer umgestülpt und an den Kopf gepreßt, so wie zuvor
während des Laufens. ...

Plötzlich hatte ich, ohne hinzusehen, zu meiner Rechten die Empfindung eines
lichten Gegenstandes. Als ich mich umwandte, sah ich kaum zehn Schritte von
mir entfernt ein junges, ganz hell gekleidetes Mädchen auf einem Baumstrunk
sitzen, die linke Hand gegen einen vorspringenden Teil des Baumstockes gestützt,
die rechte von rückwärts gegen das Genick gepreßt. Sie war trotz des hellen
Sonnenscheins, der ihre ganze Gestalt umfloß, blaß bis in die Lippen und starrte
an mir und dem verendeten Hund vorbei ins Leere.

Ich ging sogleich auf sie zu und lüftete den Hut.

"Sie müssen verzeihen, aber ..."

Sie schüttelte, noch immer ohne mich anzusehen und mit hart aufeinander¬
gepreßten Lippen, den Kopf. Dann sagte sie ziemlich leise:

"Bitte. .. lassen Sie mich allein . . . Mir wird schlecht."

Wenn einem Menschen in meiner Gegenwart unwohl wird, dann wird mir
meist auch übel, oder ich bekomme doch zum mindesten ein sehr elendes Gefühl.
Krampfhaft trat ich noch einen Schritt näher an sie heran.

"Kann ich Ihnen nicht vielleicht helfen?"

Sie schüttelte wieder den Kopf und endlich sagte sie, schon mit einem deut¬
lichen Ton der Ungeduld in ihrer Stimme:

"Bitte, lassen Sie mich in Ruh'!"

Ich zuckte hilflos die Achseln.

". . . Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Frau meines Waldhegcrs
schicken. Mit einem Glas Wasser. .. oder Milch."

Dann ging ich nach dem etwa zehn Minuten entfernten Wohnhause meines
Waldhüters. Ich hatte aber beim Weggehen das Grüßen vergessen.---^ --

Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr ich von meinem Diener, der sich während
meiner Abwesenheit zur Genüge im Dorf herumgetrieben hatte, daß das Mädchen
jedenfalls die Tochter eines verwitweten, pensionierten Offiziers sei. Er sollte
Kleiner: heißen und sich in einem der besseren, villenartig ausgebauten Bauern¬
häuser am Fuße des Schloßberges zum Sommeraufenthalt eingemietet haben.

Am Nachmittag erschien auch der Waldheger im Schloß und berichtete, seine
Frau habe das Mädchen auf dem Schlag nicht mehr angetroffen, nur der Hund
habe noch dort gelegen und sei von ihm selbst verscharrt worden. Dabei überreichte
er mir das vernickelte Kettenhalsband des Dackels, auf dessen Schild eingraviert
stand: Krapf, -- Major Kleinere.


Charakter

richtung hinaus und zu Boden warf. Nur ein kurzes, jäh abbrechendes Geheul
stieß er noch aus.

Während ich auf ihn zuging, hörte ich aus dem Walde deu Ruf einer hellen,
angstvollen Stimme.

„Krapsl Krapf!"

Also Krapf heißt die Bestie, dachte ich, als ich vor ihm stand. Er fletschte
nur, ohne sonst eine Bewegung zu machen, die Zähne, dann rückte er noch
ein paarmal den Kopf hin und her, als wolle er sich in die Erde einwühlen, und
ein feiner Bindfaden rieselte aus seinen Nasenlöchern. — Er war verendet. Das
linke Ohr aber lag noch immer umgestülpt und an den Kopf gepreßt, so wie zuvor
während des Laufens. ...

Plötzlich hatte ich, ohne hinzusehen, zu meiner Rechten die Empfindung eines
lichten Gegenstandes. Als ich mich umwandte, sah ich kaum zehn Schritte von
mir entfernt ein junges, ganz hell gekleidetes Mädchen auf einem Baumstrunk
sitzen, die linke Hand gegen einen vorspringenden Teil des Baumstockes gestützt,
die rechte von rückwärts gegen das Genick gepreßt. Sie war trotz des hellen
Sonnenscheins, der ihre ganze Gestalt umfloß, blaß bis in die Lippen und starrte
an mir und dem verendeten Hund vorbei ins Leere.

Ich ging sogleich auf sie zu und lüftete den Hut.

„Sie müssen verzeihen, aber ..."

Sie schüttelte, noch immer ohne mich anzusehen und mit hart aufeinander¬
gepreßten Lippen, den Kopf. Dann sagte sie ziemlich leise:

„Bitte. .. lassen Sie mich allein . . . Mir wird schlecht."

Wenn einem Menschen in meiner Gegenwart unwohl wird, dann wird mir
meist auch übel, oder ich bekomme doch zum mindesten ein sehr elendes Gefühl.
Krampfhaft trat ich noch einen Schritt näher an sie heran.

„Kann ich Ihnen nicht vielleicht helfen?"

Sie schüttelte wieder den Kopf und endlich sagte sie, schon mit einem deut¬
lichen Ton der Ungeduld in ihrer Stimme:

„Bitte, lassen Sie mich in Ruh'!"

Ich zuckte hilflos die Achseln.

„. . . Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Frau meines Waldhegcrs
schicken. Mit einem Glas Wasser. .. oder Milch."

Dann ging ich nach dem etwa zehn Minuten entfernten Wohnhause meines
Waldhüters. Ich hatte aber beim Weggehen das Grüßen vergessen.---^ —

Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr ich von meinem Diener, der sich während
meiner Abwesenheit zur Genüge im Dorf herumgetrieben hatte, daß das Mädchen
jedenfalls die Tochter eines verwitweten, pensionierten Offiziers sei. Er sollte
Kleiner: heißen und sich in einem der besseren, villenartig ausgebauten Bauern¬
häuser am Fuße des Schloßberges zum Sommeraufenthalt eingemietet haben.

Am Nachmittag erschien auch der Waldheger im Schloß und berichtete, seine
Frau habe das Mädchen auf dem Schlag nicht mehr angetroffen, nur der Hund
habe noch dort gelegen und sei von ihm selbst verscharrt worden. Dabei überreichte
er mir das vernickelte Kettenhalsband des Dackels, auf dessen Schild eingraviert
stand: Krapf, — Major Kleinere.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0506" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316791"/>
          <fw type="header" place="top"> Charakter</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2139" prev="#ID_2138"> richtung hinaus und zu Boden warf. Nur ein kurzes, jäh abbrechendes Geheul<lb/>
stieß er noch aus.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2140"> Während ich auf ihn zuging, hörte ich aus dem Walde deu Ruf einer hellen,<lb/>
angstvollen Stimme.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2141"> &#x201E;Krapsl Krapf!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2142"> Also Krapf heißt die Bestie, dachte ich, als ich vor ihm stand. Er fletschte<lb/>
nur, ohne sonst eine Bewegung zu machen, die Zähne, dann rückte er noch<lb/>
ein paarmal den Kopf hin und her, als wolle er sich in die Erde einwühlen, und<lb/>
ein feiner Bindfaden rieselte aus seinen Nasenlöchern. &#x2014; Er war verendet. Das<lb/>
linke Ohr aber lag noch immer umgestülpt und an den Kopf gepreßt, so wie zuvor<lb/>
während des Laufens. ...</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2143"> Plötzlich hatte ich, ohne hinzusehen, zu meiner Rechten die Empfindung eines<lb/>
lichten Gegenstandes. Als ich mich umwandte, sah ich kaum zehn Schritte von<lb/>
mir entfernt ein junges, ganz hell gekleidetes Mädchen auf einem Baumstrunk<lb/>
sitzen, die linke Hand gegen einen vorspringenden Teil des Baumstockes gestützt,<lb/>
die rechte von rückwärts gegen das Genick gepreßt. Sie war trotz des hellen<lb/>
Sonnenscheins, der ihre ganze Gestalt umfloß, blaß bis in die Lippen und starrte<lb/>
an mir und dem verendeten Hund vorbei ins Leere.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2144"> Ich ging sogleich auf sie zu und lüftete den Hut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2145"> &#x201E;Sie müssen verzeihen, aber ..."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2146"> Sie schüttelte, noch immer ohne mich anzusehen und mit hart aufeinander¬<lb/>
gepreßten Lippen, den Kopf. Dann sagte sie ziemlich leise:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2147"> &#x201E;Bitte. .. lassen Sie mich allein . . . Mir wird schlecht."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2148"> Wenn einem Menschen in meiner Gegenwart unwohl wird, dann wird mir<lb/>
meist auch übel, oder ich bekomme doch zum mindesten ein sehr elendes Gefühl.<lb/>
Krampfhaft trat ich noch einen Schritt näher an sie heran.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2149"> &#x201E;Kann ich Ihnen nicht vielleicht helfen?"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2150"> Sie schüttelte wieder den Kopf und endlich sagte sie, schon mit einem deut¬<lb/>
lichen Ton der Ungeduld in ihrer Stimme:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2151"> &#x201E;Bitte, lassen Sie mich in Ruh'!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2152"> Ich zuckte hilflos die Achseln.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2153"> &#x201E;. . . Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Frau meines Waldhegcrs<lb/>
schicken. Mit einem Glas Wasser. .. oder Milch."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2154"> Dann ging ich nach dem etwa zehn Minuten entfernten Wohnhause meines<lb/>
Waldhüters. Ich hatte aber beim Weggehen das Grüßen vergessen.---^ &#x2014;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2155"> Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr ich von meinem Diener, der sich während<lb/>
meiner Abwesenheit zur Genüge im Dorf herumgetrieben hatte, daß das Mädchen<lb/>
jedenfalls die Tochter eines verwitweten, pensionierten Offiziers sei. Er sollte<lb/>
Kleiner: heißen und sich in einem der besseren, villenartig ausgebauten Bauern¬<lb/>
häuser am Fuße des Schloßberges zum Sommeraufenthalt eingemietet haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2156"> Am Nachmittag erschien auch der Waldheger im Schloß und berichtete, seine<lb/>
Frau habe das Mädchen auf dem Schlag nicht mehr angetroffen, nur der Hund<lb/>
habe noch dort gelegen und sei von ihm selbst verscharrt worden. Dabei überreichte<lb/>
er mir das vernickelte Kettenhalsband des Dackels, auf dessen Schild eingraviert<lb/>
stand: Krapf, &#x2014; Major Kleinere.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0506] Charakter richtung hinaus und zu Boden warf. Nur ein kurzes, jäh abbrechendes Geheul stieß er noch aus. Während ich auf ihn zuging, hörte ich aus dem Walde deu Ruf einer hellen, angstvollen Stimme. „Krapsl Krapf!" Also Krapf heißt die Bestie, dachte ich, als ich vor ihm stand. Er fletschte nur, ohne sonst eine Bewegung zu machen, die Zähne, dann rückte er noch ein paarmal den Kopf hin und her, als wolle er sich in die Erde einwühlen, und ein feiner Bindfaden rieselte aus seinen Nasenlöchern. — Er war verendet. Das linke Ohr aber lag noch immer umgestülpt und an den Kopf gepreßt, so wie zuvor während des Laufens. ... Plötzlich hatte ich, ohne hinzusehen, zu meiner Rechten die Empfindung eines lichten Gegenstandes. Als ich mich umwandte, sah ich kaum zehn Schritte von mir entfernt ein junges, ganz hell gekleidetes Mädchen auf einem Baumstrunk sitzen, die linke Hand gegen einen vorspringenden Teil des Baumstockes gestützt, die rechte von rückwärts gegen das Genick gepreßt. Sie war trotz des hellen Sonnenscheins, der ihre ganze Gestalt umfloß, blaß bis in die Lippen und starrte an mir und dem verendeten Hund vorbei ins Leere. Ich ging sogleich auf sie zu und lüftete den Hut. „Sie müssen verzeihen, aber ..." Sie schüttelte, noch immer ohne mich anzusehen und mit hart aufeinander¬ gepreßten Lippen, den Kopf. Dann sagte sie ziemlich leise: „Bitte. .. lassen Sie mich allein . . . Mir wird schlecht." Wenn einem Menschen in meiner Gegenwart unwohl wird, dann wird mir meist auch übel, oder ich bekomme doch zum mindesten ein sehr elendes Gefühl. Krampfhaft trat ich noch einen Schritt näher an sie heran. „Kann ich Ihnen nicht vielleicht helfen?" Sie schüttelte wieder den Kopf und endlich sagte sie, schon mit einem deut¬ lichen Ton der Ungeduld in ihrer Stimme: „Bitte, lassen Sie mich in Ruh'!" Ich zuckte hilflos die Achseln. „. . . Wenn Sie erlauben, werde ich Ihnen die Frau meines Waldhegcrs schicken. Mit einem Glas Wasser. .. oder Milch." Dann ging ich nach dem etwa zehn Minuten entfernten Wohnhause meines Waldhüters. Ich hatte aber beim Weggehen das Grüßen vergessen.---^ — Nach Hause zurückgekehrt, erfuhr ich von meinem Diener, der sich während meiner Abwesenheit zur Genüge im Dorf herumgetrieben hatte, daß das Mädchen jedenfalls die Tochter eines verwitweten, pensionierten Offiziers sei. Er sollte Kleiner: heißen und sich in einem der besseren, villenartig ausgebauten Bauern¬ häuser am Fuße des Schloßberges zum Sommeraufenthalt eingemietet haben. Am Nachmittag erschien auch der Waldheger im Schloß und berichtete, seine Frau habe das Mädchen auf dem Schlag nicht mehr angetroffen, nur der Hund habe noch dort gelegen und sei von ihm selbst verscharrt worden. Dabei überreichte er mir das vernickelte Kettenhalsband des Dackels, auf dessen Schild eingraviert stand: Krapf, — Major Kleinere.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/506
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/506>, abgerufen am 23.07.2024.