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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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5>ur Reform der preußischen Areisverfassmig

zum Kreistag jeder Unterschied zwischen Groß- und Kleingrundbesitz und den
Bewohnern der Landgemeinden aufgehoben werden. Damit wäre allerdings
die Grundlage der Kreisverfassung zerstört worden, nicht aber durch die Vor¬
schläge des Deutschen Handelstags, der in Würdigung der politischen und
allgemeinen Bedeutung des ländlichen Großgrundbesitzes ihm trotz seiner ver¬
hältnismäßig geringen Beteiligung an den Kreissteuerlasten eine starke Stellung
einräumen will. Man könnte sagen, daß darin sür den Deutschen Handelstag
eine Interessenpolitik läge, da ja die Industrie zum Wahlverband der Gro߬
grundbesitzer gehört, soweit sie nicht im Wahlverband der Landgemeinden ihre
Vertretung findet. Richtig ist. daß mit einem schwachen Wahlverband der
Großgrundbesitzer auch die diesem Wahlverband angehörende Industrie eine
schwächere Vertretung in den Kreistag entsenden würde. Indes würde es
trotzdem noch im größeren Interesse der Industrie liegen, wenn der Einfluß
gerade des ländlichen Großgrundbesitzes im Kreistag geschwächt wird. Wie
diese Schwächung sich gestalten würde, mag hier noch an einigen Zahlen auf
Grund der Statistischen Tafeln des Deutschen Handelstags nachgewiesen
werden. Verteilt man die Kreistagsmandate auf sämtliche drei Wahlverbünde
"ach dem Verhältnis ihres Anteils an den Kreissteueru, so würden auf den
Wahlverband der Großgrundbesitzer im Durchschnitt in 41 Kreisen der östlichen
Provinzen statt!'.? Prozent der Mandate nur 26 Prozent entfallen, in 11 Kreisen
Schleswig-Holsteins statt 32 Prozent nur 18 Prozent, in 23 Kreisen Hannovers
statt 33 Prozent nur 16 Prozent, in 2 Kreisen Westfalens statt 30 Prozent nur
12 Prozent, in 3 Kreisen Hessen-Nassaus statt 23 Prozent nur 13 Prozent,
und endlich in 3 Kreisen der Rheinlande statt 33 Prozent der Mandate nur
W Prozent. Damit, daß der Deutsche Handelstag einen dahingehender Antrag
nicht stellt, beweist er sein Verständnis für die historisch gewordenen Grundlagen
der Kreisverfassung, und er ist daher geschützt gegen den Vorwurf einer einseitigen
Vertretung der seiner Obhut anvertrauten Interessen von Industrie und Handel.
Dagegen wird man ihm darin beipflichten müssen, daß innerhalb dieser ma߬
vollen Zurückhaltung die Anwendung der Steuerleistung statt der Bevölkerungs-
Stffer der einzige Weg ist, um den verschiedenen Erwerbsgrnppen im Landkreise
eine ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung zu verschaffen, wenn
man überhaupt Rechte und Pflichten in einen gewissen Zusammenhang bringen
will. Ein so ganz fremdes Element bildet ja auch der Steuermaßstab in der
Kreisordnung gar nicht. Denn bereits jetzt ist schon der ländliche Grund¬
besitz nach einer Gewerbesteuergrenze in die Wahlverbände der Großgrundbesitzer
und der Landgemeinden geschieden 86), ebenso wie nach einer Gewerbesteuer¬
grenze die Industrie den genannten beiden Wahlverbänden zugeteilt ist (§8 86, 87);
nur mit einer Bevorzugung der Landwirtschaft im Wahlverband der Großgrund¬
besitzer, insofern Landwirte schon von 225 Mark Grund- und Gebäudesteuer an
Zu diesem Wahlverband gehören, Industrielle aber erst, wenn sie zu dem Mindest¬
satze von 300 Mark Gewerbesteuer veranlagt sind.


5>ur Reform der preußischen Areisverfassmig

zum Kreistag jeder Unterschied zwischen Groß- und Kleingrundbesitz und den
Bewohnern der Landgemeinden aufgehoben werden. Damit wäre allerdings
die Grundlage der Kreisverfassung zerstört worden, nicht aber durch die Vor¬
schläge des Deutschen Handelstags, der in Würdigung der politischen und
allgemeinen Bedeutung des ländlichen Großgrundbesitzes ihm trotz seiner ver¬
hältnismäßig geringen Beteiligung an den Kreissteuerlasten eine starke Stellung
einräumen will. Man könnte sagen, daß darin sür den Deutschen Handelstag
eine Interessenpolitik läge, da ja die Industrie zum Wahlverband der Gro߬
grundbesitzer gehört, soweit sie nicht im Wahlverband der Landgemeinden ihre
Vertretung findet. Richtig ist. daß mit einem schwachen Wahlverband der
Großgrundbesitzer auch die diesem Wahlverband angehörende Industrie eine
schwächere Vertretung in den Kreistag entsenden würde. Indes würde es
trotzdem noch im größeren Interesse der Industrie liegen, wenn der Einfluß
gerade des ländlichen Großgrundbesitzes im Kreistag geschwächt wird. Wie
diese Schwächung sich gestalten würde, mag hier noch an einigen Zahlen auf
Grund der Statistischen Tafeln des Deutschen Handelstags nachgewiesen
werden. Verteilt man die Kreistagsmandate auf sämtliche drei Wahlverbünde
"ach dem Verhältnis ihres Anteils an den Kreissteueru, so würden auf den
Wahlverband der Großgrundbesitzer im Durchschnitt in 41 Kreisen der östlichen
Provinzen statt!'.? Prozent der Mandate nur 26 Prozent entfallen, in 11 Kreisen
Schleswig-Holsteins statt 32 Prozent nur 18 Prozent, in 23 Kreisen Hannovers
statt 33 Prozent nur 16 Prozent, in 2 Kreisen Westfalens statt 30 Prozent nur
12 Prozent, in 3 Kreisen Hessen-Nassaus statt 23 Prozent nur 13 Prozent,
und endlich in 3 Kreisen der Rheinlande statt 33 Prozent der Mandate nur
W Prozent. Damit, daß der Deutsche Handelstag einen dahingehender Antrag
nicht stellt, beweist er sein Verständnis für die historisch gewordenen Grundlagen
der Kreisverfassung, und er ist daher geschützt gegen den Vorwurf einer einseitigen
Vertretung der seiner Obhut anvertrauten Interessen von Industrie und Handel.
Dagegen wird man ihm darin beipflichten müssen, daß innerhalb dieser ma߬
vollen Zurückhaltung die Anwendung der Steuerleistung statt der Bevölkerungs-
Stffer der einzige Weg ist, um den verschiedenen Erwerbsgrnppen im Landkreise
eine ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung zu verschaffen, wenn
man überhaupt Rechte und Pflichten in einen gewissen Zusammenhang bringen
will. Ein so ganz fremdes Element bildet ja auch der Steuermaßstab in der
Kreisordnung gar nicht. Denn bereits jetzt ist schon der ländliche Grund¬
besitz nach einer Gewerbesteuergrenze in die Wahlverbände der Großgrundbesitzer
und der Landgemeinden geschieden 86), ebenso wie nach einer Gewerbesteuer¬
grenze die Industrie den genannten beiden Wahlverbänden zugeteilt ist (§8 86, 87);
nur mit einer Bevorzugung der Landwirtschaft im Wahlverband der Großgrund¬
besitzer, insofern Landwirte schon von 225 Mark Grund- und Gebäudesteuer an
Zu diesem Wahlverband gehören, Industrielle aber erst, wenn sie zu dem Mindest¬
satze von 300 Mark Gewerbesteuer veranlagt sind.


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[0483] 5>ur Reform der preußischen Areisverfassmig zum Kreistag jeder Unterschied zwischen Groß- und Kleingrundbesitz und den Bewohnern der Landgemeinden aufgehoben werden. Damit wäre allerdings die Grundlage der Kreisverfassung zerstört worden, nicht aber durch die Vor¬ schläge des Deutschen Handelstags, der in Würdigung der politischen und allgemeinen Bedeutung des ländlichen Großgrundbesitzes ihm trotz seiner ver¬ hältnismäßig geringen Beteiligung an den Kreissteuerlasten eine starke Stellung einräumen will. Man könnte sagen, daß darin sür den Deutschen Handelstag eine Interessenpolitik läge, da ja die Industrie zum Wahlverband der Gro߬ grundbesitzer gehört, soweit sie nicht im Wahlverband der Landgemeinden ihre Vertretung findet. Richtig ist. daß mit einem schwachen Wahlverband der Großgrundbesitzer auch die diesem Wahlverband angehörende Industrie eine schwächere Vertretung in den Kreistag entsenden würde. Indes würde es trotzdem noch im größeren Interesse der Industrie liegen, wenn der Einfluß gerade des ländlichen Großgrundbesitzes im Kreistag geschwächt wird. Wie diese Schwächung sich gestalten würde, mag hier noch an einigen Zahlen auf Grund der Statistischen Tafeln des Deutschen Handelstags nachgewiesen werden. Verteilt man die Kreistagsmandate auf sämtliche drei Wahlverbünde "ach dem Verhältnis ihres Anteils an den Kreissteueru, so würden auf den Wahlverband der Großgrundbesitzer im Durchschnitt in 41 Kreisen der östlichen Provinzen statt!'.? Prozent der Mandate nur 26 Prozent entfallen, in 11 Kreisen Schleswig-Holsteins statt 32 Prozent nur 18 Prozent, in 23 Kreisen Hannovers statt 33 Prozent nur 16 Prozent, in 2 Kreisen Westfalens statt 30 Prozent nur 12 Prozent, in 3 Kreisen Hessen-Nassaus statt 23 Prozent nur 13 Prozent, und endlich in 3 Kreisen der Rheinlande statt 33 Prozent der Mandate nur W Prozent. Damit, daß der Deutsche Handelstag einen dahingehender Antrag nicht stellt, beweist er sein Verständnis für die historisch gewordenen Grundlagen der Kreisverfassung, und er ist daher geschützt gegen den Vorwurf einer einseitigen Vertretung der seiner Obhut anvertrauten Interessen von Industrie und Handel. Dagegen wird man ihm darin beipflichten müssen, daß innerhalb dieser ma߬ vollen Zurückhaltung die Anwendung der Steuerleistung statt der Bevölkerungs- Stffer der einzige Weg ist, um den verschiedenen Erwerbsgrnppen im Landkreise eine ihrer wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Geltung zu verschaffen, wenn man überhaupt Rechte und Pflichten in einen gewissen Zusammenhang bringen will. Ein so ganz fremdes Element bildet ja auch der Steuermaßstab in der Kreisordnung gar nicht. Denn bereits jetzt ist schon der ländliche Grund¬ besitz nach einer Gewerbesteuergrenze in die Wahlverbände der Großgrundbesitzer und der Landgemeinden geschieden 86), ebenso wie nach einer Gewerbesteuer¬ grenze die Industrie den genannten beiden Wahlverbänden zugeteilt ist (§8 86, 87); nur mit einer Bevorzugung der Landwirtschaft im Wahlverband der Großgrund¬ besitzer, insofern Landwirte schon von 225 Mark Grund- und Gebäudesteuer an Zu diesem Wahlverband gehören, Industrielle aber erst, wenn sie zu dem Mindest¬ satze von 300 Mark Gewerbesteuer veranlagt sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/483>, abgerufen am 23.07.2024.