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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Arcisvcrfeissnng

allerdings auch schon durch die Bestimmung des Z 89 der Kreisordnung unter¬
bunden, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten auf die Hälfte aller
Abgeordneten kontingentiert ist. Aus den Funktionen, die hier in Frage
kommen, ist vor allen Dingen die Wahl der Mitglieder des Kreisausschusses
hervorzuheben und ferner die Wahl der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag.
Nun betonte der Vertreter des Ministers des Innern bei den Verhandlungen
im Deutschen Handelstag (Bericht über die Sitzung der Sonderkommission des
Deutschen Handelstags betr. die Kreisordnung vom 12. Mai 1909), alle großen
wichtigen Aufgaben des Kreises seien fakultative Aufgaben, für die die Kreis¬
ordnung die Zweidrittelmajorität vorschreibe. Wenn also der Bau einer Chaussee
oder auch nur ihre Unterhaltung, oder der Bau von Kleinbahnen, Kanälen
und dergleichen zur Erörterung stehe, gebe die Absplitterung einer Stimme der
Gegenseite den Städtevertretern die Möglichkeit, einen Antrag zu Fall zu
bringen. Demgegenüber sei der Kreis der obligatorischen Aufgabe", für die
eine einfache Stimmenmehrheit genüge, ganz eng; er umfasse lediglich die
Beisteuerung zu den Armenlasten, die Besoldung der Kreisbeamten und im
übrigen nur einige ganz unbedeutende gesetzliche Ausgaben. Das darf nicht
unwidersprochen bleiben, denn daß diese obligatorischen Aufgaben von ganz
außerordentlicher Bedeutung sein können, dafür ist die Wahl der Kreisausschu߬
mitglieder und der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag ein bezeichnendes
Beispiel. Weiter betonte der Vertreter des Ministers des Innern, da. wo
aber die Städte über die Hälfte der Mandate verfügten, hätten sie überhaupt
immer die Macht. In diesen Äußerungen bekundet sich die Auffassung, daß
die Städte in der Lage seien, ihre Interessen in hinreichender Weise in der
Kreisvertretung zur Geltung zu bringen. Damit ist aber das Tatsachen¬
material schlechterdings nicht in Einklang zu bringen, denn wenn man das
Stimmengewicht der Städte in den 181 Kreisen im einzelnen betrachtet, ergibt
sich, daß die Städte nur in 37 Kreisen, also nur im fünften Teil, ein Drittel
der Mandate haben bezw. die Hälfte nicht erreichen und nur in einem Kreis
die Hälfte tatsächlich erreichen. In weiteren 44 Kreisen machen die städtischen
Mandate nur ein Viertel aus. in 31 Kreisen nur ein Fünftel, in 23 Kreisen
nur ein Sechstel bis ein Siebentel, in 26 Kreisen nur ein Achtel bis ein Fimf-
uuddreißigstel der gesamten Mandate. In 18 Kreisen oder 10 Prozent haben
die Städte überhaupt keinen Abgeordneten. In dem einzigen Kreis, dem
Landkreis Naumburg in: Regierungsbezirk Merseburg, in dem die Städte von
26 Mandaten 13 besitzen, zahlen sie allerdings auch 76 Prozent aller Kreis¬
steuern. Im Landkreis Reiße im Regierungsbezirk Oppeln bringen die Städte
sogar 82 Prozent aller Kreissteuern auf; ihre Mandate erreichen aber mit 13
von 38 noch nicht ganz ein Drittel. Im Obertaunuskreis in: Regierungsbezirk
Wiesbaden zahlen die Städte 77 Prozent der Kreissteuern und haben von
21 Mandaten nur 10, also uoch nicht die Hälfte. In 7 weiteren Kreisen
tragen die Städte 60 bis 70 Prozent der Krcissteuern und erreichen mit der


Zur Reform der preußischen Arcisvcrfeissnng

allerdings auch schon durch die Bestimmung des Z 89 der Kreisordnung unter¬
bunden, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten auf die Hälfte aller
Abgeordneten kontingentiert ist. Aus den Funktionen, die hier in Frage
kommen, ist vor allen Dingen die Wahl der Mitglieder des Kreisausschusses
hervorzuheben und ferner die Wahl der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag.
Nun betonte der Vertreter des Ministers des Innern bei den Verhandlungen
im Deutschen Handelstag (Bericht über die Sitzung der Sonderkommission des
Deutschen Handelstags betr. die Kreisordnung vom 12. Mai 1909), alle großen
wichtigen Aufgaben des Kreises seien fakultative Aufgaben, für die die Kreis¬
ordnung die Zweidrittelmajorität vorschreibe. Wenn also der Bau einer Chaussee
oder auch nur ihre Unterhaltung, oder der Bau von Kleinbahnen, Kanälen
und dergleichen zur Erörterung stehe, gebe die Absplitterung einer Stimme der
Gegenseite den Städtevertretern die Möglichkeit, einen Antrag zu Fall zu
bringen. Demgegenüber sei der Kreis der obligatorischen Aufgabe», für die
eine einfache Stimmenmehrheit genüge, ganz eng; er umfasse lediglich die
Beisteuerung zu den Armenlasten, die Besoldung der Kreisbeamten und im
übrigen nur einige ganz unbedeutende gesetzliche Ausgaben. Das darf nicht
unwidersprochen bleiben, denn daß diese obligatorischen Aufgaben von ganz
außerordentlicher Bedeutung sein können, dafür ist die Wahl der Kreisausschu߬
mitglieder und der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag ein bezeichnendes
Beispiel. Weiter betonte der Vertreter des Ministers des Innern, da. wo
aber die Städte über die Hälfte der Mandate verfügten, hätten sie überhaupt
immer die Macht. In diesen Äußerungen bekundet sich die Auffassung, daß
die Städte in der Lage seien, ihre Interessen in hinreichender Weise in der
Kreisvertretung zur Geltung zu bringen. Damit ist aber das Tatsachen¬
material schlechterdings nicht in Einklang zu bringen, denn wenn man das
Stimmengewicht der Städte in den 181 Kreisen im einzelnen betrachtet, ergibt
sich, daß die Städte nur in 37 Kreisen, also nur im fünften Teil, ein Drittel
der Mandate haben bezw. die Hälfte nicht erreichen und nur in einem Kreis
die Hälfte tatsächlich erreichen. In weiteren 44 Kreisen machen die städtischen
Mandate nur ein Viertel aus. in 31 Kreisen nur ein Fünftel, in 23 Kreisen
nur ein Sechstel bis ein Siebentel, in 26 Kreisen nur ein Achtel bis ein Fimf-
uuddreißigstel der gesamten Mandate. In 18 Kreisen oder 10 Prozent haben
die Städte überhaupt keinen Abgeordneten. In dem einzigen Kreis, dem
Landkreis Naumburg in: Regierungsbezirk Merseburg, in dem die Städte von
26 Mandaten 13 besitzen, zahlen sie allerdings auch 76 Prozent aller Kreis¬
steuern. Im Landkreis Reiße im Regierungsbezirk Oppeln bringen die Städte
sogar 82 Prozent aller Kreissteuern auf; ihre Mandate erreichen aber mit 13
von 38 noch nicht ganz ein Drittel. Im Obertaunuskreis in: Regierungsbezirk
Wiesbaden zahlen die Städte 77 Prozent der Kreissteuern und haben von
21 Mandaten nur 10, also uoch nicht die Hälfte. In 7 weiteren Kreisen
tragen die Städte 60 bis 70 Prozent der Krcissteuern und erreichen mit der


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[0475] Zur Reform der preußischen Arcisvcrfeissnng allerdings auch schon durch die Bestimmung des Z 89 der Kreisordnung unter¬ bunden, wonach die Zahl der städtischen Abgeordneten auf die Hälfte aller Abgeordneten kontingentiert ist. Aus den Funktionen, die hier in Frage kommen, ist vor allen Dingen die Wahl der Mitglieder des Kreisausschusses hervorzuheben und ferner die Wahl der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag. Nun betonte der Vertreter des Ministers des Innern bei den Verhandlungen im Deutschen Handelstag (Bericht über die Sitzung der Sonderkommission des Deutschen Handelstags betr. die Kreisordnung vom 12. Mai 1909), alle großen wichtigen Aufgaben des Kreises seien fakultative Aufgaben, für die die Kreis¬ ordnung die Zweidrittelmajorität vorschreibe. Wenn also der Bau einer Chaussee oder auch nur ihre Unterhaltung, oder der Bau von Kleinbahnen, Kanälen und dergleichen zur Erörterung stehe, gebe die Absplitterung einer Stimme der Gegenseite den Städtevertretern die Möglichkeit, einen Antrag zu Fall zu bringen. Demgegenüber sei der Kreis der obligatorischen Aufgabe», für die eine einfache Stimmenmehrheit genüge, ganz eng; er umfasse lediglich die Beisteuerung zu den Armenlasten, die Besoldung der Kreisbeamten und im übrigen nur einige ganz unbedeutende gesetzliche Ausgaben. Das darf nicht unwidersprochen bleiben, denn daß diese obligatorischen Aufgaben von ganz außerordentlicher Bedeutung sein können, dafür ist die Wahl der Kreisausschu߬ mitglieder und der Kreisdelegierten zum Provinziallandtag ein bezeichnendes Beispiel. Weiter betonte der Vertreter des Ministers des Innern, da. wo aber die Städte über die Hälfte der Mandate verfügten, hätten sie überhaupt immer die Macht. In diesen Äußerungen bekundet sich die Auffassung, daß die Städte in der Lage seien, ihre Interessen in hinreichender Weise in der Kreisvertretung zur Geltung zu bringen. Damit ist aber das Tatsachen¬ material schlechterdings nicht in Einklang zu bringen, denn wenn man das Stimmengewicht der Städte in den 181 Kreisen im einzelnen betrachtet, ergibt sich, daß die Städte nur in 37 Kreisen, also nur im fünften Teil, ein Drittel der Mandate haben bezw. die Hälfte nicht erreichen und nur in einem Kreis die Hälfte tatsächlich erreichen. In weiteren 44 Kreisen machen die städtischen Mandate nur ein Viertel aus. in 31 Kreisen nur ein Fünftel, in 23 Kreisen nur ein Sechstel bis ein Siebentel, in 26 Kreisen nur ein Achtel bis ein Fimf- uuddreißigstel der gesamten Mandate. In 18 Kreisen oder 10 Prozent haben die Städte überhaupt keinen Abgeordneten. In dem einzigen Kreis, dem Landkreis Naumburg in: Regierungsbezirk Merseburg, in dem die Städte von 26 Mandaten 13 besitzen, zahlen sie allerdings auch 76 Prozent aller Kreis¬ steuern. Im Landkreis Reiße im Regierungsbezirk Oppeln bringen die Städte sogar 82 Prozent aller Kreissteuern auf; ihre Mandate erreichen aber mit 13 von 38 noch nicht ganz ein Drittel. Im Obertaunuskreis in: Regierungsbezirk Wiesbaden zahlen die Städte 77 Prozent der Kreissteuern und haben von 21 Mandaten nur 10, also uoch nicht die Hälfte. In 7 weiteren Kreisen tragen die Städte 60 bis 70 Prozent der Krcissteuern und erreichen mit der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/475>, abgerufen am 23.07.2024.