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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Zur Reform der preußischen Areisverfeissuug

Schon lange bestand die Vermutung, daß in den Kreistagen der Gro߬
grundbesitz viel zu stark vertreten sei und daß anderseits die Städte und
Industrie und Handel eine ihrer heutigen wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende
Stellung in den Kreistagen nicht einnahmen und auch nicht zu erlangen ver¬
möchten. In gewissem Umfang wurden diese Vermutungen schon im Jahre
1908 bestätigt durch Erhebungen, die die Handelskammer Sorau im Auftrage
der Vereinigung ostdeutscher Handelskammern anstellte und deren Ergebnisse
sie in ihrer schon erwähnten Denkschrift niederlegte. Auf diese wirkungsvollen
Darlegungen ist es wohl auch mit zurückzuführen, daß die Frage der Resorm-
bedürftigkeit der Kreisordnung im preußischen Abgeordnetenhaus wieder zur
Sprache kam und dann immer weitere Kreise zog. In der Session 1907/08
konnte bereits darauf hingewiesen werden, daß der Deutsche Handelstag die
Angelegenheit in den Kreis seiner Aufgaben gezogen habe und durch seine
Mitglieder, die Handelskammern, umfassende Erhebungen habe anstellen lassen.
Auf diese Weise ist es mit vieler Mühe gelungen, wenigstens für 181 preußische
Landkreise Material zu gewinnen. Die folgenden Angaben sind aus dem
Ergebnis dieser Erhebungen gewonnen, nämlich aus den "Statistischen Tafeln
betreffend Vertretung von Industrie und Handel in den Kreistagen u. a. in
Preußen", herausgegeben vom Deutschen Handelstag, Berlin 1909, um deren
Bearbeitung sich der Syndikus der Handelskammer Sorau I)r. Schneider ein
großes Verdienst erworben hat. Die Erhebungen des Deutschen Handelstags
erstreckten sich auf die gesamten Landkreise Preußens; sie ergaben jedoch
ein brauchbares Material nur für 181 Kreise, und zwar aus den Provinzen
Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien, Brandenburg, Sachsen -- diese
Provinzen sind in unseren Ausführungen stets zusammengefaßt als "östliche
Provinzen" entsprechend dem Geltungsbereich der Kreisordnung für die
Oftprovinzen --, ferner aus den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover,
Westfalen, Hessen-Nassau und Rheinland.

Welches Bild ergibt sich nun daraus von der Zusammensetzung der Kreis¬
organe?

Zunächst sei hier das Verhältnis zwischen Stadt und Land im Kreistag
erörtert. Im Gesamtdurchschnitt der 181 Kreise haben die Städte 23 Prozent
aller Mandate, während die städtische Bevölkerung in den Landkreisen fast
25 Prozent ausmacht und die Städte 30 Prozent aller Kreissteuern aufbringen.
Im Durchschnitt der östlichen Provinzen entfallen auf die Städte 25 Prozent
der Kreistagsmandate, in Schleswig-Holstein 21, Hannover 20, Westfalen 25,
Hessen-Nassau 23 und in den Rheinlanden ebenfalls 23 Prozent. Hier gibt
auch die Durchschnittsbetrachtung, wie wir weiter unten an einer Betrachtung
des Stimmengewichts der Städte in den einzelnen Kreisen zeigen werden, kein
unrichtiges Bild. Die Ziffern bedeuten, daß die Städte auf alle diejenigen
Funktionen des Kreistags, für die die einfache Stimmenmehrheit ausschlag¬
gebend ist, keinen entscheidenden Einfluß ausüben können. Das ist ihnen ja


Zur Reform der preußischen Areisverfeissuug

Schon lange bestand die Vermutung, daß in den Kreistagen der Gro߬
grundbesitz viel zu stark vertreten sei und daß anderseits die Städte und
Industrie und Handel eine ihrer heutigen wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende
Stellung in den Kreistagen nicht einnahmen und auch nicht zu erlangen ver¬
möchten. In gewissem Umfang wurden diese Vermutungen schon im Jahre
1908 bestätigt durch Erhebungen, die die Handelskammer Sorau im Auftrage
der Vereinigung ostdeutscher Handelskammern anstellte und deren Ergebnisse
sie in ihrer schon erwähnten Denkschrift niederlegte. Auf diese wirkungsvollen
Darlegungen ist es wohl auch mit zurückzuführen, daß die Frage der Resorm-
bedürftigkeit der Kreisordnung im preußischen Abgeordnetenhaus wieder zur
Sprache kam und dann immer weitere Kreise zog. In der Session 1907/08
konnte bereits darauf hingewiesen werden, daß der Deutsche Handelstag die
Angelegenheit in den Kreis seiner Aufgaben gezogen habe und durch seine
Mitglieder, die Handelskammern, umfassende Erhebungen habe anstellen lassen.
Auf diese Weise ist es mit vieler Mühe gelungen, wenigstens für 181 preußische
Landkreise Material zu gewinnen. Die folgenden Angaben sind aus dem
Ergebnis dieser Erhebungen gewonnen, nämlich aus den „Statistischen Tafeln
betreffend Vertretung von Industrie und Handel in den Kreistagen u. a. in
Preußen", herausgegeben vom Deutschen Handelstag, Berlin 1909, um deren
Bearbeitung sich der Syndikus der Handelskammer Sorau I)r. Schneider ein
großes Verdienst erworben hat. Die Erhebungen des Deutschen Handelstags
erstreckten sich auf die gesamten Landkreise Preußens; sie ergaben jedoch
ein brauchbares Material nur für 181 Kreise, und zwar aus den Provinzen
Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien, Brandenburg, Sachsen — diese
Provinzen sind in unseren Ausführungen stets zusammengefaßt als „östliche
Provinzen" entsprechend dem Geltungsbereich der Kreisordnung für die
Oftprovinzen —, ferner aus den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover,
Westfalen, Hessen-Nassau und Rheinland.

Welches Bild ergibt sich nun daraus von der Zusammensetzung der Kreis¬
organe?

Zunächst sei hier das Verhältnis zwischen Stadt und Land im Kreistag
erörtert. Im Gesamtdurchschnitt der 181 Kreise haben die Städte 23 Prozent
aller Mandate, während die städtische Bevölkerung in den Landkreisen fast
25 Prozent ausmacht und die Städte 30 Prozent aller Kreissteuern aufbringen.
Im Durchschnitt der östlichen Provinzen entfallen auf die Städte 25 Prozent
der Kreistagsmandate, in Schleswig-Holstein 21, Hannover 20, Westfalen 25,
Hessen-Nassau 23 und in den Rheinlanden ebenfalls 23 Prozent. Hier gibt
auch die Durchschnittsbetrachtung, wie wir weiter unten an einer Betrachtung
des Stimmengewichts der Städte in den einzelnen Kreisen zeigen werden, kein
unrichtiges Bild. Die Ziffern bedeuten, daß die Städte auf alle diejenigen
Funktionen des Kreistags, für die die einfache Stimmenmehrheit ausschlag¬
gebend ist, keinen entscheidenden Einfluß ausüben können. Das ist ihnen ja


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[0474] Zur Reform der preußischen Areisverfeissuug Schon lange bestand die Vermutung, daß in den Kreistagen der Gro߬ grundbesitz viel zu stark vertreten sei und daß anderseits die Städte und Industrie und Handel eine ihrer heutigen wirtschaftlichen Bedeutung entsprechende Stellung in den Kreistagen nicht einnahmen und auch nicht zu erlangen ver¬ möchten. In gewissem Umfang wurden diese Vermutungen schon im Jahre 1908 bestätigt durch Erhebungen, die die Handelskammer Sorau im Auftrage der Vereinigung ostdeutscher Handelskammern anstellte und deren Ergebnisse sie in ihrer schon erwähnten Denkschrift niederlegte. Auf diese wirkungsvollen Darlegungen ist es wohl auch mit zurückzuführen, daß die Frage der Resorm- bedürftigkeit der Kreisordnung im preußischen Abgeordnetenhaus wieder zur Sprache kam und dann immer weitere Kreise zog. In der Session 1907/08 konnte bereits darauf hingewiesen werden, daß der Deutsche Handelstag die Angelegenheit in den Kreis seiner Aufgaben gezogen habe und durch seine Mitglieder, die Handelskammern, umfassende Erhebungen habe anstellen lassen. Auf diese Weise ist es mit vieler Mühe gelungen, wenigstens für 181 preußische Landkreise Material zu gewinnen. Die folgenden Angaben sind aus dem Ergebnis dieser Erhebungen gewonnen, nämlich aus den „Statistischen Tafeln betreffend Vertretung von Industrie und Handel in den Kreistagen u. a. in Preußen", herausgegeben vom Deutschen Handelstag, Berlin 1909, um deren Bearbeitung sich der Syndikus der Handelskammer Sorau I)r. Schneider ein großes Verdienst erworben hat. Die Erhebungen des Deutschen Handelstags erstreckten sich auf die gesamten Landkreise Preußens; sie ergaben jedoch ein brauchbares Material nur für 181 Kreise, und zwar aus den Provinzen Ostpreußen, Westpreußen, Pommern, Schlesien, Brandenburg, Sachsen — diese Provinzen sind in unseren Ausführungen stets zusammengefaßt als „östliche Provinzen" entsprechend dem Geltungsbereich der Kreisordnung für die Oftprovinzen —, ferner aus den Provinzen Schleswig-Holstein, Hannover, Westfalen, Hessen-Nassau und Rheinland. Welches Bild ergibt sich nun daraus von der Zusammensetzung der Kreis¬ organe? Zunächst sei hier das Verhältnis zwischen Stadt und Land im Kreistag erörtert. Im Gesamtdurchschnitt der 181 Kreise haben die Städte 23 Prozent aller Mandate, während die städtische Bevölkerung in den Landkreisen fast 25 Prozent ausmacht und die Städte 30 Prozent aller Kreissteuern aufbringen. Im Durchschnitt der östlichen Provinzen entfallen auf die Städte 25 Prozent der Kreistagsmandate, in Schleswig-Holstein 21, Hannover 20, Westfalen 25, Hessen-Nassau 23 und in den Rheinlanden ebenfalls 23 Prozent. Hier gibt auch die Durchschnittsbetrachtung, wie wir weiter unten an einer Betrachtung des Stimmengewichts der Städte in den einzelnen Kreisen zeigen werden, kein unrichtiges Bild. Die Ziffern bedeuten, daß die Städte auf alle diejenigen Funktionen des Kreistags, für die die einfache Stimmenmehrheit ausschlag¬ gebend ist, keinen entscheidenden Einfluß ausüben können. Das ist ihnen ja

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/474>, abgerufen am 23.07.2024.