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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Agnes Miegel

Die Dichterin fühlt im Nachgenuß schmerzlich-süßer Vergangenheit, wie
"die rote Rose Leidenschaft" jäh in ihre schmalen, kühlen Kinderhände fiel.
Und dann wird das Weib in ihr reif, und ihr Gebet heißt nun, es möge am
Ende ihrer Wanderschaften, am Gartentore ihrer wartend, ein Kind stehn, das
ihre Züge trägt. Mit einem Laut, der hier zum erstenmal in unsrer Dichtungtönt und etwas ganz andres ist als die viel berufene Erotomanie gleichzeitig
ausgetretener, unkünstlerisch aufgepeitschter Modefrauen, klingt Agnes Miegel nun
das Lied vom "Ungeborenen Leben":

Und wenn so wann die Sonne scheint,
Wenn sich so froh die Blüten heben,
Dann nnter meinem Herzen weint
Bittend das ungeborene Leben:
"Du gehst im hellen Sonnenlicht
Und freust an Rosen dich und Garben.
Doch meiner Sehnsucht denkst dn nicht
Und läßt mich tief im Dunkeln darben.
Und doch wär' froher dir zu Sinn,
Und schöner dünkte dich die Erde,
Klang' süß mein Lachen drüber hin, --
O komm, und sprich zu mir das "Werde"!
Ich bin ein Händchen, weich und rund,
Das oft schon deine Träume kuszten;
Ich bin ein rosiger Kindermund,
Der dürstend sucht nach deinen Brüsten.
Ich bin ein Seelchen, fein und traut,
Das heisz berlangt nach deiner "eelen;
Bin eines StimmchenS Zwitscherlaut
Und will so vieles dir erzählen.
Sich nicht, wie hell die Sonne scheint,
Sieh nicht, wie sich die Blüte" heben,
Hör', wie in deinen? Schoße weint
Bittend das ungeborene Leben."

Die Phantasie von Agnes Miegel wandert auf diesen Pfaden zu den sü߬
tragischen Liebesgestalten der Vergangenheit. Agnes Bernauerin steht wieder
vor ihr auf:

Sie aber hat nicht singen können und spricht wie schlafend ihren Traum vor
sich hin, den Traum von den roten Wellen der Donau:


Grenzboten III 1910
Agnes Miegel

Die Dichterin fühlt im Nachgenuß schmerzlich-süßer Vergangenheit, wie
„die rote Rose Leidenschaft" jäh in ihre schmalen, kühlen Kinderhände fiel.
Und dann wird das Weib in ihr reif, und ihr Gebet heißt nun, es möge am
Ende ihrer Wanderschaften, am Gartentore ihrer wartend, ein Kind stehn, das
ihre Züge trägt. Mit einem Laut, der hier zum erstenmal in unsrer Dichtungtönt und etwas ganz andres ist als die viel berufene Erotomanie gleichzeitig
ausgetretener, unkünstlerisch aufgepeitschter Modefrauen, klingt Agnes Miegel nun
das Lied vom „Ungeborenen Leben":

Und wenn so wann die Sonne scheint,
Wenn sich so froh die Blüten heben,
Dann nnter meinem Herzen weint
Bittend das ungeborene Leben:
„Du gehst im hellen Sonnenlicht
Und freust an Rosen dich und Garben.
Doch meiner Sehnsucht denkst dn nicht
Und läßt mich tief im Dunkeln darben.
Und doch wär' froher dir zu Sinn,
Und schöner dünkte dich die Erde,
Klang' süß mein Lachen drüber hin, —
O komm, und sprich zu mir das „Werde"!
Ich bin ein Händchen, weich und rund,
Das oft schon deine Träume kuszten;
Ich bin ein rosiger Kindermund,
Der dürstend sucht nach deinen Brüsten.
Ich bin ein Seelchen, fein und traut,
Das heisz berlangt nach deiner «eelen;
Bin eines StimmchenS Zwitscherlaut
Und will so vieles dir erzählen.
Sich nicht, wie hell die Sonne scheint,
Sieh nicht, wie sich die Blüte» heben,
Hör', wie in deinen? Schoße weint
Bittend das ungeborene Leben."

Die Phantasie von Agnes Miegel wandert auf diesen Pfaden zu den sü߬
tragischen Liebesgestalten der Vergangenheit. Agnes Bernauerin steht wieder
vor ihr auf:

Sie aber hat nicht singen können und spricht wie schlafend ihren Traum vor
sich hin, den Traum von den roten Wellen der Donau:


Grenzboten III 1910
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[0453] Agnes Miegel Die Dichterin fühlt im Nachgenuß schmerzlich-süßer Vergangenheit, wie „die rote Rose Leidenschaft" jäh in ihre schmalen, kühlen Kinderhände fiel. Und dann wird das Weib in ihr reif, und ihr Gebet heißt nun, es möge am Ende ihrer Wanderschaften, am Gartentore ihrer wartend, ein Kind stehn, das ihre Züge trägt. Mit einem Laut, der hier zum erstenmal in unsrer Dichtungtönt und etwas ganz andres ist als die viel berufene Erotomanie gleichzeitig ausgetretener, unkünstlerisch aufgepeitschter Modefrauen, klingt Agnes Miegel nun das Lied vom „Ungeborenen Leben": Und wenn so wann die Sonne scheint, Wenn sich so froh die Blüten heben, Dann nnter meinem Herzen weint Bittend das ungeborene Leben: „Du gehst im hellen Sonnenlicht Und freust an Rosen dich und Garben. Doch meiner Sehnsucht denkst dn nicht Und läßt mich tief im Dunkeln darben. Und doch wär' froher dir zu Sinn, Und schöner dünkte dich die Erde, Klang' süß mein Lachen drüber hin, — O komm, und sprich zu mir das „Werde"! Ich bin ein Händchen, weich und rund, Das oft schon deine Träume kuszten; Ich bin ein rosiger Kindermund, Der dürstend sucht nach deinen Brüsten. Ich bin ein Seelchen, fein und traut, Das heisz berlangt nach deiner «eelen; Bin eines StimmchenS Zwitscherlaut Und will so vieles dir erzählen. Sich nicht, wie hell die Sonne scheint, Sieh nicht, wie sich die Blüte» heben, Hör', wie in deinen? Schoße weint Bittend das ungeborene Leben." Die Phantasie von Agnes Miegel wandert auf diesen Pfaden zu den sü߬ tragischen Liebesgestalten der Vergangenheit. Agnes Bernauerin steht wieder vor ihr auf: Sie aber hat nicht singen können und spricht wie schlafend ihren Traum vor sich hin, den Traum von den roten Wellen der Donau: Grenzboten III 1910

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/453>, abgerufen am 01.10.2024.