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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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I^anotcmx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

Klerikalen und Legitimisten. Und eben dieser war es, der den Herzog von
Broglie schon nach Jahresfrist wieder stürzte, weil er jenen Prätendenten von
Froschdorf nicht emporbringen konnte, der den Kultus seiner weißen Fahne
und seiner unumschränkten Königsgewalt für das Heiligste unter der Sonne
hielt. Mac Mahon war nur das Werkzeug der Monarchisten, Darüber
wurde die Zeit versäumt, während deren die Kammer noch eine monarchistische
Mehrheit hatte. Am 20. Februar 1876 wählte das in den Besitz seiner selbst
gelangte Frankreich zum erstenmal wieder und nun kam eine Mehrheit von
dreihundertsechzig Republikanern gegen nur hundertsiebzig Monarchisten nach
Versailles. Der ganze monarchistische Spuk schien gebannt. Mac Mahon
mußte sich bequemen, mit den Republikanern zu regieren, und konnte froh sein,
daß unter ihnen die gemäßigten in so großer Zahl waren, daß sie. wen,: sie
von den Monarchisten unterstützt waren, eine Kammermehrheü hatten. Mac
Mahon war zwar auf sieben Jahre zum Präsidenten gewählt, indes hat er
selber wie auch später Grevn erfahren müssen, daß die Mehrheit der zwecken
Kanuner auch den unabsetzbaren Präsidenten stürzen kann, wenn sie dazu ent¬
schlossen ist. Damals hatten die Republikaner solchen einheitlichen Willen noch
nicht; die Gemäßigten standen den Radikalen noch zu schroff gegenüber.

Es war das Werk Broglies. - und damit beginnt der dritte Band der
Hanotauxscheu Geschichte -. wider seinen Willen die Republikaner zu ermgen.
Mac Mahon und die monarchistische Senatsmehrheit standen ihm zur Ver¬
fügung, um ein Gesetz über die Auflösung der Kammer zu erlassen, nachdem
die Monarchisten in Verbindung mit den Radikalen das gemäßigt republikanische
Ministerium Jules Simon gestürzt hatten. Es war der berühmte 16. Mai 1877.
Der Verfasser entrollt in diesem Bande ein prachtvolles Bild von dem Verlauf
der Broglieschen Verschwörung bis' zum Tode Gambettas. Auch der Tod
Thiers fällt hinein, ferner der Rücktritt Mac Masons. der orientalische Krieg.
Auch nach Gambettas Tode konnte kein ernstlicher Versuch, die Monarchie herzu¬
stellen, mehr gemacht werden. Je länger die Republik datiert, desto mehr
verblaßt die Erbschaft des monarchistischen Gedankens. Alle seine Träger feck Jahr¬
hunderten haben dazu beigetragen, ihn zu schwächen. Selbst Ludwig der Vierzehnte
und Napoleon der Erste; beide hinterließen das Land in einem Zustande
äußerster Erschöpfung und Unzufriedenheit. Gambetta hatte vielleicht in mancher
Beziehung das Zeug zu einem Diktator. Aber er war kein General und lief
daher immer die Gefahr, der selbst ein Perikles erlegen ist. die Gefahr, von
einer Wallung der nämlichen Volksklassen, die das Werkzeug seiner Herrschaft
sind, beiseite geschleudert zu werden. Ja Gambetta mußte noch selber tue
Erfahrung machen. Nur dritthalb Monate dauerte das Munstermm des
Gefeierte,., da stürzte man ihn ans Besorgnis vor Diktaturgelüsten. Es rst das
Schicksal jedes bürgerlichen Diktators, der nicht zugleich ein ruhmvoller, erfolg¬
reicher Feldherr ist'. Ob Frankreich noch jemals wieder einen Monarchen an
seiner Spitze sehen wird, das scheint von dem unberechenbaren Umstände abzu-


I^anotcmx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

Klerikalen und Legitimisten. Und eben dieser war es, der den Herzog von
Broglie schon nach Jahresfrist wieder stürzte, weil er jenen Prätendenten von
Froschdorf nicht emporbringen konnte, der den Kultus seiner weißen Fahne
und seiner unumschränkten Königsgewalt für das Heiligste unter der Sonne
hielt. Mac Mahon war nur das Werkzeug der Monarchisten, Darüber
wurde die Zeit versäumt, während deren die Kammer noch eine monarchistische
Mehrheit hatte. Am 20. Februar 1876 wählte das in den Besitz seiner selbst
gelangte Frankreich zum erstenmal wieder und nun kam eine Mehrheit von
dreihundertsechzig Republikanern gegen nur hundertsiebzig Monarchisten nach
Versailles. Der ganze monarchistische Spuk schien gebannt. Mac Mahon
mußte sich bequemen, mit den Republikanern zu regieren, und konnte froh sein,
daß unter ihnen die gemäßigten in so großer Zahl waren, daß sie. wen,: sie
von den Monarchisten unterstützt waren, eine Kammermehrheü hatten. Mac
Mahon war zwar auf sieben Jahre zum Präsidenten gewählt, indes hat er
selber wie auch später Grevn erfahren müssen, daß die Mehrheit der zwecken
Kanuner auch den unabsetzbaren Präsidenten stürzen kann, wenn sie dazu ent¬
schlossen ist. Damals hatten die Republikaner solchen einheitlichen Willen noch
nicht; die Gemäßigten standen den Radikalen noch zu schroff gegenüber.

Es war das Werk Broglies. - und damit beginnt der dritte Band der
Hanotauxscheu Geschichte -. wider seinen Willen die Republikaner zu ermgen.
Mac Mahon und die monarchistische Senatsmehrheit standen ihm zur Ver¬
fügung, um ein Gesetz über die Auflösung der Kammer zu erlassen, nachdem
die Monarchisten in Verbindung mit den Radikalen das gemäßigt republikanische
Ministerium Jules Simon gestürzt hatten. Es war der berühmte 16. Mai 1877.
Der Verfasser entrollt in diesem Bande ein prachtvolles Bild von dem Verlauf
der Broglieschen Verschwörung bis' zum Tode Gambettas. Auch der Tod
Thiers fällt hinein, ferner der Rücktritt Mac Masons. der orientalische Krieg.
Auch nach Gambettas Tode konnte kein ernstlicher Versuch, die Monarchie herzu¬
stellen, mehr gemacht werden. Je länger die Republik datiert, desto mehr
verblaßt die Erbschaft des monarchistischen Gedankens. Alle seine Träger feck Jahr¬
hunderten haben dazu beigetragen, ihn zu schwächen. Selbst Ludwig der Vierzehnte
und Napoleon der Erste; beide hinterließen das Land in einem Zustande
äußerster Erschöpfung und Unzufriedenheit. Gambetta hatte vielleicht in mancher
Beziehung das Zeug zu einem Diktator. Aber er war kein General und lief
daher immer die Gefahr, der selbst ein Perikles erlegen ist. die Gefahr, von
einer Wallung der nämlichen Volksklassen, die das Werkzeug seiner Herrschaft
sind, beiseite geschleudert zu werden. Ja Gambetta mußte noch selber tue
Erfahrung machen. Nur dritthalb Monate dauerte das Munstermm des
Gefeierte,., da stürzte man ihn ans Besorgnis vor Diktaturgelüsten. Es rst das
Schicksal jedes bürgerlichen Diktators, der nicht zugleich ein ruhmvoller, erfolg¬
reicher Feldherr ist'. Ob Frankreich noch jemals wieder einen Monarchen an
seiner Spitze sehen wird, das scheint von dem unberechenbaren Umstände abzu-


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[0447] I^anotcmx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich Klerikalen und Legitimisten. Und eben dieser war es, der den Herzog von Broglie schon nach Jahresfrist wieder stürzte, weil er jenen Prätendenten von Froschdorf nicht emporbringen konnte, der den Kultus seiner weißen Fahne und seiner unumschränkten Königsgewalt für das Heiligste unter der Sonne hielt. Mac Mahon war nur das Werkzeug der Monarchisten, Darüber wurde die Zeit versäumt, während deren die Kammer noch eine monarchistische Mehrheit hatte. Am 20. Februar 1876 wählte das in den Besitz seiner selbst gelangte Frankreich zum erstenmal wieder und nun kam eine Mehrheit von dreihundertsechzig Republikanern gegen nur hundertsiebzig Monarchisten nach Versailles. Der ganze monarchistische Spuk schien gebannt. Mac Mahon mußte sich bequemen, mit den Republikanern zu regieren, und konnte froh sein, daß unter ihnen die gemäßigten in so großer Zahl waren, daß sie. wen,: sie von den Monarchisten unterstützt waren, eine Kammermehrheü hatten. Mac Mahon war zwar auf sieben Jahre zum Präsidenten gewählt, indes hat er selber wie auch später Grevn erfahren müssen, daß die Mehrheit der zwecken Kanuner auch den unabsetzbaren Präsidenten stürzen kann, wenn sie dazu ent¬ schlossen ist. Damals hatten die Republikaner solchen einheitlichen Willen noch nicht; die Gemäßigten standen den Radikalen noch zu schroff gegenüber. Es war das Werk Broglies. - und damit beginnt der dritte Band der Hanotauxscheu Geschichte -. wider seinen Willen die Republikaner zu ermgen. Mac Mahon und die monarchistische Senatsmehrheit standen ihm zur Ver¬ fügung, um ein Gesetz über die Auflösung der Kammer zu erlassen, nachdem die Monarchisten in Verbindung mit den Radikalen das gemäßigt republikanische Ministerium Jules Simon gestürzt hatten. Es war der berühmte 16. Mai 1877. Der Verfasser entrollt in diesem Bande ein prachtvolles Bild von dem Verlauf der Broglieschen Verschwörung bis' zum Tode Gambettas. Auch der Tod Thiers fällt hinein, ferner der Rücktritt Mac Masons. der orientalische Krieg. Auch nach Gambettas Tode konnte kein ernstlicher Versuch, die Monarchie herzu¬ stellen, mehr gemacht werden. Je länger die Republik datiert, desto mehr verblaßt die Erbschaft des monarchistischen Gedankens. Alle seine Träger feck Jahr¬ hunderten haben dazu beigetragen, ihn zu schwächen. Selbst Ludwig der Vierzehnte und Napoleon der Erste; beide hinterließen das Land in einem Zustande äußerster Erschöpfung und Unzufriedenheit. Gambetta hatte vielleicht in mancher Beziehung das Zeug zu einem Diktator. Aber er war kein General und lief daher immer die Gefahr, der selbst ein Perikles erlegen ist. die Gefahr, von einer Wallung der nämlichen Volksklassen, die das Werkzeug seiner Herrschaft sind, beiseite geschleudert zu werden. Ja Gambetta mußte noch selber tue Erfahrung machen. Nur dritthalb Monate dauerte das Munstermm des Gefeierte,., da stürzte man ihn ans Besorgnis vor Diktaturgelüsten. Es rst das Schicksal jedes bürgerlichen Diktators, der nicht zugleich ein ruhmvoller, erfolg¬ reicher Feldherr ist'. Ob Frankreich noch jemals wieder einen Monarchen an seiner Spitze sehen wird, das scheint von dem unberechenbaren Umstände abzu-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/447>, abgerufen am 23.07.2024.