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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schillor und Hebbel

Nun wird freilich auch das beste Probleindrama im Vergleich mit dem
Leben mangelhaft bleiben. Denn der Dichter kann den Ring, innerhalb dessen
sich das von ihm aufgestellte Lebensbild bewegt, oft nur dadurch abschließen,
daß er einem oder einigen der Hauptcharaktere ein das Maß des Wirklichen
bei weitem überschreitendes Welt- und Selbstbewußtsein verleiht. Wenn nun
Schiller nur mehr das geschichtliche Geschehen an sich gestaltet, wird er in diesem
Sinne der Wahrheit immer näher kommen als Hebbel. Sein Drama wird
daher für den Hörer, der achtlos an den Problemen der Zeit vorübergeht,
auch immer ansprechender sein als das des anderen.

Im Grunde ruhen nun die Eigentümlichkeiten ihrer Dramen immer in
den Eigentümlichkeiten der beiden Dichterpersönlichkeiten. Der sittliche Idealist
Schiller bildet sich sein "eigenes Drama nach seinem Talente", und der tief im
Elementar-Metaphysischen wurzelnde Hebbel "symbolisiert sein Inneres, soweit
es sich in bedeutenden Momenten fixiert". Die Beeinflussung, die beide durch
die Philosophen ihrer Zeit erführen, verstärkte nur ihre Eigenart.

An sich hat natürlich das Schillersche Drama genau dasselbe Daseinsrecht
wie das Hebbelsche, oder umgekehrt. Aber die größere Erhabenheit, die wahr¬
haft tragische Notwendigkeit, kurz: echte Tragik finden wir nur bei Hebbel.
Daß nun aber doch das Schillersche Drama die größere Wirkung ausübt, liegt
daran, daß wir rein tragische Notwendigkeit in Wirklichkeit kaum ertragen, daß
uns eine menschlich gemütvolle Lösung viel eher anzieht. Gehen wir doch in
unserem Leben tausendmal, äußerlich wie innerlich, der Notwendigkeit aus dem
Wege, um in keinen Konflikt mit dein Herzen zu kommen. Und doch fühlen
wir in einsamen Stunden recht wohl, daß wir uns betrogen haben, wenn wir
dein Zwange der Notwendigkeit auswichen. Wir fühlen's: kein Mensch kann
dem anderen helfen, jeder ist für sich allein, und jeder geht seinen Weg, den
er gehen muß, und das Leben schreitet seinen einsamen notwendigen Weg --
auch über uns hinweg. Auch der Schillersche ideale Begriff der Freundschaft
verliert dann an Wert für uns. Hebbel aber hat dies Alleinsein, dieses
Fremdsein gegenüber den anderen Menschen gekannt, denn: "Leben heißt tief
einsam sein". Und wie stark muß dies Gefühl gerade in der Gegenwart aus¬
geprägt sein, wenn sogar ein Liliencron ausrufen kann: "Allein ist der Mensch,
allein, und saß' er im glückseligste,: Verein!" In seinen Auswüchsen mag es
wiederum eine Krankheitserscheinung unserer allzu naturwissenschaftlichen Zeit
sein, an sich aber beruht es gewiß in einem Sichbesinnen auf den geheimnis¬
vollen Urgrund, iii dem der Mensch wurzelt. Und so mag man's auch als
einen Beweis dafür ansehen, daß wir heut von der blassen Aufklärung und
allem, was damit zusammenhängt, weiter als in den letzten zweihundert Jahren
je einmal entfernt sind. Und so viel darf man wohl sagen, daß wir auch im
allgemeinen heilt von dem Menschen Schiller entfernter sind als von Hebbel.
Gewiß bedürfen wir des sittlichen Idealisten Schiller als Führer, damit unser
menschlich gemütliches Wollen nicht in ein bloßes gemütliches Philistern""


Schillor und Hebbel

Nun wird freilich auch das beste Probleindrama im Vergleich mit dem
Leben mangelhaft bleiben. Denn der Dichter kann den Ring, innerhalb dessen
sich das von ihm aufgestellte Lebensbild bewegt, oft nur dadurch abschließen,
daß er einem oder einigen der Hauptcharaktere ein das Maß des Wirklichen
bei weitem überschreitendes Welt- und Selbstbewußtsein verleiht. Wenn nun
Schiller nur mehr das geschichtliche Geschehen an sich gestaltet, wird er in diesem
Sinne der Wahrheit immer näher kommen als Hebbel. Sein Drama wird
daher für den Hörer, der achtlos an den Problemen der Zeit vorübergeht,
auch immer ansprechender sein als das des anderen.

Im Grunde ruhen nun die Eigentümlichkeiten ihrer Dramen immer in
den Eigentümlichkeiten der beiden Dichterpersönlichkeiten. Der sittliche Idealist
Schiller bildet sich sein „eigenes Drama nach seinem Talente", und der tief im
Elementar-Metaphysischen wurzelnde Hebbel „symbolisiert sein Inneres, soweit
es sich in bedeutenden Momenten fixiert". Die Beeinflussung, die beide durch
die Philosophen ihrer Zeit erführen, verstärkte nur ihre Eigenart.

An sich hat natürlich das Schillersche Drama genau dasselbe Daseinsrecht
wie das Hebbelsche, oder umgekehrt. Aber die größere Erhabenheit, die wahr¬
haft tragische Notwendigkeit, kurz: echte Tragik finden wir nur bei Hebbel.
Daß nun aber doch das Schillersche Drama die größere Wirkung ausübt, liegt
daran, daß wir rein tragische Notwendigkeit in Wirklichkeit kaum ertragen, daß
uns eine menschlich gemütvolle Lösung viel eher anzieht. Gehen wir doch in
unserem Leben tausendmal, äußerlich wie innerlich, der Notwendigkeit aus dem
Wege, um in keinen Konflikt mit dein Herzen zu kommen. Und doch fühlen
wir in einsamen Stunden recht wohl, daß wir uns betrogen haben, wenn wir
dein Zwange der Notwendigkeit auswichen. Wir fühlen's: kein Mensch kann
dem anderen helfen, jeder ist für sich allein, und jeder geht seinen Weg, den
er gehen muß, und das Leben schreitet seinen einsamen notwendigen Weg —
auch über uns hinweg. Auch der Schillersche ideale Begriff der Freundschaft
verliert dann an Wert für uns. Hebbel aber hat dies Alleinsein, dieses
Fremdsein gegenüber den anderen Menschen gekannt, denn: „Leben heißt tief
einsam sein". Und wie stark muß dies Gefühl gerade in der Gegenwart aus¬
geprägt sein, wenn sogar ein Liliencron ausrufen kann: „Allein ist der Mensch,
allein, und saß' er im glückseligste,: Verein!" In seinen Auswüchsen mag es
wiederum eine Krankheitserscheinung unserer allzu naturwissenschaftlichen Zeit
sein, an sich aber beruht es gewiß in einem Sichbesinnen auf den geheimnis¬
vollen Urgrund, iii dem der Mensch wurzelt. Und so mag man's auch als
einen Beweis dafür ansehen, daß wir heut von der blassen Aufklärung und
allem, was damit zusammenhängt, weiter als in den letzten zweihundert Jahren
je einmal entfernt sind. Und so viel darf man wohl sagen, daß wir auch im
allgemeinen heilt von dem Menschen Schiller entfernter sind als von Hebbel.
Gewiß bedürfen wir des sittlichen Idealisten Schiller als Führer, damit unser
menschlich gemütliches Wollen nicht in ein bloßes gemütliches Philistern«»


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[0432] Schillor und Hebbel Nun wird freilich auch das beste Probleindrama im Vergleich mit dem Leben mangelhaft bleiben. Denn der Dichter kann den Ring, innerhalb dessen sich das von ihm aufgestellte Lebensbild bewegt, oft nur dadurch abschließen, daß er einem oder einigen der Hauptcharaktere ein das Maß des Wirklichen bei weitem überschreitendes Welt- und Selbstbewußtsein verleiht. Wenn nun Schiller nur mehr das geschichtliche Geschehen an sich gestaltet, wird er in diesem Sinne der Wahrheit immer näher kommen als Hebbel. Sein Drama wird daher für den Hörer, der achtlos an den Problemen der Zeit vorübergeht, auch immer ansprechender sein als das des anderen. Im Grunde ruhen nun die Eigentümlichkeiten ihrer Dramen immer in den Eigentümlichkeiten der beiden Dichterpersönlichkeiten. Der sittliche Idealist Schiller bildet sich sein „eigenes Drama nach seinem Talente", und der tief im Elementar-Metaphysischen wurzelnde Hebbel „symbolisiert sein Inneres, soweit es sich in bedeutenden Momenten fixiert". Die Beeinflussung, die beide durch die Philosophen ihrer Zeit erführen, verstärkte nur ihre Eigenart. An sich hat natürlich das Schillersche Drama genau dasselbe Daseinsrecht wie das Hebbelsche, oder umgekehrt. Aber die größere Erhabenheit, die wahr¬ haft tragische Notwendigkeit, kurz: echte Tragik finden wir nur bei Hebbel. Daß nun aber doch das Schillersche Drama die größere Wirkung ausübt, liegt daran, daß wir rein tragische Notwendigkeit in Wirklichkeit kaum ertragen, daß uns eine menschlich gemütvolle Lösung viel eher anzieht. Gehen wir doch in unserem Leben tausendmal, äußerlich wie innerlich, der Notwendigkeit aus dem Wege, um in keinen Konflikt mit dein Herzen zu kommen. Und doch fühlen wir in einsamen Stunden recht wohl, daß wir uns betrogen haben, wenn wir dein Zwange der Notwendigkeit auswichen. Wir fühlen's: kein Mensch kann dem anderen helfen, jeder ist für sich allein, und jeder geht seinen Weg, den er gehen muß, und das Leben schreitet seinen einsamen notwendigen Weg — auch über uns hinweg. Auch der Schillersche ideale Begriff der Freundschaft verliert dann an Wert für uns. Hebbel aber hat dies Alleinsein, dieses Fremdsein gegenüber den anderen Menschen gekannt, denn: „Leben heißt tief einsam sein". Und wie stark muß dies Gefühl gerade in der Gegenwart aus¬ geprägt sein, wenn sogar ein Liliencron ausrufen kann: „Allein ist der Mensch, allein, und saß' er im glückseligste,: Verein!" In seinen Auswüchsen mag es wiederum eine Krankheitserscheinung unserer allzu naturwissenschaftlichen Zeit sein, an sich aber beruht es gewiß in einem Sichbesinnen auf den geheimnis¬ vollen Urgrund, iii dem der Mensch wurzelt. Und so mag man's auch als einen Beweis dafür ansehen, daß wir heut von der blassen Aufklärung und allem, was damit zusammenhängt, weiter als in den letzten zweihundert Jahren je einmal entfernt sind. Und so viel darf man wohl sagen, daß wir auch im allgemeinen heilt von dem Menschen Schiller entfernter sind als von Hebbel. Gewiß bedürfen wir des sittlichen Idealisten Schiller als Führer, damit unser menschlich gemütliches Wollen nicht in ein bloßes gemütliches Philistern«»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/432>, abgerufen am 25.08.2024.