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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller und Hebbel

hat seine Ursache darin, daß er weit mehr sittliches Kulturwesen war als naives
Naturwesen. Es fehlt deshalb an dem festen Zentrum, von dem aus er als
Gesamterscheinung zu erklären wäre. Er schwebt sozusagen in der Luft, ist deshalb
auch eigentlich nicht so tief als der elementare Mensch. Er hat, um auch das
als Beweis heranzuziehen, auch nie ein irgendwie intimeres Verhältnis zur
Natur gehabt. Jene im letzten Grunde mangelnde Tiefe wird aber ersetzt durch
eine große, überschauende kulturelle Klugheit, die immer dem sittlich Höchsten
nachdenkt. Dies alles ist dann natürlich auch in seiner Dichtung zur Geltung
gekommen. Das schöne Menschheitsideal, das ihn: als sittlichem Kulturwesen
vorschwebte, ist ein stets wiederkehrender Vorwurf in seinen Dichtungen. In
ihm äußert sich auch sein Glaube an die Menschheit und an den Sieg der
Wahrheit, der die Voraussetzung ist für sein Vertrauen an die unendliche
Erziehungsmöglichkeit des Menschheitsgeschlechts, das der erdwurzelnde Hebbel
nie mit ihm teilen konnte. Aber das alles ist es ja eben, was ihn uns zum
Erzieher zu Idealen gemacht hat. Wenn wir aber genau Hinsehen, wächst
freilich auch der edle Mensch in Schiller aus der Wurzel einer bürgerlichen
Ehrbarkeit heraus, deren würdige Vertreter seine Eltern waren. In diesen
Rahmen paßt nun auch der liebende und allzeit klug, fast praktisch nüchtern
sorgende Gatte und Vater, ohne die das Bild des deutschen Idealisten in Schiller
unvollständig wäre. Das alles erscheint nnr unendlich erhöht und verschönt
durch den Genius in ihni.

Die Erkennung Schillers als ideelles Knlturwesen erklärt auch, das; sein
dichterisches Genie ein fast ungebundenes war, weit ungebundener vor allem als
das Hebbels. Er kommt vom Jdeenhaften her, und das wenig Wurzelhafte
seines Wesens setzt dem Fluge seiner Gedanken keine Schranken.

Diese glänzenden ideellen Eigenschaften fehlen in Hebbels elementarem
Wesen, dessen Gebundenheit auch sein poetisches Talent nur schwer zur Höhe
des freien Gestaltens entläßt, nun vollständig, es fehlt ihm bis zu einem gewissen
Grade auch der ideale Flug der Gedanken, und deshalb wird Hebbel auch
unserem Volke nie das werden können, was Schiller ihm ist. Und doch ist er
als Gesamtpersönlichkeit sicher weit moderner als Schiller. Gewiß ist der Idealist
"weiter und freier" als der Realist, man wird aber daraus nicht ohne weiteres
folgern dürfen, daß Schiller deshalb nun auch "modern und zeitgemäß" sei.
Daß bei Hebbel im übrigen das Jdeenhafte nicht fehlt, ist selbstverständlich.
Nur ist es bei ihm wiederum elementarer, tiefgründiger, -- metaphysischer
nämlich, und in dieser Form dürfte vielleicht die Bedeutung des Ideellen für
die moderne Zeit gesehen werden. Im allgemeinen darf man sagen, daß in
der Gegenwart nur aus der Betätigung entsproßte Ideen in unserem Volke ein
Daseinsrecht zu haben scheinen, und das ist nicht das spezifisch Schillersche Ideelle.
Mit anderen Worten: wir sind bodenständiger, realer geworden, als es die
Persönlichkeit dieses sittlichen Idealisten war, der im tiefsten Grunde eigentlich
noch in der alten Aufklärung wurzelt. Wenn uns so auch Schiller der Führer


Schiller und Hebbel

hat seine Ursache darin, daß er weit mehr sittliches Kulturwesen war als naives
Naturwesen. Es fehlt deshalb an dem festen Zentrum, von dem aus er als
Gesamterscheinung zu erklären wäre. Er schwebt sozusagen in der Luft, ist deshalb
auch eigentlich nicht so tief als der elementare Mensch. Er hat, um auch das
als Beweis heranzuziehen, auch nie ein irgendwie intimeres Verhältnis zur
Natur gehabt. Jene im letzten Grunde mangelnde Tiefe wird aber ersetzt durch
eine große, überschauende kulturelle Klugheit, die immer dem sittlich Höchsten
nachdenkt. Dies alles ist dann natürlich auch in seiner Dichtung zur Geltung
gekommen. Das schöne Menschheitsideal, das ihn: als sittlichem Kulturwesen
vorschwebte, ist ein stets wiederkehrender Vorwurf in seinen Dichtungen. In
ihm äußert sich auch sein Glaube an die Menschheit und an den Sieg der
Wahrheit, der die Voraussetzung ist für sein Vertrauen an die unendliche
Erziehungsmöglichkeit des Menschheitsgeschlechts, das der erdwurzelnde Hebbel
nie mit ihm teilen konnte. Aber das alles ist es ja eben, was ihn uns zum
Erzieher zu Idealen gemacht hat. Wenn wir aber genau Hinsehen, wächst
freilich auch der edle Mensch in Schiller aus der Wurzel einer bürgerlichen
Ehrbarkeit heraus, deren würdige Vertreter seine Eltern waren. In diesen
Rahmen paßt nun auch der liebende und allzeit klug, fast praktisch nüchtern
sorgende Gatte und Vater, ohne die das Bild des deutschen Idealisten in Schiller
unvollständig wäre. Das alles erscheint nnr unendlich erhöht und verschönt
durch den Genius in ihni.

Die Erkennung Schillers als ideelles Knlturwesen erklärt auch, das; sein
dichterisches Genie ein fast ungebundenes war, weit ungebundener vor allem als
das Hebbels. Er kommt vom Jdeenhaften her, und das wenig Wurzelhafte
seines Wesens setzt dem Fluge seiner Gedanken keine Schranken.

Diese glänzenden ideellen Eigenschaften fehlen in Hebbels elementarem
Wesen, dessen Gebundenheit auch sein poetisches Talent nur schwer zur Höhe
des freien Gestaltens entläßt, nun vollständig, es fehlt ihm bis zu einem gewissen
Grade auch der ideale Flug der Gedanken, und deshalb wird Hebbel auch
unserem Volke nie das werden können, was Schiller ihm ist. Und doch ist er
als Gesamtpersönlichkeit sicher weit moderner als Schiller. Gewiß ist der Idealist
„weiter und freier" als der Realist, man wird aber daraus nicht ohne weiteres
folgern dürfen, daß Schiller deshalb nun auch „modern und zeitgemäß" sei.
Daß bei Hebbel im übrigen das Jdeenhafte nicht fehlt, ist selbstverständlich.
Nur ist es bei ihm wiederum elementarer, tiefgründiger, — metaphysischer
nämlich, und in dieser Form dürfte vielleicht die Bedeutung des Ideellen für
die moderne Zeit gesehen werden. Im allgemeinen darf man sagen, daß in
der Gegenwart nur aus der Betätigung entsproßte Ideen in unserem Volke ein
Daseinsrecht zu haben scheinen, und das ist nicht das spezifisch Schillersche Ideelle.
Mit anderen Worten: wir sind bodenständiger, realer geworden, als es die
Persönlichkeit dieses sittlichen Idealisten war, der im tiefsten Grunde eigentlich
noch in der alten Aufklärung wurzelt. Wenn uns so auch Schiller der Führer


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[0428] Schiller und Hebbel hat seine Ursache darin, daß er weit mehr sittliches Kulturwesen war als naives Naturwesen. Es fehlt deshalb an dem festen Zentrum, von dem aus er als Gesamterscheinung zu erklären wäre. Er schwebt sozusagen in der Luft, ist deshalb auch eigentlich nicht so tief als der elementare Mensch. Er hat, um auch das als Beweis heranzuziehen, auch nie ein irgendwie intimeres Verhältnis zur Natur gehabt. Jene im letzten Grunde mangelnde Tiefe wird aber ersetzt durch eine große, überschauende kulturelle Klugheit, die immer dem sittlich Höchsten nachdenkt. Dies alles ist dann natürlich auch in seiner Dichtung zur Geltung gekommen. Das schöne Menschheitsideal, das ihn: als sittlichem Kulturwesen vorschwebte, ist ein stets wiederkehrender Vorwurf in seinen Dichtungen. In ihm äußert sich auch sein Glaube an die Menschheit und an den Sieg der Wahrheit, der die Voraussetzung ist für sein Vertrauen an die unendliche Erziehungsmöglichkeit des Menschheitsgeschlechts, das der erdwurzelnde Hebbel nie mit ihm teilen konnte. Aber das alles ist es ja eben, was ihn uns zum Erzieher zu Idealen gemacht hat. Wenn wir aber genau Hinsehen, wächst freilich auch der edle Mensch in Schiller aus der Wurzel einer bürgerlichen Ehrbarkeit heraus, deren würdige Vertreter seine Eltern waren. In diesen Rahmen paßt nun auch der liebende und allzeit klug, fast praktisch nüchtern sorgende Gatte und Vater, ohne die das Bild des deutschen Idealisten in Schiller unvollständig wäre. Das alles erscheint nnr unendlich erhöht und verschönt durch den Genius in ihni. Die Erkennung Schillers als ideelles Knlturwesen erklärt auch, das; sein dichterisches Genie ein fast ungebundenes war, weit ungebundener vor allem als das Hebbels. Er kommt vom Jdeenhaften her, und das wenig Wurzelhafte seines Wesens setzt dem Fluge seiner Gedanken keine Schranken. Diese glänzenden ideellen Eigenschaften fehlen in Hebbels elementarem Wesen, dessen Gebundenheit auch sein poetisches Talent nur schwer zur Höhe des freien Gestaltens entläßt, nun vollständig, es fehlt ihm bis zu einem gewissen Grade auch der ideale Flug der Gedanken, und deshalb wird Hebbel auch unserem Volke nie das werden können, was Schiller ihm ist. Und doch ist er als Gesamtpersönlichkeit sicher weit moderner als Schiller. Gewiß ist der Idealist „weiter und freier" als der Realist, man wird aber daraus nicht ohne weiteres folgern dürfen, daß Schiller deshalb nun auch „modern und zeitgemäß" sei. Daß bei Hebbel im übrigen das Jdeenhafte nicht fehlt, ist selbstverständlich. Nur ist es bei ihm wiederum elementarer, tiefgründiger, — metaphysischer nämlich, und in dieser Form dürfte vielleicht die Bedeutung des Ideellen für die moderne Zeit gesehen werden. Im allgemeinen darf man sagen, daß in der Gegenwart nur aus der Betätigung entsproßte Ideen in unserem Volke ein Daseinsrecht zu haben scheinen, und das ist nicht das spezifisch Schillersche Ideelle. Mit anderen Worten: wir sind bodenständiger, realer geworden, als es die Persönlichkeit dieses sittlichen Idealisten war, der im tiefsten Grunde eigentlich noch in der alten Aufklärung wurzelt. Wenn uns so auch Schiller der Führer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/428>, abgerufen am 25.08.2024.