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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

sieht sogar bei besonders hartnäckigen und unverbesserlichen Individuen die
Kastration vor.

So weit geht nun der Vorentwurf natürlich nicht, und für unser deutsches
Empfinden auch mit Recht. Er bestimmt vielmehr nur folgendes: Als Rückfall
soll nach Z 87 B.E. das zweite Verbrechen oder vorsätzliche Vergehen angesehen
werden, das binnen fünf Jahren nach der ersten wegen einer solchen Tat
erlittenen und verbüßten Bestrafung begangen wird. Die Rückfallsstrafe soll
nach § 88 V.E. stets angemessen höher sein als eine Erstbestrafung. Im dritten
und ferneren Rückfalle beträgt die Strafe mindestens ein Viertel und höchstens
das Doppelte der angedrohten höchsten Strafe, doch darf der gesetzliche Höchst¬
betrag der zur Anwendung kommenden Strafart nicht überschritten werden. Von
mehreren angedrohten Strafarten ist die schwerste zu wählen. Beträgt z. B. die
Strafe für gefährliche Körperverletzung nach dem geltenden Rechte bis zu fünf
Jahren Gefängnis, so müßte danach gegen den, der das drittemal einen
Menschen mit Messer oder anderen Werkzeugen überfällt, mindestens auf ein-
undeinviertel Jahre Gefängnis und höchstens auf zehn Jahre Gefängnis erkannt
werden. Welche wertvolle Stetigkeit und fortschreitende Steigerung wird eine
solche Zwangsbestimmung in unsere Rechtspflege und in die einzelnen Strafe"
der Verbrecher bringen. Heute erleben wir es, daß ein Rodung, der schon
mit sechs Monaten und zwölf Monaten wegen Körperverletzung vorbestraft ist,
das Glück hat, an ein mildes Gericht zu geraten, das die von ihm mit einer
Glasflasche an dem Kopfe eines anderen verübte Körperverletzung nur mit
zwei Monaten Gefängnis führt. Besonders wichtig ist auch der letzte Satz
der oben wiedergegebenen Bestimmung, daß von mehreren angedrohten Strafarten
vom dritten Rückfall ab die schwerste zu wählen ist; danach bleibt für solche
Rückfällige künftig wenigstens die Anwendung von Geldstrafe so gut wie aus¬
geschlossen. Da ausnahmsweise ein späterer Rückfall einmal milder liegen
kann, so beugt Absatz 4 des H 88 einer zu großen Starrheit in dieser Straf¬
staffelung durch die Zulassung milderer Strafen beim Vorliegen besonderer
Umstände vor.

Von den Rückfälligen getrennt werden die gewerbs- und gewohnheitsmäßigen
Verbrecher in Z 89 behandelt.

Unter diesen versteht der Vorentwurf Übeltäter, die mindestens fünfmal
wegen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen mit erheblichen Freiheitsstrafen,
darunter mindestens einmal mit Zuchthaus, bestraft sind und die letzte Strafe
vor nicht länger als drei Jahren verbüßt haben, und nunmehr ein neues Ver¬
brechen oder vorsätzliches Vergehen verüben, das sie in Verbindung mit den
Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Verbrecher erscheinen läßt.
Diese Regelung dürfte in ihrer Beschränkung auf die schwereren Delikte, in dem
Erfordernis mindestens einmaliger Zuchthausstrafe, in dem Hinweis auf den
Zusammenhang der Taten untereinander den Rahmen zutreffend abstecken, in
welchem wir die Individuen erkennen können, welche, sei es aus verbrecherischer


Kritische Aufsätze

sieht sogar bei besonders hartnäckigen und unverbesserlichen Individuen die
Kastration vor.

So weit geht nun der Vorentwurf natürlich nicht, und für unser deutsches
Empfinden auch mit Recht. Er bestimmt vielmehr nur folgendes: Als Rückfall
soll nach Z 87 B.E. das zweite Verbrechen oder vorsätzliche Vergehen angesehen
werden, das binnen fünf Jahren nach der ersten wegen einer solchen Tat
erlittenen und verbüßten Bestrafung begangen wird. Die Rückfallsstrafe soll
nach § 88 V.E. stets angemessen höher sein als eine Erstbestrafung. Im dritten
und ferneren Rückfalle beträgt die Strafe mindestens ein Viertel und höchstens
das Doppelte der angedrohten höchsten Strafe, doch darf der gesetzliche Höchst¬
betrag der zur Anwendung kommenden Strafart nicht überschritten werden. Von
mehreren angedrohten Strafarten ist die schwerste zu wählen. Beträgt z. B. die
Strafe für gefährliche Körperverletzung nach dem geltenden Rechte bis zu fünf
Jahren Gefängnis, so müßte danach gegen den, der das drittemal einen
Menschen mit Messer oder anderen Werkzeugen überfällt, mindestens auf ein-
undeinviertel Jahre Gefängnis und höchstens auf zehn Jahre Gefängnis erkannt
werden. Welche wertvolle Stetigkeit und fortschreitende Steigerung wird eine
solche Zwangsbestimmung in unsere Rechtspflege und in die einzelnen Strafe»
der Verbrecher bringen. Heute erleben wir es, daß ein Rodung, der schon
mit sechs Monaten und zwölf Monaten wegen Körperverletzung vorbestraft ist,
das Glück hat, an ein mildes Gericht zu geraten, das die von ihm mit einer
Glasflasche an dem Kopfe eines anderen verübte Körperverletzung nur mit
zwei Monaten Gefängnis führt. Besonders wichtig ist auch der letzte Satz
der oben wiedergegebenen Bestimmung, daß von mehreren angedrohten Strafarten
vom dritten Rückfall ab die schwerste zu wählen ist; danach bleibt für solche
Rückfällige künftig wenigstens die Anwendung von Geldstrafe so gut wie aus¬
geschlossen. Da ausnahmsweise ein späterer Rückfall einmal milder liegen
kann, so beugt Absatz 4 des H 88 einer zu großen Starrheit in dieser Straf¬
staffelung durch die Zulassung milderer Strafen beim Vorliegen besonderer
Umstände vor.

Von den Rückfälligen getrennt werden die gewerbs- und gewohnheitsmäßigen
Verbrecher in Z 89 behandelt.

Unter diesen versteht der Vorentwurf Übeltäter, die mindestens fünfmal
wegen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen mit erheblichen Freiheitsstrafen,
darunter mindestens einmal mit Zuchthaus, bestraft sind und die letzte Strafe
vor nicht länger als drei Jahren verbüßt haben, und nunmehr ein neues Ver¬
brechen oder vorsätzliches Vergehen verüben, das sie in Verbindung mit den
Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Verbrecher erscheinen läßt.
Diese Regelung dürfte in ihrer Beschränkung auf die schwereren Delikte, in dem
Erfordernis mindestens einmaliger Zuchthausstrafe, in dem Hinweis auf den
Zusammenhang der Taten untereinander den Rahmen zutreffend abstecken, in
welchem wir die Individuen erkennen können, welche, sei es aus verbrecherischer


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[0386] Kritische Aufsätze sieht sogar bei besonders hartnäckigen und unverbesserlichen Individuen die Kastration vor. So weit geht nun der Vorentwurf natürlich nicht, und für unser deutsches Empfinden auch mit Recht. Er bestimmt vielmehr nur folgendes: Als Rückfall soll nach Z 87 B.E. das zweite Verbrechen oder vorsätzliche Vergehen angesehen werden, das binnen fünf Jahren nach der ersten wegen einer solchen Tat erlittenen und verbüßten Bestrafung begangen wird. Die Rückfallsstrafe soll nach § 88 V.E. stets angemessen höher sein als eine Erstbestrafung. Im dritten und ferneren Rückfalle beträgt die Strafe mindestens ein Viertel und höchstens das Doppelte der angedrohten höchsten Strafe, doch darf der gesetzliche Höchst¬ betrag der zur Anwendung kommenden Strafart nicht überschritten werden. Von mehreren angedrohten Strafarten ist die schwerste zu wählen. Beträgt z. B. die Strafe für gefährliche Körperverletzung nach dem geltenden Rechte bis zu fünf Jahren Gefängnis, so müßte danach gegen den, der das drittemal einen Menschen mit Messer oder anderen Werkzeugen überfällt, mindestens auf ein- undeinviertel Jahre Gefängnis und höchstens auf zehn Jahre Gefängnis erkannt werden. Welche wertvolle Stetigkeit und fortschreitende Steigerung wird eine solche Zwangsbestimmung in unsere Rechtspflege und in die einzelnen Strafe» der Verbrecher bringen. Heute erleben wir es, daß ein Rodung, der schon mit sechs Monaten und zwölf Monaten wegen Körperverletzung vorbestraft ist, das Glück hat, an ein mildes Gericht zu geraten, das die von ihm mit einer Glasflasche an dem Kopfe eines anderen verübte Körperverletzung nur mit zwei Monaten Gefängnis führt. Besonders wichtig ist auch der letzte Satz der oben wiedergegebenen Bestimmung, daß von mehreren angedrohten Strafarten vom dritten Rückfall ab die schwerste zu wählen ist; danach bleibt für solche Rückfällige künftig wenigstens die Anwendung von Geldstrafe so gut wie aus¬ geschlossen. Da ausnahmsweise ein späterer Rückfall einmal milder liegen kann, so beugt Absatz 4 des H 88 einer zu großen Starrheit in dieser Straf¬ staffelung durch die Zulassung milderer Strafen beim Vorliegen besonderer Umstände vor. Von den Rückfälligen getrennt werden die gewerbs- und gewohnheitsmäßigen Verbrecher in Z 89 behandelt. Unter diesen versteht der Vorentwurf Übeltäter, die mindestens fünfmal wegen Verbrechen oder vorsätzlichen Vergehen mit erheblichen Freiheitsstrafen, darunter mindestens einmal mit Zuchthaus, bestraft sind und die letzte Strafe vor nicht länger als drei Jahren verbüßt haben, und nunmehr ein neues Ver¬ brechen oder vorsätzliches Vergehen verüben, das sie in Verbindung mit den Vorstrafen als gewerbs- oder gewohnheitsmäßige Verbrecher erscheinen läßt. Diese Regelung dürfte in ihrer Beschränkung auf die schwereren Delikte, in dem Erfordernis mindestens einmaliger Zuchthausstrafe, in dem Hinweis auf den Zusammenhang der Taten untereinander den Rahmen zutreffend abstecken, in welchem wir die Individuen erkennen können, welche, sei es aus verbrecherischer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/386>, abgerufen am 23.07.2024.