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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Lage in Ungarn

geredet hatte, der Monarch habe nachgegeben, damit der von der Verfassung
vorgezeichnete Termin des 11. April eingehalten werden könne. Die Hauptsache
war, daß unter Führung des ehemaligen Liberalen und von der Börse begünstigten
Wekerle die Parteihäupter auf den Ministerstühlen und der ganze Anhang der
Parlamentarier, wenn auch ein wenig anders gruppiert, wieder auf ihren Plätzen
saßen und die Diäten und die Staatsunterstützungen an die der Regierung
befreundeten Industriellen wieder bezahlt werden konnten. Es handelte sich nun
darum, sich in dieser Stellung zu behaupten, was sich anfangs ganz leicht machte,
da fleißig mit verteilten Rollen gearbeitet wurde. Die Beratung des Budgets
und einer Reihe zum Teil recht nützlicher Gesetzentwürfe ging anstandslos vor
sich. Die militärischen Streitfragen, um derentwillen einst die heutige Mehrheit
die verhaßte Gewaltherrschaft der liberalen Partei gestürzt hatte, durften nicht
angerührt werden, da sie durch den Pakt "auf Wunsch der Krone" bekanntlich
ausgeschaltet worden waren. Als freilich im Herbst 1906 aus den Verhandlungen
im österreichischen Abgeordnetenhause hervorging, daß das Ministerium doch weitere,
bisher verschwiegene militärische Verpflichtungen eingegangen war, und als der
Kaiser den Feldzeugmeister Schönaich ausdrücklich zum "Reichskriegsminister"
ernannte, entstand doch einiger Rumor unter den unentwegter Unabhängigen;
aber er wurde erstickt durch den patriotischen Rummel, unter dem am 25. bis
30. Oktober die Gebeine der "Rebellen" Tököly und Rakoczy beigesetzt wurden.
So schloß das Jahr 1906 und das folgende brachte sogar den neuen Ausgleich
mit Österreich bis 1917, der doch im ausgesprochensten Gegensatz zu dem
Programm der jetzt dem Namen nach herrschenden Unabhängigkeitspartei stand.

Man kann ja nun darauf hinweisen, daß überall die Verhältnisse stärker
sind als die Menschen, und daß schon manch eine Opposition, nachdem sie zur
Regierung gekommen war, in Sachen der Staatsnotwendigkeit genau das tun
mußte, was sie vorher bekämpft hatte. Man braucht auch nicht außer acht zu
lassen, daß das Verlangen der Unabhängigkeitspartei nach wirtschaftlicher
Trennung von Österreich wirklich eine reine Oppositionskomödie ist; denn Ungarn
würde in die größte Verlegenheit geraten, wenn Österreich ernstlich darauf ein¬
gehen wollte. Trotz allem hatte der Eifer, mit dem die Koalitionsregierung den
Wunsch des Kaisers vertrat, die Stellung der Vertrauensfrage durch Kossuth bei
seiner Partei und schließlich wegen der Obstruktion der Kroaten die Durchsetzung
des Ausgleichs durch ein Ermächtigungsgesetz doch eine besondere, nicht in der
Ausgleichsangelegenheit selbst liegende Ursache. Die Herren hatten nämlich
allen Anlaß, sich mit der Krone gut zu stellen, denn über ihnen schwebte gleich
dem Schwerte des Damokles die Durchführung des allgemeinen Wahlrechts.
Es war freilich ein wenig viel verlangt, daß die jetzt unter der Firma
der Koalition wieder herrschende Koterie sich ernstlich bemühen sollte, die
Grundlagen ihrer Herrschaft zu untergraben. Nun braucht man nicht gerade
anzunehmen, daß wenigstens die Ehrlicheren unter ihnen gleich von vornherein
mit unredlicher Absicht zur Regierung geschritten seien. Im glühenden Drang,


Die Lage in Ungarn

geredet hatte, der Monarch habe nachgegeben, damit der von der Verfassung
vorgezeichnete Termin des 11. April eingehalten werden könne. Die Hauptsache
war, daß unter Führung des ehemaligen Liberalen und von der Börse begünstigten
Wekerle die Parteihäupter auf den Ministerstühlen und der ganze Anhang der
Parlamentarier, wenn auch ein wenig anders gruppiert, wieder auf ihren Plätzen
saßen und die Diäten und die Staatsunterstützungen an die der Regierung
befreundeten Industriellen wieder bezahlt werden konnten. Es handelte sich nun
darum, sich in dieser Stellung zu behaupten, was sich anfangs ganz leicht machte,
da fleißig mit verteilten Rollen gearbeitet wurde. Die Beratung des Budgets
und einer Reihe zum Teil recht nützlicher Gesetzentwürfe ging anstandslos vor
sich. Die militärischen Streitfragen, um derentwillen einst die heutige Mehrheit
die verhaßte Gewaltherrschaft der liberalen Partei gestürzt hatte, durften nicht
angerührt werden, da sie durch den Pakt „auf Wunsch der Krone" bekanntlich
ausgeschaltet worden waren. Als freilich im Herbst 1906 aus den Verhandlungen
im österreichischen Abgeordnetenhause hervorging, daß das Ministerium doch weitere,
bisher verschwiegene militärische Verpflichtungen eingegangen war, und als der
Kaiser den Feldzeugmeister Schönaich ausdrücklich zum „Reichskriegsminister"
ernannte, entstand doch einiger Rumor unter den unentwegter Unabhängigen;
aber er wurde erstickt durch den patriotischen Rummel, unter dem am 25. bis
30. Oktober die Gebeine der „Rebellen" Tököly und Rakoczy beigesetzt wurden.
So schloß das Jahr 1906 und das folgende brachte sogar den neuen Ausgleich
mit Österreich bis 1917, der doch im ausgesprochensten Gegensatz zu dem
Programm der jetzt dem Namen nach herrschenden Unabhängigkeitspartei stand.

Man kann ja nun darauf hinweisen, daß überall die Verhältnisse stärker
sind als die Menschen, und daß schon manch eine Opposition, nachdem sie zur
Regierung gekommen war, in Sachen der Staatsnotwendigkeit genau das tun
mußte, was sie vorher bekämpft hatte. Man braucht auch nicht außer acht zu
lassen, daß das Verlangen der Unabhängigkeitspartei nach wirtschaftlicher
Trennung von Österreich wirklich eine reine Oppositionskomödie ist; denn Ungarn
würde in die größte Verlegenheit geraten, wenn Österreich ernstlich darauf ein¬
gehen wollte. Trotz allem hatte der Eifer, mit dem die Koalitionsregierung den
Wunsch des Kaisers vertrat, die Stellung der Vertrauensfrage durch Kossuth bei
seiner Partei und schließlich wegen der Obstruktion der Kroaten die Durchsetzung
des Ausgleichs durch ein Ermächtigungsgesetz doch eine besondere, nicht in der
Ausgleichsangelegenheit selbst liegende Ursache. Die Herren hatten nämlich
allen Anlaß, sich mit der Krone gut zu stellen, denn über ihnen schwebte gleich
dem Schwerte des Damokles die Durchführung des allgemeinen Wahlrechts.
Es war freilich ein wenig viel verlangt, daß die jetzt unter der Firma
der Koalition wieder herrschende Koterie sich ernstlich bemühen sollte, die
Grundlagen ihrer Herrschaft zu untergraben. Nun braucht man nicht gerade
anzunehmen, daß wenigstens die Ehrlicheren unter ihnen gleich von vornherein
mit unredlicher Absicht zur Regierung geschritten seien. Im glühenden Drang,


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[0377] Die Lage in Ungarn geredet hatte, der Monarch habe nachgegeben, damit der von der Verfassung vorgezeichnete Termin des 11. April eingehalten werden könne. Die Hauptsache war, daß unter Führung des ehemaligen Liberalen und von der Börse begünstigten Wekerle die Parteihäupter auf den Ministerstühlen und der ganze Anhang der Parlamentarier, wenn auch ein wenig anders gruppiert, wieder auf ihren Plätzen saßen und die Diäten und die Staatsunterstützungen an die der Regierung befreundeten Industriellen wieder bezahlt werden konnten. Es handelte sich nun darum, sich in dieser Stellung zu behaupten, was sich anfangs ganz leicht machte, da fleißig mit verteilten Rollen gearbeitet wurde. Die Beratung des Budgets und einer Reihe zum Teil recht nützlicher Gesetzentwürfe ging anstandslos vor sich. Die militärischen Streitfragen, um derentwillen einst die heutige Mehrheit die verhaßte Gewaltherrschaft der liberalen Partei gestürzt hatte, durften nicht angerührt werden, da sie durch den Pakt „auf Wunsch der Krone" bekanntlich ausgeschaltet worden waren. Als freilich im Herbst 1906 aus den Verhandlungen im österreichischen Abgeordnetenhause hervorging, daß das Ministerium doch weitere, bisher verschwiegene militärische Verpflichtungen eingegangen war, und als der Kaiser den Feldzeugmeister Schönaich ausdrücklich zum „Reichskriegsminister" ernannte, entstand doch einiger Rumor unter den unentwegter Unabhängigen; aber er wurde erstickt durch den patriotischen Rummel, unter dem am 25. bis 30. Oktober die Gebeine der „Rebellen" Tököly und Rakoczy beigesetzt wurden. So schloß das Jahr 1906 und das folgende brachte sogar den neuen Ausgleich mit Österreich bis 1917, der doch im ausgesprochensten Gegensatz zu dem Programm der jetzt dem Namen nach herrschenden Unabhängigkeitspartei stand. Man kann ja nun darauf hinweisen, daß überall die Verhältnisse stärker sind als die Menschen, und daß schon manch eine Opposition, nachdem sie zur Regierung gekommen war, in Sachen der Staatsnotwendigkeit genau das tun mußte, was sie vorher bekämpft hatte. Man braucht auch nicht außer acht zu lassen, daß das Verlangen der Unabhängigkeitspartei nach wirtschaftlicher Trennung von Österreich wirklich eine reine Oppositionskomödie ist; denn Ungarn würde in die größte Verlegenheit geraten, wenn Österreich ernstlich darauf ein¬ gehen wollte. Trotz allem hatte der Eifer, mit dem die Koalitionsregierung den Wunsch des Kaisers vertrat, die Stellung der Vertrauensfrage durch Kossuth bei seiner Partei und schließlich wegen der Obstruktion der Kroaten die Durchsetzung des Ausgleichs durch ein Ermächtigungsgesetz doch eine besondere, nicht in der Ausgleichsangelegenheit selbst liegende Ursache. Die Herren hatten nämlich allen Anlaß, sich mit der Krone gut zu stellen, denn über ihnen schwebte gleich dem Schwerte des Damokles die Durchführung des allgemeinen Wahlrechts. Es war freilich ein wenig viel verlangt, daß die jetzt unter der Firma der Koalition wieder herrschende Koterie sich ernstlich bemühen sollte, die Grundlagen ihrer Herrschaft zu untergraben. Nun braucht man nicht gerade anzunehmen, daß wenigstens die Ehrlicheren unter ihnen gleich von vornherein mit unredlicher Absicht zur Regierung geschritten seien. Im glühenden Drang,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/377>, abgerufen am 23.07.2024.