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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versicherungsrccht

irgendeine Weise verfällt, z. B. wegen Nichtzahlung der Prämien, so verbleiben
nicht die gesamten bezahlten Prämien der Versicherungsgesellschaft, sondern es
muß der Teil, der der Prämienreserve entspricht, in der einen oder andern
Form dem Versicherungsnehmer wieder zugewendet werden. Vorausgesetzt ist
hierfür im Einklang mit dem Versicherungsvertragsgesetz, daß die Versicherung
bereits drei Jahre bestanden hat und die Prämien für diesen Zeitraum bezahlt
worden sind. Die Prämienreserve, also der als Spareinlage gezahlte Teil der
Prämien, bleibt dann entweder beim Verhinderer stehen als einmalige Einlage
für eine prämienfreie Versicherung oder sie wird dem Versicherungsnehmer
zurückbezahlt; wie man es früher ausgedrückt hat: die Police wird von der
Gesellschaft zurückgekauft. An Stelle des Rückkaufs kann auch die Beleihung
der Police treten, d. h. wenn ein Versicherungsnehmer an sich seine Versicherung
fortsetzen will, aber sich in vorübergehender Geldverlegenheit befindet, so läßt
er sich von der Versicherungsgesellschaft eine Vorauszahlung bis zur Höhe seines
Sparguthabens geben; kommt er dann in bessere Umstände, so bringt er die
Versicherung durch Rückzahlung des empfangenen Betrages nebst Zinsen wieder
auf die ursprüngliche Höhe; tritt der Versicherungsfall inzwischen ein, so wird
die Vorauszahlung von der Versicherungssumme abgezogen. Die Berechnung
dieser Prämienreserve entzieht sich nun aber dem Laienverständnis vollständig;
um jedem Inhaber eines Versicherungsscheins eine Übersicht zu ermöglichen,
sollen künftig die Versicherungsscheine eine Tabelle der in jedem Vcrsicherungs-
jahr verfügbaren Umwandlungswerte und Rückvergütungen, also der Spar¬
guthaben, enthalten. Alles dies hatte sich schon in der frühern Handhabung
der Lebensversicherungspraxis ausgebildet, war aber mehr oder weniger von
der Willkür der einzelnen Gesellschaften abhängig. Der große Fortschritt des
neuen Rechts liegt, abgesehen von einzelnen kleinen Verbesserungen, vor allein
darin, daß man nunmehr die ganzen Rechte und Verpflichtungen auf einen
gesicherten und übersichtlichen Rechtsboden gestellt hat. Das ganze Verhältnis
ist so wandelbar und schmiegt sich so sehr den wechselnden wirtschaftlichen
Bedürfnissen an, daß man mit Fug und Recht eine Lebensversicherungspolice
den besten und zuverlässigsten Freund in der Not hat nennen können.

Diese besondern Vorteile fallen nun freilich weg bei der Art Lebensversicherung,
die sich in neuester Zeit am weitesten und allgemeinsten verbreitet hat, bei der
Volksversicherung, also, um die Hauptmerkmale herauszugreifen, bei der Ver¬
sicherung mit kleinen Beträgen ohne ärztliche Untersuchung und einer Prämien¬
zahlung in kleinen Raten, meist Wochenraten, die beim Versicherten abgeholt
werden. Bei der Volksversicherimg tritt namentlich hinsichtlich der Prämien¬
zahlung an die Stelle der Mahnpflicht der Gesellschaften der automatische Verfall
der Versicherung; es ist eine Zahlungsfrist von acht Wochen bestimmt; wird
diese versäumt, so verfällt die Versicherung ohne weiteres; sie kann aber innerhalb
der nächsten sechs Monate durch einfache Nachzahlung und innerhalb weiterer
sechs Monate durch Nachzahlung und Beibringung eines ärztlichen Gesundheits-


Das neue versicherungsrccht

irgendeine Weise verfällt, z. B. wegen Nichtzahlung der Prämien, so verbleiben
nicht die gesamten bezahlten Prämien der Versicherungsgesellschaft, sondern es
muß der Teil, der der Prämienreserve entspricht, in der einen oder andern
Form dem Versicherungsnehmer wieder zugewendet werden. Vorausgesetzt ist
hierfür im Einklang mit dem Versicherungsvertragsgesetz, daß die Versicherung
bereits drei Jahre bestanden hat und die Prämien für diesen Zeitraum bezahlt
worden sind. Die Prämienreserve, also der als Spareinlage gezahlte Teil der
Prämien, bleibt dann entweder beim Verhinderer stehen als einmalige Einlage
für eine prämienfreie Versicherung oder sie wird dem Versicherungsnehmer
zurückbezahlt; wie man es früher ausgedrückt hat: die Police wird von der
Gesellschaft zurückgekauft. An Stelle des Rückkaufs kann auch die Beleihung
der Police treten, d. h. wenn ein Versicherungsnehmer an sich seine Versicherung
fortsetzen will, aber sich in vorübergehender Geldverlegenheit befindet, so läßt
er sich von der Versicherungsgesellschaft eine Vorauszahlung bis zur Höhe seines
Sparguthabens geben; kommt er dann in bessere Umstände, so bringt er die
Versicherung durch Rückzahlung des empfangenen Betrages nebst Zinsen wieder
auf die ursprüngliche Höhe; tritt der Versicherungsfall inzwischen ein, so wird
die Vorauszahlung von der Versicherungssumme abgezogen. Die Berechnung
dieser Prämienreserve entzieht sich nun aber dem Laienverständnis vollständig;
um jedem Inhaber eines Versicherungsscheins eine Übersicht zu ermöglichen,
sollen künftig die Versicherungsscheine eine Tabelle der in jedem Vcrsicherungs-
jahr verfügbaren Umwandlungswerte und Rückvergütungen, also der Spar¬
guthaben, enthalten. Alles dies hatte sich schon in der frühern Handhabung
der Lebensversicherungspraxis ausgebildet, war aber mehr oder weniger von
der Willkür der einzelnen Gesellschaften abhängig. Der große Fortschritt des
neuen Rechts liegt, abgesehen von einzelnen kleinen Verbesserungen, vor allein
darin, daß man nunmehr die ganzen Rechte und Verpflichtungen auf einen
gesicherten und übersichtlichen Rechtsboden gestellt hat. Das ganze Verhältnis
ist so wandelbar und schmiegt sich so sehr den wechselnden wirtschaftlichen
Bedürfnissen an, daß man mit Fug und Recht eine Lebensversicherungspolice
den besten und zuverlässigsten Freund in der Not hat nennen können.

Diese besondern Vorteile fallen nun freilich weg bei der Art Lebensversicherung,
die sich in neuester Zeit am weitesten und allgemeinsten verbreitet hat, bei der
Volksversicherung, also, um die Hauptmerkmale herauszugreifen, bei der Ver¬
sicherung mit kleinen Beträgen ohne ärztliche Untersuchung und einer Prämien¬
zahlung in kleinen Raten, meist Wochenraten, die beim Versicherten abgeholt
werden. Bei der Volksversicherimg tritt namentlich hinsichtlich der Prämien¬
zahlung an die Stelle der Mahnpflicht der Gesellschaften der automatische Verfall
der Versicherung; es ist eine Zahlungsfrist von acht Wochen bestimmt; wird
diese versäumt, so verfällt die Versicherung ohne weiteres; sie kann aber innerhalb
der nächsten sechs Monate durch einfache Nachzahlung und innerhalb weiterer
sechs Monate durch Nachzahlung und Beibringung eines ärztlichen Gesundheits-


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[0346] Das neue versicherungsrccht irgendeine Weise verfällt, z. B. wegen Nichtzahlung der Prämien, so verbleiben nicht die gesamten bezahlten Prämien der Versicherungsgesellschaft, sondern es muß der Teil, der der Prämienreserve entspricht, in der einen oder andern Form dem Versicherungsnehmer wieder zugewendet werden. Vorausgesetzt ist hierfür im Einklang mit dem Versicherungsvertragsgesetz, daß die Versicherung bereits drei Jahre bestanden hat und die Prämien für diesen Zeitraum bezahlt worden sind. Die Prämienreserve, also der als Spareinlage gezahlte Teil der Prämien, bleibt dann entweder beim Verhinderer stehen als einmalige Einlage für eine prämienfreie Versicherung oder sie wird dem Versicherungsnehmer zurückbezahlt; wie man es früher ausgedrückt hat: die Police wird von der Gesellschaft zurückgekauft. An Stelle des Rückkaufs kann auch die Beleihung der Police treten, d. h. wenn ein Versicherungsnehmer an sich seine Versicherung fortsetzen will, aber sich in vorübergehender Geldverlegenheit befindet, so läßt er sich von der Versicherungsgesellschaft eine Vorauszahlung bis zur Höhe seines Sparguthabens geben; kommt er dann in bessere Umstände, so bringt er die Versicherung durch Rückzahlung des empfangenen Betrages nebst Zinsen wieder auf die ursprüngliche Höhe; tritt der Versicherungsfall inzwischen ein, so wird die Vorauszahlung von der Versicherungssumme abgezogen. Die Berechnung dieser Prämienreserve entzieht sich nun aber dem Laienverständnis vollständig; um jedem Inhaber eines Versicherungsscheins eine Übersicht zu ermöglichen, sollen künftig die Versicherungsscheine eine Tabelle der in jedem Vcrsicherungs- jahr verfügbaren Umwandlungswerte und Rückvergütungen, also der Spar¬ guthaben, enthalten. Alles dies hatte sich schon in der frühern Handhabung der Lebensversicherungspraxis ausgebildet, war aber mehr oder weniger von der Willkür der einzelnen Gesellschaften abhängig. Der große Fortschritt des neuen Rechts liegt, abgesehen von einzelnen kleinen Verbesserungen, vor allein darin, daß man nunmehr die ganzen Rechte und Verpflichtungen auf einen gesicherten und übersichtlichen Rechtsboden gestellt hat. Das ganze Verhältnis ist so wandelbar und schmiegt sich so sehr den wechselnden wirtschaftlichen Bedürfnissen an, daß man mit Fug und Recht eine Lebensversicherungspolice den besten und zuverlässigsten Freund in der Not hat nennen können. Diese besondern Vorteile fallen nun freilich weg bei der Art Lebensversicherung, die sich in neuester Zeit am weitesten und allgemeinsten verbreitet hat, bei der Volksversicherung, also, um die Hauptmerkmale herauszugreifen, bei der Ver¬ sicherung mit kleinen Beträgen ohne ärztliche Untersuchung und einer Prämien¬ zahlung in kleinen Raten, meist Wochenraten, die beim Versicherten abgeholt werden. Bei der Volksversicherimg tritt namentlich hinsichtlich der Prämien¬ zahlung an die Stelle der Mahnpflicht der Gesellschaften der automatische Verfall der Versicherung; es ist eine Zahlungsfrist von acht Wochen bestimmt; wird diese versäumt, so verfällt die Versicherung ohne weiteres; sie kann aber innerhalb der nächsten sechs Monate durch einfache Nachzahlung und innerhalb weiterer sechs Monate durch Nachzahlung und Beibringung eines ärztlichen Gesundheits-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/346>, abgerufen am 23.07.2024.