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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Das neue versichcrungsrecht

gelten müsse. Schließlich ist das Versicherungsvertragsgesetz als letztes der an
das Bürgerliche Gesetzbuch sich anschließenden Reichsgesetze privatrechtlichen
Inhalts fertig geworden, als der Schlußstein der deutschen Rechtseinheit. Es
lautet vom 30. Mai 1908 und ist am 1. Januar dieses Jahres, zehn Jahre
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in Kraft getreten.

Neben der hier geregelten privatrechtlichen Seite des Versicherungsverhältnisses,
dem eigentlichen Versicherungsvertrag, steht die Regelung der öffentlich-recht¬
lichen Seite, die staatliche Aufsicht über die Versicherungsunternehmungen. An
sich sind die Versicherungsgesellschaften reine Privatunternehmungen, die ihr
Gewerbe betreiben, wie irgendein anderer Unternehmer das seinige, sei es zur
Erzielung eines Gewinnes wie die Aktiengesellschaften, sei es lediglich um der
Versicherung selbst willen wie die Gegenseitigkeitsvereine. Grundsätzlich stünde
nichts entgegen, daß auch eine einzelne Person, wenn sie sich den nötigen Ruf
und das nötige Geld zutraut, als Verhinderer auftritt -- die berühmteste Ver¬
sicherungsunternehmung, die es auf der ganzen Welt gibt, Lords in London,
besteht noch heutigen Tages aus einer losen Vereinigung einzelner Mitglieder,
die lediglich unter ihrer persönlichen Haftung und Verantwortlichkeit willkürlich
bestimmte Summen auf die ihnen genehmen Versicherungen zeichnen. Im
allgemeinen erfordert aber der Versicherungsbetrieb so gewaltige Mittel, daß nur
die Kavitcilassoziation dem Bedürfnis gerecht werden kann; der Betrieb des
Versicherungsgeschäfts ist demgemäß, in Deutschland fast ausschließlich, in die
Hand großer Gesellschaften übergegangen, was nunmehr hinsichtlich der ver¬
schiedenen Arten der Lebensversicherung, der Unfall-, Haftpflicht-, Feuer- und
Hagelversicherung auch gesetzlich festgelegt ist, Z 6 des Versicherungsaufsichts-
gesetzes.

Auf diese Gesellschaften hat der Staat schon sehr früh ein wachsames Auge
geworfen. Es ist charakteristisch, daß in Amerika, dem Lande der Freiheit,
weitaus die strengsten Aufsichtsvorschriften erlassen und in den letzten Jahren
andauernd verschärft worden sind, im Zusammenhang mit den Versicherungs¬
wirren, die dort in den großen Gesellschaften, den sogenannten Muth, aus¬
gebrochen sind und die Öffentlichkeit vielfach beschäftigt haben. Für uns kommt
hier einerseits die gewaltige Höhe der den Versicherungsgesellschaften anvertrauten
Kapitalien, anderseits aber auch die Langfristigkeit des ihnen notwendigerweise
ZU schenkenden Vertrauens in Betracht. Wer z. B. in jungen Jahren eine
Lebensversicherung nimmt, zahlt Jahr für Jahr seine Prämien für eine Gegen¬
leistung, die unter Umständen erst nach dreißig und mehr Jahren fällig und
zahlbar wird; der Versicherungsnehmer muß also eine Gewähr dafür haben,
daß in der Zwischenzeit die Versicherungsgesellschaft so verwaltet wird, daß in
den langen Jahren bis zur endlichen Fälligkeit des Anspruchs nicht etwa ihre
Zahlungsfähigkeit in die Brüche geht. Hierauf gründet sich die Notwendigkeit
einer eingehenden Staatsaufsicht über die Versicherungsunternehmungen, die für
das Deutsche Reich durch das Gesetz vom 12. Mai 1901 einheitlich geregelt ist.


Das neue versichcrungsrecht

gelten müsse. Schließlich ist das Versicherungsvertragsgesetz als letztes der an
das Bürgerliche Gesetzbuch sich anschließenden Reichsgesetze privatrechtlichen
Inhalts fertig geworden, als der Schlußstein der deutschen Rechtseinheit. Es
lautet vom 30. Mai 1908 und ist am 1. Januar dieses Jahres, zehn Jahre
nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch, in Kraft getreten.

Neben der hier geregelten privatrechtlichen Seite des Versicherungsverhältnisses,
dem eigentlichen Versicherungsvertrag, steht die Regelung der öffentlich-recht¬
lichen Seite, die staatliche Aufsicht über die Versicherungsunternehmungen. An
sich sind die Versicherungsgesellschaften reine Privatunternehmungen, die ihr
Gewerbe betreiben, wie irgendein anderer Unternehmer das seinige, sei es zur
Erzielung eines Gewinnes wie die Aktiengesellschaften, sei es lediglich um der
Versicherung selbst willen wie die Gegenseitigkeitsvereine. Grundsätzlich stünde
nichts entgegen, daß auch eine einzelne Person, wenn sie sich den nötigen Ruf
und das nötige Geld zutraut, als Verhinderer auftritt — die berühmteste Ver¬
sicherungsunternehmung, die es auf der ganzen Welt gibt, Lords in London,
besteht noch heutigen Tages aus einer losen Vereinigung einzelner Mitglieder,
die lediglich unter ihrer persönlichen Haftung und Verantwortlichkeit willkürlich
bestimmte Summen auf die ihnen genehmen Versicherungen zeichnen. Im
allgemeinen erfordert aber der Versicherungsbetrieb so gewaltige Mittel, daß nur
die Kavitcilassoziation dem Bedürfnis gerecht werden kann; der Betrieb des
Versicherungsgeschäfts ist demgemäß, in Deutschland fast ausschließlich, in die
Hand großer Gesellschaften übergegangen, was nunmehr hinsichtlich der ver¬
schiedenen Arten der Lebensversicherung, der Unfall-, Haftpflicht-, Feuer- und
Hagelversicherung auch gesetzlich festgelegt ist, Z 6 des Versicherungsaufsichts-
gesetzes.

Auf diese Gesellschaften hat der Staat schon sehr früh ein wachsames Auge
geworfen. Es ist charakteristisch, daß in Amerika, dem Lande der Freiheit,
weitaus die strengsten Aufsichtsvorschriften erlassen und in den letzten Jahren
andauernd verschärft worden sind, im Zusammenhang mit den Versicherungs¬
wirren, die dort in den großen Gesellschaften, den sogenannten Muth, aus¬
gebrochen sind und die Öffentlichkeit vielfach beschäftigt haben. Für uns kommt
hier einerseits die gewaltige Höhe der den Versicherungsgesellschaften anvertrauten
Kapitalien, anderseits aber auch die Langfristigkeit des ihnen notwendigerweise
ZU schenkenden Vertrauens in Betracht. Wer z. B. in jungen Jahren eine
Lebensversicherung nimmt, zahlt Jahr für Jahr seine Prämien für eine Gegen¬
leistung, die unter Umständen erst nach dreißig und mehr Jahren fällig und
zahlbar wird; der Versicherungsnehmer muß also eine Gewähr dafür haben,
daß in der Zwischenzeit die Versicherungsgesellschaft so verwaltet wird, daß in
den langen Jahren bis zur endlichen Fälligkeit des Anspruchs nicht etwa ihre
Zahlungsfähigkeit in die Brüche geht. Hierauf gründet sich die Notwendigkeit
einer eingehenden Staatsaufsicht über die Versicherungsunternehmungen, die für
das Deutsche Reich durch das Gesetz vom 12. Mai 1901 einheitlich geregelt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/335>, abgerufen am 23.07.2024.