Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Das neue vcrsichcrungsrecht

Unternehmungen, erwähnt. Berücksichtigt sind hierbei in der mir vorliegenden
Statistik") nur 166 Unternehmungen, deren Kapitalanlagen für Ende 1907 auf
4408060000 Mark berechnet werden; der Buchwert dieser Kapitalanlagen hat
im Jahre 1907 um 256 550 000 Mark zugenommen, also durchschnittlich jeden
Tag um sieben Zehntel Millionen. Von besonderer Bedeutung, namentlich
für die Reichshauptstadt selbst, ist hierbei die weit überwiegende Anlegung dieser
Kapitalien in Hypotheken und Grundschulden, auf welche von den gesamten
Anlagen mehr als vier Fünftel mit 3613950000 Mark entfallen. In Berlin
allein sind in den Jahren 1905 bis 1907 nicht weniger als 619018000 Mark
auf Hypotheken ausgeliehen worden und man hat mit Recht gesagt, daß große
Teile von Berlin und feinen Vororten allein mit dem Gelde gebaut worden
sind, welches die Versicherungsgesellschaften aus ihren Prämieneinnahmen für
Hypotheken haben zur Verfügung stellen können. Natürlich stapeln die Ver¬
sicherungsgesellschaften diese gewaltigen Kapitalien nicht zu ihrem Vergnügen
oder aus Eigennutz auf; vielmehr bedürfen sie dieser Anlagen, um aus den
Zinseinnahmen ihren laufenden Verbindlichkeiten gerecht zu werden, ganz
abgesehen von den gewaltigen Katastrophen, die von Zeit zu Zeit, wie das
Erdbeben von San Franzisko vom 18. April 1906, nicht bloß die betroffene
Stadt selbst, sondern das Feuerversicherungsgeschäft der ganzen Welt in seinen
Grundfesten erschüttern.

Den eigentlichen Geschäftsgewinn, den die Versicherungsgesellschaften erzielen,
teilen sie in immer steigendem Maße mit ihren Versicherten; der 1907 erzielte
Nettojahresgewinn der oben erwähnten 166 Unternehmungen wird auf
166510000 Mark angegeben, wovon den Versicherten als Gewinnanteil,
Tantieme und dergleichen 118486000 Mark, den eigentlichen Aktionären oder
Garanten nur 21124000 Mark zufließen.

Dieser gewaltige Siegeszug der Versicherung ist im wesentlichen ein Werk
der letzten Jahrzehnte, zum Teil sogar der letzten Jahre. Damit steht im
Zusammenhang, daß bisher die private Versicherung von der Gesetzgebung und
auch von der Rechtswissenschaft etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Bei
der Beratung des ersten gemeinsamen deutschen Privatrechtsgesetzcs, des
Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, wo an sich der Platz für eine
Regelung des Versicherungsrechts gewesen wäre, hat man entgegen der ursprüng¬
lichen Absicht davon abgesehen und lediglich das Recht der Seeversicherung
geordnet. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch enthält nur ganz wenige, zerstreute
Bestimmungen über versicherungsrechtliche Verhältnisse; der Art. 76 des Ein¬
führung sgesetzes hielt für das Versicherungsrecht die bestehenden Landesgesetze
aufrecht; man war sich aber schon damals darüber einig, daß, wenn überhaupt
ein Rechtsgebiet einer reichseinheitlichen Regelung bedürfe, dies in erster Reihe
vom Versicherungswesen mit seiner aller Landesgrenzeu spottenden Entwicklung



*) Dem Geschäftsbericht des Kaiserlichen AiifsichtSmnts für 1908.
Das neue vcrsichcrungsrecht

Unternehmungen, erwähnt. Berücksichtigt sind hierbei in der mir vorliegenden
Statistik") nur 166 Unternehmungen, deren Kapitalanlagen für Ende 1907 auf
4408060000 Mark berechnet werden; der Buchwert dieser Kapitalanlagen hat
im Jahre 1907 um 256 550 000 Mark zugenommen, also durchschnittlich jeden
Tag um sieben Zehntel Millionen. Von besonderer Bedeutung, namentlich
für die Reichshauptstadt selbst, ist hierbei die weit überwiegende Anlegung dieser
Kapitalien in Hypotheken und Grundschulden, auf welche von den gesamten
Anlagen mehr als vier Fünftel mit 3613950000 Mark entfallen. In Berlin
allein sind in den Jahren 1905 bis 1907 nicht weniger als 619018000 Mark
auf Hypotheken ausgeliehen worden und man hat mit Recht gesagt, daß große
Teile von Berlin und feinen Vororten allein mit dem Gelde gebaut worden
sind, welches die Versicherungsgesellschaften aus ihren Prämieneinnahmen für
Hypotheken haben zur Verfügung stellen können. Natürlich stapeln die Ver¬
sicherungsgesellschaften diese gewaltigen Kapitalien nicht zu ihrem Vergnügen
oder aus Eigennutz auf; vielmehr bedürfen sie dieser Anlagen, um aus den
Zinseinnahmen ihren laufenden Verbindlichkeiten gerecht zu werden, ganz
abgesehen von den gewaltigen Katastrophen, die von Zeit zu Zeit, wie das
Erdbeben von San Franzisko vom 18. April 1906, nicht bloß die betroffene
Stadt selbst, sondern das Feuerversicherungsgeschäft der ganzen Welt in seinen
Grundfesten erschüttern.

Den eigentlichen Geschäftsgewinn, den die Versicherungsgesellschaften erzielen,
teilen sie in immer steigendem Maße mit ihren Versicherten; der 1907 erzielte
Nettojahresgewinn der oben erwähnten 166 Unternehmungen wird auf
166510000 Mark angegeben, wovon den Versicherten als Gewinnanteil,
Tantieme und dergleichen 118486000 Mark, den eigentlichen Aktionären oder
Garanten nur 21124000 Mark zufließen.

Dieser gewaltige Siegeszug der Versicherung ist im wesentlichen ein Werk
der letzten Jahrzehnte, zum Teil sogar der letzten Jahre. Damit steht im
Zusammenhang, daß bisher die private Versicherung von der Gesetzgebung und
auch von der Rechtswissenschaft etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Bei
der Beratung des ersten gemeinsamen deutschen Privatrechtsgesetzcs, des
Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, wo an sich der Platz für eine
Regelung des Versicherungsrechts gewesen wäre, hat man entgegen der ursprüng¬
lichen Absicht davon abgesehen und lediglich das Recht der Seeversicherung
geordnet. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch enthält nur ganz wenige, zerstreute
Bestimmungen über versicherungsrechtliche Verhältnisse; der Art. 76 des Ein¬
führung sgesetzes hielt für das Versicherungsrecht die bestehenden Landesgesetze
aufrecht; man war sich aber schon damals darüber einig, daß, wenn überhaupt
ein Rechtsgebiet einer reichseinheitlichen Regelung bedürfe, dies in erster Reihe
vom Versicherungswesen mit seiner aller Landesgrenzeu spottenden Entwicklung



*) Dem Geschäftsbericht des Kaiserlichen AiifsichtSmnts für 1908.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0334" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316623"/>
            <fw type="header" place="top"> Das neue vcrsichcrungsrecht</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1462" prev="#ID_1461"> Unternehmungen, erwähnt. Berücksichtigt sind hierbei in der mir vorliegenden<lb/>
Statistik") nur 166 Unternehmungen, deren Kapitalanlagen für Ende 1907 auf<lb/>
4408060000 Mark berechnet werden; der Buchwert dieser Kapitalanlagen hat<lb/>
im Jahre 1907 um 256 550 000 Mark zugenommen, also durchschnittlich jeden<lb/>
Tag um sieben Zehntel Millionen. Von besonderer Bedeutung, namentlich<lb/>
für die Reichshauptstadt selbst, ist hierbei die weit überwiegende Anlegung dieser<lb/>
Kapitalien in Hypotheken und Grundschulden, auf welche von den gesamten<lb/>
Anlagen mehr als vier Fünftel mit 3613950000 Mark entfallen. In Berlin<lb/>
allein sind in den Jahren 1905 bis 1907 nicht weniger als 619018000 Mark<lb/>
auf Hypotheken ausgeliehen worden und man hat mit Recht gesagt, daß große<lb/>
Teile von Berlin und feinen Vororten allein mit dem Gelde gebaut worden<lb/>
sind, welches die Versicherungsgesellschaften aus ihren Prämieneinnahmen für<lb/>
Hypotheken haben zur Verfügung stellen können. Natürlich stapeln die Ver¬<lb/>
sicherungsgesellschaften diese gewaltigen Kapitalien nicht zu ihrem Vergnügen<lb/>
oder aus Eigennutz auf; vielmehr bedürfen sie dieser Anlagen, um aus den<lb/>
Zinseinnahmen ihren laufenden Verbindlichkeiten gerecht zu werden, ganz<lb/>
abgesehen von den gewaltigen Katastrophen, die von Zeit zu Zeit, wie das<lb/>
Erdbeben von San Franzisko vom 18. April 1906, nicht bloß die betroffene<lb/>
Stadt selbst, sondern das Feuerversicherungsgeschäft der ganzen Welt in seinen<lb/>
Grundfesten erschüttern.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1463"> Den eigentlichen Geschäftsgewinn, den die Versicherungsgesellschaften erzielen,<lb/>
teilen sie in immer steigendem Maße mit ihren Versicherten; der 1907 erzielte<lb/>
Nettojahresgewinn der oben erwähnten 166 Unternehmungen wird auf<lb/>
166510000 Mark angegeben, wovon den Versicherten als Gewinnanteil,<lb/>
Tantieme und dergleichen 118486000 Mark, den eigentlichen Aktionären oder<lb/>
Garanten nur 21124000 Mark zufließen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1464" next="#ID_1465"> Dieser gewaltige Siegeszug der Versicherung ist im wesentlichen ein Werk<lb/>
der letzten Jahrzehnte, zum Teil sogar der letzten Jahre. Damit steht im<lb/>
Zusammenhang, daß bisher die private Versicherung von der Gesetzgebung und<lb/>
auch von der Rechtswissenschaft etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Bei<lb/>
der Beratung des ersten gemeinsamen deutschen Privatrechtsgesetzcs, des<lb/>
Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, wo an sich der Platz für eine<lb/>
Regelung des Versicherungsrechts gewesen wäre, hat man entgegen der ursprüng¬<lb/>
lichen Absicht davon abgesehen und lediglich das Recht der Seeversicherung<lb/>
geordnet. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch enthält nur ganz wenige, zerstreute<lb/>
Bestimmungen über versicherungsrechtliche Verhältnisse; der Art. 76 des Ein¬<lb/>
führung sgesetzes hielt für das Versicherungsrecht die bestehenden Landesgesetze<lb/>
aufrecht; man war sich aber schon damals darüber einig, daß, wenn überhaupt<lb/>
ein Rechtsgebiet einer reichseinheitlichen Regelung bedürfe, dies in erster Reihe<lb/>
vom Versicherungswesen mit seiner aller Landesgrenzeu spottenden Entwicklung</p><lb/>
            <note xml:id="FID_31" place="foot"> *) Dem Geschäftsbericht des Kaiserlichen AiifsichtSmnts für 1908.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0334] Das neue vcrsichcrungsrecht Unternehmungen, erwähnt. Berücksichtigt sind hierbei in der mir vorliegenden Statistik") nur 166 Unternehmungen, deren Kapitalanlagen für Ende 1907 auf 4408060000 Mark berechnet werden; der Buchwert dieser Kapitalanlagen hat im Jahre 1907 um 256 550 000 Mark zugenommen, also durchschnittlich jeden Tag um sieben Zehntel Millionen. Von besonderer Bedeutung, namentlich für die Reichshauptstadt selbst, ist hierbei die weit überwiegende Anlegung dieser Kapitalien in Hypotheken und Grundschulden, auf welche von den gesamten Anlagen mehr als vier Fünftel mit 3613950000 Mark entfallen. In Berlin allein sind in den Jahren 1905 bis 1907 nicht weniger als 619018000 Mark auf Hypotheken ausgeliehen worden und man hat mit Recht gesagt, daß große Teile von Berlin und feinen Vororten allein mit dem Gelde gebaut worden sind, welches die Versicherungsgesellschaften aus ihren Prämieneinnahmen für Hypotheken haben zur Verfügung stellen können. Natürlich stapeln die Ver¬ sicherungsgesellschaften diese gewaltigen Kapitalien nicht zu ihrem Vergnügen oder aus Eigennutz auf; vielmehr bedürfen sie dieser Anlagen, um aus den Zinseinnahmen ihren laufenden Verbindlichkeiten gerecht zu werden, ganz abgesehen von den gewaltigen Katastrophen, die von Zeit zu Zeit, wie das Erdbeben von San Franzisko vom 18. April 1906, nicht bloß die betroffene Stadt selbst, sondern das Feuerversicherungsgeschäft der ganzen Welt in seinen Grundfesten erschüttern. Den eigentlichen Geschäftsgewinn, den die Versicherungsgesellschaften erzielen, teilen sie in immer steigendem Maße mit ihren Versicherten; der 1907 erzielte Nettojahresgewinn der oben erwähnten 166 Unternehmungen wird auf 166510000 Mark angegeben, wovon den Versicherten als Gewinnanteil, Tantieme und dergleichen 118486000 Mark, den eigentlichen Aktionären oder Garanten nur 21124000 Mark zufließen. Dieser gewaltige Siegeszug der Versicherung ist im wesentlichen ein Werk der letzten Jahrzehnte, zum Teil sogar der letzten Jahre. Damit steht im Zusammenhang, daß bisher die private Versicherung von der Gesetzgebung und auch von der Rechtswissenschaft etwas stiefmütterlich behandelt worden war. Bei der Beratung des ersten gemeinsamen deutschen Privatrechtsgesetzcs, des Allgemeinen Deutschen Handelsgesetzbuches, wo an sich der Platz für eine Regelung des Versicherungsrechts gewesen wäre, hat man entgegen der ursprüng¬ lichen Absicht davon abgesehen und lediglich das Recht der Seeversicherung geordnet. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch enthält nur ganz wenige, zerstreute Bestimmungen über versicherungsrechtliche Verhältnisse; der Art. 76 des Ein¬ führung sgesetzes hielt für das Versicherungsrecht die bestehenden Landesgesetze aufrecht; man war sich aber schon damals darüber einig, daß, wenn überhaupt ein Rechtsgebiet einer reichseinheitlichen Regelung bedürfe, dies in erster Reihe vom Versicherungswesen mit seiner aller Landesgrenzeu spottenden Entwicklung *) Dem Geschäftsbericht des Kaiserlichen AiifsichtSmnts für 1908.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/334
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/334>, abgerufen am 23.07.2024.