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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Höflichkeit. Seine wirklichste Tendenz ist die Souveränität der Einzelstaatlichkeit.
Zu dieser patzt keine kirchliche Nationalverfassung mit einem romantisch altreichischen
Primas und mit patriotischen Bistümern, deren althistorische Diözesen die neuen
souveränen Landesgrenzen von gestern kreuz und quer durchschneiden. So beschleunigen
die Wessenbergschen Ideen lediglich in verhängnisvoller Weise die einzelstaatlichen
Verhandlungen und Konkordate -- nach Napoleons Muster -- mit Rom. Ver¬
hängnisvoll insofern, als es damals, der Gesamtlage nach, eher denn sonst je
möglich gewesen wäre, aus der so anspruchsvollen modernen Souveränitätsbetonung
des Staates die vernünftigste ihrer Folgerungen abzuleiten: daß zur selbst-
bestimmendem Hoheit des Staates innerhalb seiner Grenzen auch die Regelung
seiner kirchlichen Verhältnisse gehört.

So hat der wohlmeinende Konstanzer Herr dem gleichzeitig in Wien,
agierenden Kardinal Consalvi und den sonst in allen Traditionen der überlegenen
Praxis erzogenen Nuntien der Kurie, keine sehr großen Sorgen gemacht. Mit-
Wessenbergs Schlagwort der unabhängigen Nationalkirche bezauberte Rom die
Eidgenossen und riß von der Konstanzer Diözese des mißfälligen Generalvikars
die großen schweizerischen Gebiete los (1814). Auf die Verstümmelung des.
uralten Bistums folgte dann die gänzliche Aufhebung durch Errichtung der ober-
rheinischen Kirchenprovinz unter dem neuen Erzbischof zu Freiburg, dessen engere
Diözese durch die Staatsgebiete von Baden und Hohenzollern gebildet wird.

Damit war Wessenberg, den das Domkapitel 1817 nach Dalbergs Tode noch
zum Nachfolger als Bistumsverweser erwählt hatte, erledigt und zum Privatmann,
in Konstanz gemacht. Er hat gegen diese harten Erlebnisse mannhaft gekämpft!
und ist mit einer gewissen Größe unterlegen; von einer zupackender, meisternden-
Lutherncitur war nichts in ihm und konnte es nicht sein. Sein geistiges Leben
hat auch nie ein persönliches Ringen um Erkenntnisse und Gewißheiten durch¬
gekämpft, er ist in allem der Schüler Saliers, Dalbergs und schlechtweg der Zeit..
Herzlichste Würdigung, Verehrung, Freundschaft, Zuneigung sind ihm in reichem
Maße geworden, und treu und tapfer haben sich die Landkapitel und überhaupt
der Klerus seiner Diözese, für dessen Bildung und Berusssinn er Wichtiges geleistet
hat, zu ihm gestellt. Nicht minder hat ihn die Liebe der Konstanzer getragen,,
denen bis zu seinem späten Tode sein menschenfreundliches und erzieherisches
Wirken aus nächster Nähe sichtbar blieb. Ihnen sind seine Bibliothek, seine schönen
Gemälde- und Kunstsammlungen geblieben; sein Vermögen gehört der Konstanzer
Rettungsanstalt. Durch die dortige "Wessenberg-Stiftung" wirkt er dauernd weiter
für die Verbreitung einer schönen und unbeengten Bildung, und wenn der 1871
entstandene Altkatholizismus in Wessenberg gewissermaßen einen seiner Ahnen
adoptiert hat. so ist es doch nicht nur diese Bckenntnisorganisation, die sein Ge¬
denken und die Verehrungswürdigkeit seiner edlen Persönlichkeit noch länger vor
<L- ycyck. Vergessenheit bewahren wird.




wessenberg

Höflichkeit. Seine wirklichste Tendenz ist die Souveränität der Einzelstaatlichkeit.
Zu dieser patzt keine kirchliche Nationalverfassung mit einem romantisch altreichischen
Primas und mit patriotischen Bistümern, deren althistorische Diözesen die neuen
souveränen Landesgrenzen von gestern kreuz und quer durchschneiden. So beschleunigen
die Wessenbergschen Ideen lediglich in verhängnisvoller Weise die einzelstaatlichen
Verhandlungen und Konkordate — nach Napoleons Muster — mit Rom. Ver¬
hängnisvoll insofern, als es damals, der Gesamtlage nach, eher denn sonst je
möglich gewesen wäre, aus der so anspruchsvollen modernen Souveränitätsbetonung
des Staates die vernünftigste ihrer Folgerungen abzuleiten: daß zur selbst-
bestimmendem Hoheit des Staates innerhalb seiner Grenzen auch die Regelung
seiner kirchlichen Verhältnisse gehört.

So hat der wohlmeinende Konstanzer Herr dem gleichzeitig in Wien,
agierenden Kardinal Consalvi und den sonst in allen Traditionen der überlegenen
Praxis erzogenen Nuntien der Kurie, keine sehr großen Sorgen gemacht. Mit-
Wessenbergs Schlagwort der unabhängigen Nationalkirche bezauberte Rom die
Eidgenossen und riß von der Konstanzer Diözese des mißfälligen Generalvikars
die großen schweizerischen Gebiete los (1814). Auf die Verstümmelung des.
uralten Bistums folgte dann die gänzliche Aufhebung durch Errichtung der ober-
rheinischen Kirchenprovinz unter dem neuen Erzbischof zu Freiburg, dessen engere
Diözese durch die Staatsgebiete von Baden und Hohenzollern gebildet wird.

Damit war Wessenberg, den das Domkapitel 1817 nach Dalbergs Tode noch
zum Nachfolger als Bistumsverweser erwählt hatte, erledigt und zum Privatmann,
in Konstanz gemacht. Er hat gegen diese harten Erlebnisse mannhaft gekämpft!
und ist mit einer gewissen Größe unterlegen; von einer zupackender, meisternden-
Lutherncitur war nichts in ihm und konnte es nicht sein. Sein geistiges Leben
hat auch nie ein persönliches Ringen um Erkenntnisse und Gewißheiten durch¬
gekämpft, er ist in allem der Schüler Saliers, Dalbergs und schlechtweg der Zeit..
Herzlichste Würdigung, Verehrung, Freundschaft, Zuneigung sind ihm in reichem
Maße geworden, und treu und tapfer haben sich die Landkapitel und überhaupt
der Klerus seiner Diözese, für dessen Bildung und Berusssinn er Wichtiges geleistet
hat, zu ihm gestellt. Nicht minder hat ihn die Liebe der Konstanzer getragen,,
denen bis zu seinem späten Tode sein menschenfreundliches und erzieherisches
Wirken aus nächster Nähe sichtbar blieb. Ihnen sind seine Bibliothek, seine schönen
Gemälde- und Kunstsammlungen geblieben; sein Vermögen gehört der Konstanzer
Rettungsanstalt. Durch die dortige „Wessenberg-Stiftung" wirkt er dauernd weiter
für die Verbreitung einer schönen und unbeengten Bildung, und wenn der 1871
entstandene Altkatholizismus in Wessenberg gewissermaßen einen seiner Ahnen
adoptiert hat. so ist es doch nicht nur diese Bckenntnisorganisation, die sein Ge¬
denken und die Verehrungswürdigkeit seiner edlen Persönlichkeit noch länger vor
<L- ycyck. Vergessenheit bewahren wird.




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[0321] wessenberg Höflichkeit. Seine wirklichste Tendenz ist die Souveränität der Einzelstaatlichkeit. Zu dieser patzt keine kirchliche Nationalverfassung mit einem romantisch altreichischen Primas und mit patriotischen Bistümern, deren althistorische Diözesen die neuen souveränen Landesgrenzen von gestern kreuz und quer durchschneiden. So beschleunigen die Wessenbergschen Ideen lediglich in verhängnisvoller Weise die einzelstaatlichen Verhandlungen und Konkordate — nach Napoleons Muster — mit Rom. Ver¬ hängnisvoll insofern, als es damals, der Gesamtlage nach, eher denn sonst je möglich gewesen wäre, aus der so anspruchsvollen modernen Souveränitätsbetonung des Staates die vernünftigste ihrer Folgerungen abzuleiten: daß zur selbst- bestimmendem Hoheit des Staates innerhalb seiner Grenzen auch die Regelung seiner kirchlichen Verhältnisse gehört. So hat der wohlmeinende Konstanzer Herr dem gleichzeitig in Wien, agierenden Kardinal Consalvi und den sonst in allen Traditionen der überlegenen Praxis erzogenen Nuntien der Kurie, keine sehr großen Sorgen gemacht. Mit- Wessenbergs Schlagwort der unabhängigen Nationalkirche bezauberte Rom die Eidgenossen und riß von der Konstanzer Diözese des mißfälligen Generalvikars die großen schweizerischen Gebiete los (1814). Auf die Verstümmelung des. uralten Bistums folgte dann die gänzliche Aufhebung durch Errichtung der ober- rheinischen Kirchenprovinz unter dem neuen Erzbischof zu Freiburg, dessen engere Diözese durch die Staatsgebiete von Baden und Hohenzollern gebildet wird. Damit war Wessenberg, den das Domkapitel 1817 nach Dalbergs Tode noch zum Nachfolger als Bistumsverweser erwählt hatte, erledigt und zum Privatmann, in Konstanz gemacht. Er hat gegen diese harten Erlebnisse mannhaft gekämpft! und ist mit einer gewissen Größe unterlegen; von einer zupackender, meisternden- Lutherncitur war nichts in ihm und konnte es nicht sein. Sein geistiges Leben hat auch nie ein persönliches Ringen um Erkenntnisse und Gewißheiten durch¬ gekämpft, er ist in allem der Schüler Saliers, Dalbergs und schlechtweg der Zeit.. Herzlichste Würdigung, Verehrung, Freundschaft, Zuneigung sind ihm in reichem Maße geworden, und treu und tapfer haben sich die Landkapitel und überhaupt der Klerus seiner Diözese, für dessen Bildung und Berusssinn er Wichtiges geleistet hat, zu ihm gestellt. Nicht minder hat ihn die Liebe der Konstanzer getragen,, denen bis zu seinem späten Tode sein menschenfreundliches und erzieherisches Wirken aus nächster Nähe sichtbar blieb. Ihnen sind seine Bibliothek, seine schönen Gemälde- und Kunstsammlungen geblieben; sein Vermögen gehört der Konstanzer Rettungsanstalt. Durch die dortige „Wessenberg-Stiftung" wirkt er dauernd weiter für die Verbreitung einer schönen und unbeengten Bildung, und wenn der 1871 entstandene Altkatholizismus in Wessenberg gewissermaßen einen seiner Ahnen adoptiert hat. so ist es doch nicht nur diese Bckenntnisorganisation, die sein Ge¬ denken und die Verehrungswürdigkeit seiner edlen Persönlichkeit noch länger vor <L- ycyck. Vergessenheit bewahren wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/321>, abgerufen am 23.07.2024.