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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Mnchcns Geheimnis

"Da kommen sie!" rief Hegerbarth, der sich weit über das Fensterbrett gelehnt
hatte und forschend dnrch den nach außen ausgestoßenen Fensterflügel schaute.

Ein Haufen Straßenjungen lärmte voraus; die Soldaten jedoch machten sehr
verdrießliche Gesichter, und der Major auf dem Pferde blickte grimmig gerade aus,
ohne das Tücherschwenken aus den Fenstern zu beachten, denn er empfand diese
Huldigung nur als Hohn.

Minchen stand scheu hinter den: Vater, und als der Major sein tänzelndes
Pferd gerade vor ihrem Hause für einen Augenblick anhielt, da war es ihr, als
ob sie zu ihrer Tür eilen und sich davorstellen müsse. Doch alles ging vorüber,
und bald standen lustig schwakende Gruppen auf der Straße und Menschen, die
sich gar nicht kannten, umarmten sich und beglückwünschten sich zu dem großen
Erfolg, den das Volk errungen hätte. .. .

Zu dem Mittagessen, das Minchen ihrem Pflegling brachte, nachdem sie in
der Wohnstube abgeräumt hatte, mußte sie den Schlummernden erst wecken. Aber
nun war er auch so erfrischt, daß ihm von der vorherigen Mattigkeit nchts mehr
anzumerken war. >. ^. .

"Ich schäme mich fast," gestand er, "daß ich Ihre liebenswürdige Gast¬
freundschaft so stark in Anspruch nehme. -- O, Sie wollen mich schon wieder
verlassen, Demoiselle?"

"Ich muß nach der Küche. Aber -- wenn Vater und Mutter Nachmittags¬
schlaf halten, werde ich mich nach Ihnen umschauen."

Er blickte sie dankbar an.

"Ich werde mich glücklich schätzen. Und werde ich mich nicht langweilen
bis dahin?"

"Nein. Lesen Sie nur hier in diesem Gedichtbuch! Es ist mein Lieblings¬
dichter."

"Es soll mein Nachtisch sein -- hoffentlich ebenso köstlich wie das, was Ihre
u'eben Hände zubereitet haben."

Das war nun leider nicht der Fall. Das, was er da las, kam ihm teils
gesucht, teils ungesund weichlich vor. und er wiegte mißbilligend sein Haupt.
Trotzdem legte er das Buch nicht beiseite und bemühte sich redlich, dem, was ihr
gefiel, ebenfalls Geschmack abzugewinnen.

Als sie nach einer Stunde mit Kaffee und Kuchen erschien, sagte er, das
Titelblatt aufschlagend:"

"Wie heißt denn dieser Dichter? Lenau! Nie gehört!

.,O. diese Schilflieder I Nicht wahr?"

"Hin. Ganz eigenartig." Er klappte das Buch zu und warf es auf den
Tisch. "Nein, diese Sachen sind mir zu -- wie soll ich sagen? -- zu mondsüchtig.
Es steckt so etwas Krankhaftes darin. Kennen Sie Eichendorff? Das ist doch
etwas ganz anderes:

Herr Gott noch mal!" Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf. "Und ich
sitze immer noch hier! Ich muß fort. Ich muß! Werde nach dem Schloß gehen,
Ko mein Regiment biwakieren wird."

"Es ist -- nicht mehr -- hier," brachte sie mit zitternder Stimme hervor.

Er blickte sie verständnislos an.

"Nicht mehr hier?"


Mnchcns Geheimnis

„Da kommen sie!" rief Hegerbarth, der sich weit über das Fensterbrett gelehnt
hatte und forschend dnrch den nach außen ausgestoßenen Fensterflügel schaute.

Ein Haufen Straßenjungen lärmte voraus; die Soldaten jedoch machten sehr
verdrießliche Gesichter, und der Major auf dem Pferde blickte grimmig gerade aus,
ohne das Tücherschwenken aus den Fenstern zu beachten, denn er empfand diese
Huldigung nur als Hohn.

Minchen stand scheu hinter den: Vater, und als der Major sein tänzelndes
Pferd gerade vor ihrem Hause für einen Augenblick anhielt, da war es ihr, als
ob sie zu ihrer Tür eilen und sich davorstellen müsse. Doch alles ging vorüber,
und bald standen lustig schwakende Gruppen auf der Straße und Menschen, die
sich gar nicht kannten, umarmten sich und beglückwünschten sich zu dem großen
Erfolg, den das Volk errungen hätte. .. .

Zu dem Mittagessen, das Minchen ihrem Pflegling brachte, nachdem sie in
der Wohnstube abgeräumt hatte, mußte sie den Schlummernden erst wecken. Aber
nun war er auch so erfrischt, daß ihm von der vorherigen Mattigkeit nchts mehr
anzumerken war. >. ^. .

„Ich schäme mich fast," gestand er, „daß ich Ihre liebenswürdige Gast¬
freundschaft so stark in Anspruch nehme. — O, Sie wollen mich schon wieder
verlassen, Demoiselle?"

„Ich muß nach der Küche. Aber — wenn Vater und Mutter Nachmittags¬
schlaf halten, werde ich mich nach Ihnen umschauen."

Er blickte sie dankbar an.

»Ich werde mich glücklich schätzen. Und werde ich mich nicht langweilen
bis dahin?"

„Nein. Lesen Sie nur hier in diesem Gedichtbuch! Es ist mein Lieblings¬
dichter."

„Es soll mein Nachtisch sein — hoffentlich ebenso köstlich wie das, was Ihre
u'eben Hände zubereitet haben."

Das war nun leider nicht der Fall. Das, was er da las, kam ihm teils
gesucht, teils ungesund weichlich vor. und er wiegte mißbilligend sein Haupt.
Trotzdem legte er das Buch nicht beiseite und bemühte sich redlich, dem, was ihr
gefiel, ebenfalls Geschmack abzugewinnen.

Als sie nach einer Stunde mit Kaffee und Kuchen erschien, sagte er, das
Titelblatt aufschlagend:"

„Wie heißt denn dieser Dichter? Lenau! Nie gehört!

.,O. diese Schilflieder I Nicht wahr?"

»Hin. Ganz eigenartig." Er klappte das Buch zu und warf es auf den
Tisch. „Nein, diese Sachen sind mir zu — wie soll ich sagen? — zu mondsüchtig.
Es steckt so etwas Krankhaftes darin. Kennen Sie Eichendorff? Das ist doch
etwas ganz anderes:

Herr Gott noch mal!" Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf. „Und ich
sitze immer noch hier! Ich muß fort. Ich muß! Werde nach dem Schloß gehen,
Ko mein Regiment biwakieren wird."

„Es ist — nicht mehr — hier," brachte sie mit zitternder Stimme hervor.

Er blickte sie verständnislos an.

»Nicht mehr hier?"


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[0303] Mnchcns Geheimnis „Da kommen sie!" rief Hegerbarth, der sich weit über das Fensterbrett gelehnt hatte und forschend dnrch den nach außen ausgestoßenen Fensterflügel schaute. Ein Haufen Straßenjungen lärmte voraus; die Soldaten jedoch machten sehr verdrießliche Gesichter, und der Major auf dem Pferde blickte grimmig gerade aus, ohne das Tücherschwenken aus den Fenstern zu beachten, denn er empfand diese Huldigung nur als Hohn. Minchen stand scheu hinter den: Vater, und als der Major sein tänzelndes Pferd gerade vor ihrem Hause für einen Augenblick anhielt, da war es ihr, als ob sie zu ihrer Tür eilen und sich davorstellen müsse. Doch alles ging vorüber, und bald standen lustig schwakende Gruppen auf der Straße und Menschen, die sich gar nicht kannten, umarmten sich und beglückwünschten sich zu dem großen Erfolg, den das Volk errungen hätte. .. . Zu dem Mittagessen, das Minchen ihrem Pflegling brachte, nachdem sie in der Wohnstube abgeräumt hatte, mußte sie den Schlummernden erst wecken. Aber nun war er auch so erfrischt, daß ihm von der vorherigen Mattigkeit nchts mehr anzumerken war. >. ^. . „Ich schäme mich fast," gestand er, „daß ich Ihre liebenswürdige Gast¬ freundschaft so stark in Anspruch nehme. — O, Sie wollen mich schon wieder verlassen, Demoiselle?" „Ich muß nach der Küche. Aber — wenn Vater und Mutter Nachmittags¬ schlaf halten, werde ich mich nach Ihnen umschauen." Er blickte sie dankbar an. »Ich werde mich glücklich schätzen. Und werde ich mich nicht langweilen bis dahin?" „Nein. Lesen Sie nur hier in diesem Gedichtbuch! Es ist mein Lieblings¬ dichter." „Es soll mein Nachtisch sein — hoffentlich ebenso köstlich wie das, was Ihre u'eben Hände zubereitet haben." Das war nun leider nicht der Fall. Das, was er da las, kam ihm teils gesucht, teils ungesund weichlich vor. und er wiegte mißbilligend sein Haupt. Trotzdem legte er das Buch nicht beiseite und bemühte sich redlich, dem, was ihr gefiel, ebenfalls Geschmack abzugewinnen. Als sie nach einer Stunde mit Kaffee und Kuchen erschien, sagte er, das Titelblatt aufschlagend:" „Wie heißt denn dieser Dichter? Lenau! Nie gehört! .,O. diese Schilflieder I Nicht wahr?" »Hin. Ganz eigenartig." Er klappte das Buch zu und warf es auf den Tisch. „Nein, diese Sachen sind mir zu — wie soll ich sagen? — zu mondsüchtig. Es steckt so etwas Krankhaftes darin. Kennen Sie Eichendorff? Das ist doch etwas ganz anderes: Herr Gott noch mal!" Er griff sich mit beiden Händen an den Kopf. „Und ich sitze immer noch hier! Ich muß fort. Ich muß! Werde nach dem Schloß gehen, Ko mein Regiment biwakieren wird." „Es ist — nicht mehr — hier," brachte sie mit zitternder Stimme hervor. Er blickte sie verständnislos an. »Nicht mehr hier?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/303>, abgerufen am 23.07.2024.