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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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eigenen Interesse niederzuhalten, hätten sich einige Großmächte mit den Waffen
gegen Sardinien wenden oder zumindest die Bourbonen unterstützen können.
Deshalb nahm Ganbaldi mit seinen Tausend die Unterstützung der Revolutionäre
auf seiue ganz persönliche, private Rechnung "ohne Wissen und Willen" der
Turiner Regierung. Denn wiewohl Ganbaldi mit den Seinen in Quarto bei
Genua die medsx einfache noch unsichtbare noch geräuschlose Zurüstung der
Expedition zur See betrieb und die Ansammlung von Waffen einschließlich
Kanonen ebendort mit den Staatsgesetzen nicht gerade in: Einklang stand, --
die Polizei merkte nichts davon und natürlich erst recht nicht die Türmer Regierung.
Unterrichteter war freilich der Genueser Konsul des Königreichs beider Sizilien.
Indessen hatte der Direktor der sämtlichen Telegraphenlinien, die damals in
Pisa ihr Zentrum hatten, die Berichte des Konsuls an seiue Negierung in
Neapel geflissentlich aufgehalten, so daß der Neapler offizielle Protest in Turin
"wegen Begünstigung der sizilianischen Rebellen" so spät eintraf, daß Garibaldi
nicht mehr gestört werden konnte. Cavour konnte dem protestierenden Gesandten
Neapels zunächst die völlige Neutralität Sardiniens entgegenhalten und konnte, als
im Verein mit dem Neapler Gesandten auch der französische und der österreichische
Gesandte ihm gegenüber deutlicher wurden, mit einem Haftbefehl gegen Garibaldi
und Konsorten aufwarten, vierundzwanzig Stunden nachdem diese von Quarto aus
unter den Augen der sardischen Flotte in See gegangen waren. So war der
Turiner Regierung Unschuld urkundlich belegt auch gegenüber den Protesten wegen
Verletzung des Völkerrechts, die Preußen, Rußland und der Papst in Turin
erhoben. Cavours Aufgabe war in diesem Augenblick nicht einfach. Einerseits
lag ihm die sizilianische Revolution und ihre Ausdehnung bis zur Entthronung
Franz des Zweiten und bis zur Verewigung des Königreichs beider Sizilien
mit dem oberitalienischen Königreich sehr am Herzen -- er hatte u. a. den
General Ribotti veranlaßt, "privatim" nach Sizilien zu gehen, und den Minister
Farini, den Revolutionären materielle Unterstützungen zu gewähren. Andrer¬
seits kam es darauf an zu verhüten, daß Garibaldi, der wegen der Zession
Nizzas an Frankreich auf die sardische Regierung erbost war, auf Sizilien und
im Neapolitanischen eine Republik oder eine persönliche Vorherrschaft stabilierte.
Bei der Beliebtheit und dem "eigenen Kopf" Garibaldis, bei dem über alles
Erwarten glänzenden Verlauf seiner Expedition war diese letzte Aufgabe außer¬
ordentlich heilet und erheischte den feinsten, durch keine Komplikation und keine
Überraschung zu irritierenden Takt. So ließ denn Cavour von der piemontesischen
Presse die Solidarität mit Garibaldi für die Sache Italiens akzentuieren, ließ
"die" sizilianische Bevölkerung ihr patriotisches Begehren, der Bourbonen ledig
und Viktor Emanuel Untertan zu werden, laut und feierlich proklamieren; er
beschleunigte eine neue Selbstbetonung Viktor Emanuels durch das Einrücken
seiner Truppen in Umbrieu und in die Marken und damit dessen geographische
Annäherung an das Reich des Diktators im Königreich beider Sizilien, bis
Garibaldi am 29. Oktober seiue große Macht in unbedingter Weise Viktor


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eigenen Interesse niederzuhalten, hätten sich einige Großmächte mit den Waffen
gegen Sardinien wenden oder zumindest die Bourbonen unterstützen können.
Deshalb nahm Ganbaldi mit seinen Tausend die Unterstützung der Revolutionäre
auf seiue ganz persönliche, private Rechnung „ohne Wissen und Willen" der
Turiner Regierung. Denn wiewohl Ganbaldi mit den Seinen in Quarto bei
Genua die medsx einfache noch unsichtbare noch geräuschlose Zurüstung der
Expedition zur See betrieb und die Ansammlung von Waffen einschließlich
Kanonen ebendort mit den Staatsgesetzen nicht gerade in: Einklang stand, —
die Polizei merkte nichts davon und natürlich erst recht nicht die Türmer Regierung.
Unterrichteter war freilich der Genueser Konsul des Königreichs beider Sizilien.
Indessen hatte der Direktor der sämtlichen Telegraphenlinien, die damals in
Pisa ihr Zentrum hatten, die Berichte des Konsuls an seiue Negierung in
Neapel geflissentlich aufgehalten, so daß der Neapler offizielle Protest in Turin
„wegen Begünstigung der sizilianischen Rebellen" so spät eintraf, daß Garibaldi
nicht mehr gestört werden konnte. Cavour konnte dem protestierenden Gesandten
Neapels zunächst die völlige Neutralität Sardiniens entgegenhalten und konnte, als
im Verein mit dem Neapler Gesandten auch der französische und der österreichische
Gesandte ihm gegenüber deutlicher wurden, mit einem Haftbefehl gegen Garibaldi
und Konsorten aufwarten, vierundzwanzig Stunden nachdem diese von Quarto aus
unter den Augen der sardischen Flotte in See gegangen waren. So war der
Turiner Regierung Unschuld urkundlich belegt auch gegenüber den Protesten wegen
Verletzung des Völkerrechts, die Preußen, Rußland und der Papst in Turin
erhoben. Cavours Aufgabe war in diesem Augenblick nicht einfach. Einerseits
lag ihm die sizilianische Revolution und ihre Ausdehnung bis zur Entthronung
Franz des Zweiten und bis zur Verewigung des Königreichs beider Sizilien
mit dem oberitalienischen Königreich sehr am Herzen — er hatte u. a. den
General Ribotti veranlaßt, „privatim" nach Sizilien zu gehen, und den Minister
Farini, den Revolutionären materielle Unterstützungen zu gewähren. Andrer¬
seits kam es darauf an zu verhüten, daß Garibaldi, der wegen der Zession
Nizzas an Frankreich auf die sardische Regierung erbost war, auf Sizilien und
im Neapolitanischen eine Republik oder eine persönliche Vorherrschaft stabilierte.
Bei der Beliebtheit und dem „eigenen Kopf" Garibaldis, bei dem über alles
Erwarten glänzenden Verlauf seiner Expedition war diese letzte Aufgabe außer¬
ordentlich heilet und erheischte den feinsten, durch keine Komplikation und keine
Überraschung zu irritierenden Takt. So ließ denn Cavour von der piemontesischen
Presse die Solidarität mit Garibaldi für die Sache Italiens akzentuieren, ließ
„die" sizilianische Bevölkerung ihr patriotisches Begehren, der Bourbonen ledig
und Viktor Emanuel Untertan zu werden, laut und feierlich proklamieren; er
beschleunigte eine neue Selbstbetonung Viktor Emanuels durch das Einrücken
seiner Truppen in Umbrieu und in die Marken und damit dessen geographische
Annäherung an das Reich des Diktators im Königreich beider Sizilien, bis
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[0274] cLavsur eigenen Interesse niederzuhalten, hätten sich einige Großmächte mit den Waffen gegen Sardinien wenden oder zumindest die Bourbonen unterstützen können. Deshalb nahm Ganbaldi mit seinen Tausend die Unterstützung der Revolutionäre auf seiue ganz persönliche, private Rechnung „ohne Wissen und Willen" der Turiner Regierung. Denn wiewohl Ganbaldi mit den Seinen in Quarto bei Genua die medsx einfache noch unsichtbare noch geräuschlose Zurüstung der Expedition zur See betrieb und die Ansammlung von Waffen einschließlich Kanonen ebendort mit den Staatsgesetzen nicht gerade in: Einklang stand, — die Polizei merkte nichts davon und natürlich erst recht nicht die Türmer Regierung. Unterrichteter war freilich der Genueser Konsul des Königreichs beider Sizilien. Indessen hatte der Direktor der sämtlichen Telegraphenlinien, die damals in Pisa ihr Zentrum hatten, die Berichte des Konsuls an seiue Negierung in Neapel geflissentlich aufgehalten, so daß der Neapler offizielle Protest in Turin „wegen Begünstigung der sizilianischen Rebellen" so spät eintraf, daß Garibaldi nicht mehr gestört werden konnte. Cavour konnte dem protestierenden Gesandten Neapels zunächst die völlige Neutralität Sardiniens entgegenhalten und konnte, als im Verein mit dem Neapler Gesandten auch der französische und der österreichische Gesandte ihm gegenüber deutlicher wurden, mit einem Haftbefehl gegen Garibaldi und Konsorten aufwarten, vierundzwanzig Stunden nachdem diese von Quarto aus unter den Augen der sardischen Flotte in See gegangen waren. So war der Turiner Regierung Unschuld urkundlich belegt auch gegenüber den Protesten wegen Verletzung des Völkerrechts, die Preußen, Rußland und der Papst in Turin erhoben. Cavours Aufgabe war in diesem Augenblick nicht einfach. Einerseits lag ihm die sizilianische Revolution und ihre Ausdehnung bis zur Entthronung Franz des Zweiten und bis zur Verewigung des Königreichs beider Sizilien mit dem oberitalienischen Königreich sehr am Herzen — er hatte u. a. den General Ribotti veranlaßt, „privatim" nach Sizilien zu gehen, und den Minister Farini, den Revolutionären materielle Unterstützungen zu gewähren. Andrer¬ seits kam es darauf an zu verhüten, daß Garibaldi, der wegen der Zession Nizzas an Frankreich auf die sardische Regierung erbost war, auf Sizilien und im Neapolitanischen eine Republik oder eine persönliche Vorherrschaft stabilierte. Bei der Beliebtheit und dem „eigenen Kopf" Garibaldis, bei dem über alles Erwarten glänzenden Verlauf seiner Expedition war diese letzte Aufgabe außer¬ ordentlich heilet und erheischte den feinsten, durch keine Komplikation und keine Überraschung zu irritierenden Takt. So ließ denn Cavour von der piemontesischen Presse die Solidarität mit Garibaldi für die Sache Italiens akzentuieren, ließ „die" sizilianische Bevölkerung ihr patriotisches Begehren, der Bourbonen ledig und Viktor Emanuel Untertan zu werden, laut und feierlich proklamieren; er beschleunigte eine neue Selbstbetonung Viktor Emanuels durch das Einrücken seiner Truppen in Umbrieu und in die Marken und damit dessen geographische Annäherung an das Reich des Diktators im Königreich beider Sizilien, bis Garibaldi am 29. Oktober seiue große Macht in unbedingter Weise Viktor

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/274>, abgerufen am 23.07.2024.