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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Lavour

rechtfertigen, ertragen und sich daraufhin begnügt, erstens die Mitwirkung
Sardiniens am Kriege zu steigern und für Napoleon und Europa augenfälliger
zu machen, zweitens durch eine Proklamation Viktor Emanuels an die Lombarden
wenige Tage später öffentlich zu erklären, daß "der Kaiser der Franzosen, unser
großherziger Verbündeter", "Italien befreien will von den Alpen bis zum
Adriatischen Meere". Allein der Friedensschluß von Villa Frcmca erschien ihm
in der Form wie in der Sache als Verrat; die großen militärischen und
politischen und zugleich persönlichen Beweggründe Napoleons, darunter die
Bedrohung Frankreichs durch Preußen am Rhein wollte er nicht sehen oder
nicht gelten lassen. Sein Zorn äußerte sich naturgemäß in erster Linie gegen
Viktor Emanuel. Dieser hatte sich eine verächtliche Behandlung seitens Napoleons
gefallen lassen. Er hatte nicht bloß mit Worten des Dankes, sondern auch
noch mit der Versicherung seiner treuen, tatbereiten Ergebenheit "bei jedweder
Gelegenheit" (er wollte ja 1870 tatsächlich Napoleon gegen Preußen beistehen)
quittiert. "Sire! Sire!", so schrieb damals Mazzini, "ich liebte weder Ihren
Vater uoch bewunderte ich ihn; als ich ihn aber nach Novara die Krone von
sich weisen und freiwillig in die Verbannung gehen sah, achtete ich ihn: er
wollte nicht, daß auch nur ein einziger in Italien ihn in jener Sache des
Verrath verdächtigen könnte. Die Sache des Königs Viktor wäre es gewesen,
Bonaparte zu sagen: ich nehme die beleidigende Zession von Ländern, die nicht
die Ihrigen sind, nicht an, usw." Und in eben diesem Sinne apostrophierte
Cavour, dessen zornige Entrüstung über das Vorgefallene ihn: alle Selbst¬
beherrschung geraubt hatte, mündlich seinen König aufs heftigste.

Cavours Unterredung mit Viktor Emanuel hatte den Erfolg, daß dieser
zum großen und drohend geäußerten Mißvergnügen Napoleons die Friedens¬
präliminarien von Villa Frcmca nur mit Vorbehalt unterschrieb, d. h. sie nur
anerkannte, insofern sie ihn selbst angingen, sich also nicht band für das, was
Modena, Toskana, Parma, Romagna betraf. Eine Unterredung Cavours mit
Nopoleon erfolgte nicht, da Napoleon sich nichts von ihr versprach. Indessen
wollte Cavour nicht verfehlen, Napoleon seine Meinung und Stimmung wissen
zu lassen. Das geschah am 15. Juli in Turin durch Pietri, Napoleons Ver¬
trauten. Cavour sagte zu ihm in Gegenwart von Kossuth, mit dem er schon
einige Monate zuvor wegen einer ungarischen Erhebung gegen Österreich
Fühlung genommen hatte: "Dieser Frieden wird nicht gemacht, dieser Vertrag
nicht vollzogen werden. Der Staatenbund! Man denke sich den König von
Piemont in dieser grotesken Gesellschaft, mit dem Papst als Präsidenten,
Österreich zur Rechten und vier österreichischen Trabanten zur Seite. Da werde
ich Revolutionär. Ich nehme mir Mazzini unter den Arm und werde auch
Konspimtor, Revolutionär. Aber dieser Vertrag wird nicht ausgeführt werden.
Nein! tausendmal nein! nie! Der Kaiser geht fort? Gute Reise! Wir, d. h.
ich und Sie, Kossuth, wir bleiben, nicht wahr? Bei Gott, wir bleiben nicht
auf halber Straße stehen!"


Lavour

rechtfertigen, ertragen und sich daraufhin begnügt, erstens die Mitwirkung
Sardiniens am Kriege zu steigern und für Napoleon und Europa augenfälliger
zu machen, zweitens durch eine Proklamation Viktor Emanuels an die Lombarden
wenige Tage später öffentlich zu erklären, daß „der Kaiser der Franzosen, unser
großherziger Verbündeter", „Italien befreien will von den Alpen bis zum
Adriatischen Meere". Allein der Friedensschluß von Villa Frcmca erschien ihm
in der Form wie in der Sache als Verrat; die großen militärischen und
politischen und zugleich persönlichen Beweggründe Napoleons, darunter die
Bedrohung Frankreichs durch Preußen am Rhein wollte er nicht sehen oder
nicht gelten lassen. Sein Zorn äußerte sich naturgemäß in erster Linie gegen
Viktor Emanuel. Dieser hatte sich eine verächtliche Behandlung seitens Napoleons
gefallen lassen. Er hatte nicht bloß mit Worten des Dankes, sondern auch
noch mit der Versicherung seiner treuen, tatbereiten Ergebenheit „bei jedweder
Gelegenheit" (er wollte ja 1870 tatsächlich Napoleon gegen Preußen beistehen)
quittiert. „Sire! Sire!", so schrieb damals Mazzini, „ich liebte weder Ihren
Vater uoch bewunderte ich ihn; als ich ihn aber nach Novara die Krone von
sich weisen und freiwillig in die Verbannung gehen sah, achtete ich ihn: er
wollte nicht, daß auch nur ein einziger in Italien ihn in jener Sache des
Verrath verdächtigen könnte. Die Sache des Königs Viktor wäre es gewesen,
Bonaparte zu sagen: ich nehme die beleidigende Zession von Ländern, die nicht
die Ihrigen sind, nicht an, usw." Und in eben diesem Sinne apostrophierte
Cavour, dessen zornige Entrüstung über das Vorgefallene ihn: alle Selbst¬
beherrschung geraubt hatte, mündlich seinen König aufs heftigste.

Cavours Unterredung mit Viktor Emanuel hatte den Erfolg, daß dieser
zum großen und drohend geäußerten Mißvergnügen Napoleons die Friedens¬
präliminarien von Villa Frcmca nur mit Vorbehalt unterschrieb, d. h. sie nur
anerkannte, insofern sie ihn selbst angingen, sich also nicht band für das, was
Modena, Toskana, Parma, Romagna betraf. Eine Unterredung Cavours mit
Nopoleon erfolgte nicht, da Napoleon sich nichts von ihr versprach. Indessen
wollte Cavour nicht verfehlen, Napoleon seine Meinung und Stimmung wissen
zu lassen. Das geschah am 15. Juli in Turin durch Pietri, Napoleons Ver¬
trauten. Cavour sagte zu ihm in Gegenwart von Kossuth, mit dem er schon
einige Monate zuvor wegen einer ungarischen Erhebung gegen Österreich
Fühlung genommen hatte: „Dieser Frieden wird nicht gemacht, dieser Vertrag
nicht vollzogen werden. Der Staatenbund! Man denke sich den König von
Piemont in dieser grotesken Gesellschaft, mit dem Papst als Präsidenten,
Österreich zur Rechten und vier österreichischen Trabanten zur Seite. Da werde
ich Revolutionär. Ich nehme mir Mazzini unter den Arm und werde auch
Konspimtor, Revolutionär. Aber dieser Vertrag wird nicht ausgeführt werden.
Nein! tausendmal nein! nie! Der Kaiser geht fort? Gute Reise! Wir, d. h.
ich und Sie, Kossuth, wir bleiben, nicht wahr? Bei Gott, wir bleiben nicht
auf halber Straße stehen!"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/272>, abgerufen am 23.07.2024.