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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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und dessen Freundschaft oder auch deren Schein damals von allen Mächten
gesucht war, besann sich auf Ideale seiner Jugend und versagte dem kleinen
aufstrebenden Piemont oder, genauer gesprochen, seinem Minister Cavour das
Ohr nicht.

Eines Tages traf Dr. Conneau aus Paris in Turin ein und ließ den
Grafen Cavour wissen, daß er es nicht zu bereuen haben würde, wenn er sich
zufällig in Plombiöres befände, wo der Kaiser verweilte. Cavour ermangelte
nicht, dem Winke zu folgen. Was in Plombiöres besprochen wurde, ist aus
einem am 24. Juli in Baden abgefaßten Berichte Cavours an seineu König
zu ersehen ("Perseveranza", 24. August 1883). Napoleon erklärte, "ent¬
schlossen zu sein, Sardinien mit allen seinen Kräften in einem Kriege gegen
Österreich zu unterstützen, falls der Krieg aus einen: nicht revolutionären Grunde
ausbräche und Rechtfertigung finden könnte vor der Diplomatie und erst recht vor
der öffentlichen Meinung Frankreichs und Europas". In diesem Sinne gingen Na¬
poleon und Cavour die verschiedenen Möglichkeiten der Inszenierung eines Krieges
miteinander durch. Cavours Vorschlag, die österreichische Besetzung der Romagna
und die Befestigungen bei Piacenza zum Vorwande zu nehmen, lehnte der
Kaiser erstens unter Hinweis auf die mit diesen Beanstandungen auf dem
Pariser.Kongreß gemachten Erfahrungen und zweitens deshalb ab, weil er,
solange die französischen Truppen in Rom wären, von Österreich nicht verlangen
könnte, daß es die seinen aus Ancona und Bologna zurückzöge. An demi Ver¬
bleiben der französischen Truppen in Rom aber hatte Napoleon wohl weniger
um des Papstes mulier ein Interesse, als darum, weil sich damit vielleicht noch
einmal eine Familienpolitik a la Napoleon des Ersten treiben ließ und weil
das Geschäft, das Frankreich aufgäbe, dann von Österreich gemacht würde. Die
gesuchte Handhabe fand sich endlich derart: Franz der Fünfte von Este, ein
Habsburger, Herrscher von Modena, Massa und Carrara, der sich noch immer
weigerte, Napoleon als Kaiser anzuerkennen, sollte unter Berufung auf eine
Schutz und Annexion an das Königreich Sardinien erstehende Bittschrift seiner
Untertanen von Viktor Emanuel durch eine Note provoziert werden. Im Ver¬
trauen auf die Hilfe Österreichs würde er grob antworten; darauf würde Massa
von Sardinien besetzt, und der Krieg wäre da. Was den Zweck des Krieges
betrifft, so räumte Napoleon ohne Bedenken ein, daß man die Österreicher ganz
aus Italien vertreiben müßte. Die Lombardei, Venetien, die Romagna und
die Legationen, die sich erheben sollten, würden dann zu einem oberitalienischen
Königreich unter dem Zepter des Königs von Sardinien zusammengefaßt. Rom
und Umgebung verbliebe dem Papste; Toskana unter Leopold dem Zweiten
von Lothringen würde mit dem Rest des Kirchenstaates ein mittelitalienisches
Königreich; Ferdinand der Zweite von Bourbon, König beider Sizilien, bliebe
ungestört. Alle vier Staaten bildeten dann einen Bundesstaat nach deutschem
Muster und der Papst, der sich so für den Verlust seiner besten Staaten getröstet
sähe, würde Bundespräsident.


Lcwour

und dessen Freundschaft oder auch deren Schein damals von allen Mächten
gesucht war, besann sich auf Ideale seiner Jugend und versagte dem kleinen
aufstrebenden Piemont oder, genauer gesprochen, seinem Minister Cavour das
Ohr nicht.

Eines Tages traf Dr. Conneau aus Paris in Turin ein und ließ den
Grafen Cavour wissen, daß er es nicht zu bereuen haben würde, wenn er sich
zufällig in Plombiöres befände, wo der Kaiser verweilte. Cavour ermangelte
nicht, dem Winke zu folgen. Was in Plombiöres besprochen wurde, ist aus
einem am 24. Juli in Baden abgefaßten Berichte Cavours an seineu König
zu ersehen („Perseveranza", 24. August 1883). Napoleon erklärte, „ent¬
schlossen zu sein, Sardinien mit allen seinen Kräften in einem Kriege gegen
Österreich zu unterstützen, falls der Krieg aus einen: nicht revolutionären Grunde
ausbräche und Rechtfertigung finden könnte vor der Diplomatie und erst recht vor
der öffentlichen Meinung Frankreichs und Europas". In diesem Sinne gingen Na¬
poleon und Cavour die verschiedenen Möglichkeiten der Inszenierung eines Krieges
miteinander durch. Cavours Vorschlag, die österreichische Besetzung der Romagna
und die Befestigungen bei Piacenza zum Vorwande zu nehmen, lehnte der
Kaiser erstens unter Hinweis auf die mit diesen Beanstandungen auf dem
Pariser.Kongreß gemachten Erfahrungen und zweitens deshalb ab, weil er,
solange die französischen Truppen in Rom wären, von Österreich nicht verlangen
könnte, daß es die seinen aus Ancona und Bologna zurückzöge. An demi Ver¬
bleiben der französischen Truppen in Rom aber hatte Napoleon wohl weniger
um des Papstes mulier ein Interesse, als darum, weil sich damit vielleicht noch
einmal eine Familienpolitik a la Napoleon des Ersten treiben ließ und weil
das Geschäft, das Frankreich aufgäbe, dann von Österreich gemacht würde. Die
gesuchte Handhabe fand sich endlich derart: Franz der Fünfte von Este, ein
Habsburger, Herrscher von Modena, Massa und Carrara, der sich noch immer
weigerte, Napoleon als Kaiser anzuerkennen, sollte unter Berufung auf eine
Schutz und Annexion an das Königreich Sardinien erstehende Bittschrift seiner
Untertanen von Viktor Emanuel durch eine Note provoziert werden. Im Ver¬
trauen auf die Hilfe Österreichs würde er grob antworten; darauf würde Massa
von Sardinien besetzt, und der Krieg wäre da. Was den Zweck des Krieges
betrifft, so räumte Napoleon ohne Bedenken ein, daß man die Österreicher ganz
aus Italien vertreiben müßte. Die Lombardei, Venetien, die Romagna und
die Legationen, die sich erheben sollten, würden dann zu einem oberitalienischen
Königreich unter dem Zepter des Königs von Sardinien zusammengefaßt. Rom
und Umgebung verbliebe dem Papste; Toskana unter Leopold dem Zweiten
von Lothringen würde mit dem Rest des Kirchenstaates ein mittelitalienisches
Königreich; Ferdinand der Zweite von Bourbon, König beider Sizilien, bliebe
ungestört. Alle vier Staaten bildeten dann einen Bundesstaat nach deutschem
Muster und der Papst, der sich so für den Verlust seiner besten Staaten getröstet
sähe, würde Bundespräsident.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/268>, abgerufen am 23.07.2024.