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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

muß ich ihm doch eine kleine Disgression machen von die Farcen, so man mit
mir spiehlet, nehmlich man ich Tehwasser verlange, so geschieht vor hairo eine
Combination der Planetten und etzliche Stunden Punktirung, ob Wasser Wasser
ist, und warlich, es ist mein Tage aus die clavi^uelo Lat0mori8 nicht soviel
Magie hairvor gesucht worden, als aus meinen Worten Deutung gemacht
werden. Wein ich in meinem Zimmer spatsiren gehe, werden die sensim vom
Hauße visitirt, ob ich auch Simsons Stärke bekommen, die Tohre aus ihre
Riegel zu heben, in Summa ühber mir, neben mir und unter nur habe ich
Jrwische, und wenn ich nicht noch ein bisgen Jugend hätte, zweifle ich nicht,
sie würden mir auch des Nachts bis in mein Bette accompAZniren. Wenn
ich hier volle werde, ist es kein Wunder usw. Dieses Blat gehört uicht zum
Akten und soll nur unter die apocriven Bücher gerechnet werden."

Trotz dieser ängstlichen Bewachung brachte sie es doch fertig, heimlich Briefe
hinauszuschmuggeln. Der Apotheker von Stolper war ihr Vertrauter, ein Lakai
paschte in ihren Servietten Zettelchen durch, vor allein war ein Leutnant Helm
von der Garnison trotz seines Eides ihr willfähriges Werkzeug. Aber wer
sollte auch der bezwingender Macht dieser schönen flehenden Augen widerstehn!
Hehn wurde überführt und zum Abhauen zweier Finger der rechten Hand und
zur Enthauptung verurteilt.

Man fragt sich, wie die gestürzte Größe zwischen den engen Mauern all
die fünfzig Jahre hindurch ihre Zeit hingebracht hat. Anfangs schien es, als
seien ihr Körper und Geist zerbrochen. Stundenlang saß sie da, dumpf vor
sich hinstierend. Ihre Glieder waren zum Teil gelähmt oder zuckten in Krämpfen.
Dann fuhr sie wild auf, tobte und redete irre. Aber schließlich fand sich ihre
unverwüstliche Natur wieder. Nun fing sie an, mit fieberhafter Geschäftigkeit
Briefe über Briefe an den Kurfürsten und alle Welt zu schreiben mit der immer
wiederholten Bitte um ihre Befreiung. Natürlich alles umsonst. Die meisten
ihrer herzbeweglichen Schreiben verschwanden wohl in den Akten. Die Welt,
auch die Dresdner Welt, hat noch über zwanzig Jahre lang nichts davon
erfahren, daß die gefeierte Cosel auf dem Stolper saß. Es wurden zwar
Verhandlungen mit ihr gepflogen, wonach sie unter gewissen Bedingungen in
Freiheit gesetzt werden sollte, aber sie scheiterten an ihrer unbeugsamen Hals¬
starrigkeit, die von Bedingungen nichts wissen wollte.

Einen hauptsächlichen Zeitvertreib für ihren lebhaften Geist bildete die
Lektüre. Fortgesetzt vergrößerte sie ihre Bibliothek, schließlich hatte sie an die
dreitausend Bände aufgestapelt. Die Naturwissenschaft, Chemie und Alchymie
waren in zahlreichen Werken vertreten. Auch lateinische Bücher fehlten nicht;
sie muß demnach wohl auch diese Sprache verstanden haben. Neben Schriften
religiösen und mystischen Inhaltes fanden sich Pikcmterien von zweifelhaftesten
Wert. Sie selbst verfaßte nicht ohne Geist französische Verse.

Vielfach füllte sie ihre Stunden auch mit Handarbeiten aus. Noch heute
zeigt die Stolpeuer Schützengilde mit Stolz ihr Banner, das ihr -- nach einer


Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

muß ich ihm doch eine kleine Disgression machen von die Farcen, so man mit
mir spiehlet, nehmlich man ich Tehwasser verlange, so geschieht vor hairo eine
Combination der Planetten und etzliche Stunden Punktirung, ob Wasser Wasser
ist, und warlich, es ist mein Tage aus die clavi^uelo Lat0mori8 nicht soviel
Magie hairvor gesucht worden, als aus meinen Worten Deutung gemacht
werden. Wein ich in meinem Zimmer spatsiren gehe, werden die sensim vom
Hauße visitirt, ob ich auch Simsons Stärke bekommen, die Tohre aus ihre
Riegel zu heben, in Summa ühber mir, neben mir und unter nur habe ich
Jrwische, und wenn ich nicht noch ein bisgen Jugend hätte, zweifle ich nicht,
sie würden mir auch des Nachts bis in mein Bette accompAZniren. Wenn
ich hier volle werde, ist es kein Wunder usw. Dieses Blat gehört uicht zum
Akten und soll nur unter die apocriven Bücher gerechnet werden."

Trotz dieser ängstlichen Bewachung brachte sie es doch fertig, heimlich Briefe
hinauszuschmuggeln. Der Apotheker von Stolper war ihr Vertrauter, ein Lakai
paschte in ihren Servietten Zettelchen durch, vor allein war ein Leutnant Helm
von der Garnison trotz seines Eides ihr willfähriges Werkzeug. Aber wer
sollte auch der bezwingender Macht dieser schönen flehenden Augen widerstehn!
Hehn wurde überführt und zum Abhauen zweier Finger der rechten Hand und
zur Enthauptung verurteilt.

Man fragt sich, wie die gestürzte Größe zwischen den engen Mauern all
die fünfzig Jahre hindurch ihre Zeit hingebracht hat. Anfangs schien es, als
seien ihr Körper und Geist zerbrochen. Stundenlang saß sie da, dumpf vor
sich hinstierend. Ihre Glieder waren zum Teil gelähmt oder zuckten in Krämpfen.
Dann fuhr sie wild auf, tobte und redete irre. Aber schließlich fand sich ihre
unverwüstliche Natur wieder. Nun fing sie an, mit fieberhafter Geschäftigkeit
Briefe über Briefe an den Kurfürsten und alle Welt zu schreiben mit der immer
wiederholten Bitte um ihre Befreiung. Natürlich alles umsonst. Die meisten
ihrer herzbeweglichen Schreiben verschwanden wohl in den Akten. Die Welt,
auch die Dresdner Welt, hat noch über zwanzig Jahre lang nichts davon
erfahren, daß die gefeierte Cosel auf dem Stolper saß. Es wurden zwar
Verhandlungen mit ihr gepflogen, wonach sie unter gewissen Bedingungen in
Freiheit gesetzt werden sollte, aber sie scheiterten an ihrer unbeugsamen Hals¬
starrigkeit, die von Bedingungen nichts wissen wollte.

Einen hauptsächlichen Zeitvertreib für ihren lebhaften Geist bildete die
Lektüre. Fortgesetzt vergrößerte sie ihre Bibliothek, schließlich hatte sie an die
dreitausend Bände aufgestapelt. Die Naturwissenschaft, Chemie und Alchymie
waren in zahlreichen Werken vertreten. Auch lateinische Bücher fehlten nicht;
sie muß demnach wohl auch diese Sprache verstanden haben. Neben Schriften
religiösen und mystischen Inhaltes fanden sich Pikcmterien von zweifelhaftesten
Wert. Sie selbst verfaßte nicht ohne Geist französische Verse.

Vielfach füllte sie ihre Stunden auch mit Handarbeiten aus. Noch heute
zeigt die Stolpeuer Schützengilde mit Stolz ihr Banner, das ihr — nach einer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/25>, abgerufen am 23.07.2024.