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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Ztcpß

Tage verbreitete sich das Gerücht von einem Attentate auf den Kaiser. Am
15, Oktober wurde die Militürkommission, bestehend aus dem obersten Feldrichter
der Armee, General Sauer, und zwei Schwadronschefs der Gendarmerie, eingesetzt.
In dem geheimen Verhör vor dieser Kommission hielt Steph; alle seine früheren
Angaben aufrecht! als Motiv der Tat gab er hier auch an: "Ich wollte mir
durch einen Mord einen großen Namen machen." Er sagte, er habe vor einiger
Zeit von der schrecklichen Härte gelesen, mit der man gegen alle Verschwörer vor¬
gehe; aber die Lektüre von Trauerspielen habe ihn gelehrt, den Tod zu verachten.
Er habe erwartet, die Soldaten würden ihn auf der Stelle töten und seine
Leiden würden nicht groß sein. Er bedauere seine armen Eltern, die unschuldig
seien. Man wandte alle möglichen Mittel an, um ihn zu weiteren Geständ¬
nissen zu veranlassen und seine Mitschuldigen zu nennen; man stellte ihm auch
die Begnadigung in Aussicht; er blieb aber dabei, daß er die ganze Wahrheit
gesagt habe.

Die Verhandlung vor demi Kriegsgericht dauerte nicht lange; die Anklage
lautete merkwürdigerweise auf Spionage. Die einzige Frage, die den: Gericht
von dem Präsidenten vorgelegt wurde, war: I^s nomen6 ^recleric: LtepK,
qrmMö Li-cle88us, accuse et'espionaZe, Mectant la clemsncs.est-it coupablö?
und da sie einstimmig bejaht wurde, ergab sich das Todesurteil mit Not¬
wendigkeit aus dem Gesetz vom 21. Brumaire des Jahres 5 (11. November 1796).
Abends um 7 Uhr wurde das Urteil den: Angeklagten vorgelesen, am andern
Morgen, den 16. Oktober 1809 um 6 Uhr vollstreckt. Stepß starb in dem festen
Glauben, daß er zum Himmel eingehe, da er sein Gelübde gegen Gott erfüllt habe.

Seine Tat hatte wirklich solchen Eindruck auf Napoleon gemacht, daß
er rasch Frieden schloß; aber eine Folge, die Stepß nicht vorausgesehen
hatte, war die, daß nun alle französischen Behörden eine systematische Ver¬
folgung des Tugendbundes und der damit verwandten Vereinigungen eintreten
ließen; bis zu dieser Zeit findet man in den französichen Akten nur gelegentliche
Mitteilungen über die deutschen Ideologen.

Napoleon hätte den deutschen Pfarrerssohn vielleicht weniger gefürchtet,
wenn er sicher gewesen wäre, daß er einen Geistesschwachen vor sich habe; auf
das Kriegsgericht machte Stepß wohl den Eindruck eines Irrsinnigen, aber man
hielt alles für Verstellung und schenkte ihm keinen Glauben; nur so läßt sich
die gewundene Anklage wegen Spionage verstehen; seine Angehörigen
aber haben ihn sofort nach feinen: Verschwinden für geistesschwach erklärt.
Am 27. September waren sie von der Flucht ihres Sohnes durch einen Brief
des Handlungsdieners der Fabrik in Kenntnis gesetzt worden. Da der Vater
krank war, fuhr die Mutter mit Extrapost nach Erfurt; in Hessenhausen
traf sie Friedrichs Brief vom 23. September. In Erfurt meinte Lentin, er
sei nach England gereist, andere, er sei Soldat geworden. Ein Bote, Meister
Vater, wurde nach Leipzig zu Rothstein geschickt, der dann beim sächsichen
Militär nach seinem Lehrling suchen ließ. Die Eltern hatten dein Boten einen


Friedrich Ztcpß

Tage verbreitete sich das Gerücht von einem Attentate auf den Kaiser. Am
15, Oktober wurde die Militürkommission, bestehend aus dem obersten Feldrichter
der Armee, General Sauer, und zwei Schwadronschefs der Gendarmerie, eingesetzt.
In dem geheimen Verhör vor dieser Kommission hielt Steph; alle seine früheren
Angaben aufrecht! als Motiv der Tat gab er hier auch an: „Ich wollte mir
durch einen Mord einen großen Namen machen." Er sagte, er habe vor einiger
Zeit von der schrecklichen Härte gelesen, mit der man gegen alle Verschwörer vor¬
gehe; aber die Lektüre von Trauerspielen habe ihn gelehrt, den Tod zu verachten.
Er habe erwartet, die Soldaten würden ihn auf der Stelle töten und seine
Leiden würden nicht groß sein. Er bedauere seine armen Eltern, die unschuldig
seien. Man wandte alle möglichen Mittel an, um ihn zu weiteren Geständ¬
nissen zu veranlassen und seine Mitschuldigen zu nennen; man stellte ihm auch
die Begnadigung in Aussicht; er blieb aber dabei, daß er die ganze Wahrheit
gesagt habe.

Die Verhandlung vor demi Kriegsgericht dauerte nicht lange; die Anklage
lautete merkwürdigerweise auf Spionage. Die einzige Frage, die den: Gericht
von dem Präsidenten vorgelegt wurde, war: I^s nomen6 ^recleric: LtepK,
qrmMö Li-cle88us, accuse et'espionaZe, Mectant la clemsncs.est-it coupablö?
und da sie einstimmig bejaht wurde, ergab sich das Todesurteil mit Not¬
wendigkeit aus dem Gesetz vom 21. Brumaire des Jahres 5 (11. November 1796).
Abends um 7 Uhr wurde das Urteil den: Angeklagten vorgelesen, am andern
Morgen, den 16. Oktober 1809 um 6 Uhr vollstreckt. Stepß starb in dem festen
Glauben, daß er zum Himmel eingehe, da er sein Gelübde gegen Gott erfüllt habe.

Seine Tat hatte wirklich solchen Eindruck auf Napoleon gemacht, daß
er rasch Frieden schloß; aber eine Folge, die Stepß nicht vorausgesehen
hatte, war die, daß nun alle französischen Behörden eine systematische Ver¬
folgung des Tugendbundes und der damit verwandten Vereinigungen eintreten
ließen; bis zu dieser Zeit findet man in den französichen Akten nur gelegentliche
Mitteilungen über die deutschen Ideologen.

Napoleon hätte den deutschen Pfarrerssohn vielleicht weniger gefürchtet,
wenn er sicher gewesen wäre, daß er einen Geistesschwachen vor sich habe; auf
das Kriegsgericht machte Stepß wohl den Eindruck eines Irrsinnigen, aber man
hielt alles für Verstellung und schenkte ihm keinen Glauben; nur so läßt sich
die gewundene Anklage wegen Spionage verstehen; seine Angehörigen
aber haben ihn sofort nach feinen: Verschwinden für geistesschwach erklärt.
Am 27. September waren sie von der Flucht ihres Sohnes durch einen Brief
des Handlungsdieners der Fabrik in Kenntnis gesetzt worden. Da der Vater
krank war, fuhr die Mutter mit Extrapost nach Erfurt; in Hessenhausen
traf sie Friedrichs Brief vom 23. September. In Erfurt meinte Lentin, er
sei nach England gereist, andere, er sei Soldat geworden. Ein Bote, Meister
Vater, wurde nach Leipzig zu Rothstein geschickt, der dann beim sächsichen
Militär nach seinem Lehrling suchen ließ. Die Eltern hatten dein Boten einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/230>, abgerufen am 24.07.2024.