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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Stepß

zu den Soldaten müsse, denn von Erfurt schreibt ihm dieser am 31. August:
"In Ansehung der Soldaten machen Sie sich aber zu viel Angst, denn 20000
Mann spürt man in Sachsen uoch uicht so sehr, daß man Studierende und
von der Kaufmannschaft Leute wegnehmen wird, und für jetzt inertem sie doch
mit dieser Armee genug haben, und wegen der Zukunft laß ich mir keine
grauen Haare wachsen, da kann sich noch viel ändern. Sorgt nicht für den
andern Morgen, denke ich. Der Erzherzog Carl soll das Oberkommando unter
der Bedingung wieder übernommen haben, daß seine Brüder von der Armee
abgehen müßten, und er Generäle an ihre Stelle setzen dürfe, denn diese könne
er bei Fehlern bestrafen, aber jene nicht. Der Herzog von Braunschweig-Öls
hat sich mit den Engländern vereinigt. Die gute Mutter grüßen Sie recht
vielmals und ich bitte Sie recht sehr, sich nicht unnötige Angst zu machen, es
wird alles gut gehen." Das war aber nur Verstellung. Denn er suchte seinen
Freund Walter zu überreden, mit ihm Soldat zu werden, da sie doch Lands-
leute seien. Seine Vorliebe für das Militär und sein Ehrgeiz hatten, auch dem
ihm fernstehenden Bellerman fiel das auf, die Vorhand in seinen Gefühlen.
Seine Prinzipale hatten zwar nie bemerkt, daß er sich in Politik mische, und
aus keiner seiner Reden das Interesse wahrgenommen, das er dem Kriege
entgegenbrachte. Dagegen erzählte er den Freunden alles, was er wußte; aber
sie beschäftigten sich nicht viel mit Politik, und als er ihnen sagte, die Franzosen
würden aus Osterreich und Deutschland verjagt werden, erklärten sie ihn für
einen Narren (ion). Schon als er während der Bewegungen des Schillschen
Korps von den großen Diensten sprach, die er vermöge seiner ausgesprochenen
Neigung für den Soldatenstand dem Hause Osterreich leisten werde, hielt ihn
Zerenner für "beinahe verrückt"; diese Überzeugung wuchs, als Friedrich von
einer Vision erzählte, die ihn zum Helden von Deutschland bestimmte. Diese
Träume, in die auch Walter eingeweiht wurde, sind ein Erbteil von seiner Mutter;
sie hatte ihn im Traume ins Wasser fallen sehen, ohne ihn retten zu können,
und diese Erscheinung hatte ihr mütterliches Herz oft bekümmert. Zerrenner
schob die Schuld auf die Lektüre eines Buches, das die Ereignisse des Jahres 1810
prophezeite, und hielt es für die Prahlereien eines jungen Mannes, wenn Stepß
Karls des Zwölften Heldentaten überbieten wolle; er bemühte sich, den Freund
von seineu Ideen abzubringen, und wenn es ihm auch nicht gelang, thu vollständig
zu beschwichtigen, so erhielt er doch das Versprechen, daß jener keinen unüber¬
legten Schritt unternehmen wolle. Von dieser Zeit an schwieg Stepß; er fürchtete,
man könnte ihn an der Tat hindern oder ihn verraten. Seine Freunde glaubten,
er habe seine Meinung geändert, er wußte sie aber nur zu täuschen, indem er
noch zwei Tage vor seiner Abreise bei Bellermann Bücher zum Erlernen der
englischen Sprache bestellte. Er war in Wirklichkeit auf.das Attentat zurück¬
gekommen, als die Friedensgerüchte sich nicht bestätigten und der Krieg seinen
Fortgang nahm; denn man rekrutierte viel in Deutschland, und in Sachsen
wurden ungefähr 20000 Mann ausgehoben.


Friedrich Stepß

zu den Soldaten müsse, denn von Erfurt schreibt ihm dieser am 31. August:
„In Ansehung der Soldaten machen Sie sich aber zu viel Angst, denn 20000
Mann spürt man in Sachsen uoch uicht so sehr, daß man Studierende und
von der Kaufmannschaft Leute wegnehmen wird, und für jetzt inertem sie doch
mit dieser Armee genug haben, und wegen der Zukunft laß ich mir keine
grauen Haare wachsen, da kann sich noch viel ändern. Sorgt nicht für den
andern Morgen, denke ich. Der Erzherzog Carl soll das Oberkommando unter
der Bedingung wieder übernommen haben, daß seine Brüder von der Armee
abgehen müßten, und er Generäle an ihre Stelle setzen dürfe, denn diese könne
er bei Fehlern bestrafen, aber jene nicht. Der Herzog von Braunschweig-Öls
hat sich mit den Engländern vereinigt. Die gute Mutter grüßen Sie recht
vielmals und ich bitte Sie recht sehr, sich nicht unnötige Angst zu machen, es
wird alles gut gehen." Das war aber nur Verstellung. Denn er suchte seinen
Freund Walter zu überreden, mit ihm Soldat zu werden, da sie doch Lands-
leute seien. Seine Vorliebe für das Militär und sein Ehrgeiz hatten, auch dem
ihm fernstehenden Bellerman fiel das auf, die Vorhand in seinen Gefühlen.
Seine Prinzipale hatten zwar nie bemerkt, daß er sich in Politik mische, und
aus keiner seiner Reden das Interesse wahrgenommen, das er dem Kriege
entgegenbrachte. Dagegen erzählte er den Freunden alles, was er wußte; aber
sie beschäftigten sich nicht viel mit Politik, und als er ihnen sagte, die Franzosen
würden aus Osterreich und Deutschland verjagt werden, erklärten sie ihn für
einen Narren (ion). Schon als er während der Bewegungen des Schillschen
Korps von den großen Diensten sprach, die er vermöge seiner ausgesprochenen
Neigung für den Soldatenstand dem Hause Osterreich leisten werde, hielt ihn
Zerenner für „beinahe verrückt"; diese Überzeugung wuchs, als Friedrich von
einer Vision erzählte, die ihn zum Helden von Deutschland bestimmte. Diese
Träume, in die auch Walter eingeweiht wurde, sind ein Erbteil von seiner Mutter;
sie hatte ihn im Traume ins Wasser fallen sehen, ohne ihn retten zu können,
und diese Erscheinung hatte ihr mütterliches Herz oft bekümmert. Zerrenner
schob die Schuld auf die Lektüre eines Buches, das die Ereignisse des Jahres 1810
prophezeite, und hielt es für die Prahlereien eines jungen Mannes, wenn Stepß
Karls des Zwölften Heldentaten überbieten wolle; er bemühte sich, den Freund
von seineu Ideen abzubringen, und wenn es ihm auch nicht gelang, thu vollständig
zu beschwichtigen, so erhielt er doch das Versprechen, daß jener keinen unüber¬
legten Schritt unternehmen wolle. Von dieser Zeit an schwieg Stepß; er fürchtete,
man könnte ihn an der Tat hindern oder ihn verraten. Seine Freunde glaubten,
er habe seine Meinung geändert, er wußte sie aber nur zu täuschen, indem er
noch zwei Tage vor seiner Abreise bei Bellermann Bücher zum Erlernen der
englischen Sprache bestellte. Er war in Wirklichkeit auf.das Attentat zurück¬
gekommen, als die Friedensgerüchte sich nicht bestätigten und der Krieg seinen
Fortgang nahm; denn man rekrutierte viel in Deutschland, und in Sachsen
wurden ungefähr 20000 Mann ausgehoben.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/226>, abgerufen am 24.07.2024.