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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches

gerufen werden. Noch mehr ist zu beklagen, daß der Reichskanzler den Kern
der ganzen Finanzfrage, die schwere Gefahr der Reichsschuld, nicht gebührend
gewürdigt hat. Denn von einer schleunigen, durchgreifenden Tilgung der Schuld
war in dem Finanzplan nicht die Rede, während doch zutage lag, daß die
Deckung des augenblicklichen Fehlbetrages kein Mittel war, eine nachhaltige,
gründliche Besserung der zerrütteten Finanzen zu ermöglichen. Eine solche kann
nur durch eine Beseitigung des dauernden Übels, durch die Abstoßung der
Reichsschuld herbeigeführt werden. -- Bei dieser Lage der Dinge erscheint es
kaum gerecht, die Schuld an dem Ausgange der denkwürdigen Reichstags¬
verhandlungen einzelnen Parteien zuzuschieben. Die Unzufriedenheit war eine
allgemeine, allgemein der Unwille darüber, daß die Regierung nicht imstande
war, die verwahrlosten Finanzen von Grund aus zu bessern. Und diese
allgemeine Mißstimmung war es am letzten Ende, die zu den bekannten
Ereignissen führte.

Wenn die vorstehend entwickelte Ansicht richtig ist, so ergibt sich daraus
die Notwendigkeit, die wichtige Aufgabe, deren Lösung unterblieb, nunmehr
endlich in Angriff zu nehmen, um schweres Unheil zu verhüten. Von vorn¬
herein ist klar, daß ein Unternehmen, wie die Abtragung von 5 Milliarden,
nicht mit kleinen Mitteln auszuführen ist. Die Steuerschraube so weit anzuziehen,
wie zu dem Zweck notwendig wäre, davon kann ernstlich nicht die Rede sein.
Es gibt nur ein geeignetes, unanfechtbares Mittel, das ist die jüngst vergeblich
versuchte Reform des Erbrechts, das Erbrecht des Reiches. An die Stelle der
entfernteren Seitenverwandten muß das Reich als Erbe treten, wenn der Erb¬
lasser nicht anders bestimmt hat. Diesen oft von mir empfohlenen Vorschlag
werde ich wiederholen, solange ich Leser dafür finde. Denn es ist meine feste
Überzeugung, daß diese Reform, die der Gesamtheit herrenloses Gut zuspricht,
das ein verkehrtes Gesetz bisher lachenden Erben zu rechtloser Bereicherung
hingab, den einfachsten Geboten der Gerechtigkeit entspricht, -- daß sie gleich¬
zeitig auch das einzige Mittel bildet, um das Reich aus gefährlichen Nöten zu
befreien. Man darf behaupten, daß durch die Bewegung zugunsten der Erb¬
rechtsreform, die in ihren Anfängen über ein Jahrhundert alt ist und von den
besten Vertretern deutscher Wissenschaft getragen wird, folgende Sätze nunmehr
zum Gemeingut geworden sind:

Das noch in Geltung stehende schrankenlose Erbrecht der Verwandten in
inkinitum ist theoretisch von keinem Standpunkt zu rechtfertigen, praktisch nicht
durchzuführen. Es bestand geschichtlich weder im alten römischen, noch im
alten deutschen Recht. Es ist eine sinnlose Erfindung Justinians aus dem
Jahre 54.3 nach Christi Geburt. Da sich inzwischen aber die Verhältnisse vielfach
geändert haben, da Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert nicht notwendig
nach oströmischen Gesetzen aus dem sechsten Jahrhundert regiert werden muß,
so erscheint es geboten, auch dieses Überbleibsel aus der römischen Verfallzeit
endlich nach dem Bedürfnis der Gegenwart umzugestalten. Nachdem die


Die Tilgung der Reichsschuld durch das Erbrecht des Reiches

gerufen werden. Noch mehr ist zu beklagen, daß der Reichskanzler den Kern
der ganzen Finanzfrage, die schwere Gefahr der Reichsschuld, nicht gebührend
gewürdigt hat. Denn von einer schleunigen, durchgreifenden Tilgung der Schuld
war in dem Finanzplan nicht die Rede, während doch zutage lag, daß die
Deckung des augenblicklichen Fehlbetrages kein Mittel war, eine nachhaltige,
gründliche Besserung der zerrütteten Finanzen zu ermöglichen. Eine solche kann
nur durch eine Beseitigung des dauernden Übels, durch die Abstoßung der
Reichsschuld herbeigeführt werden. — Bei dieser Lage der Dinge erscheint es
kaum gerecht, die Schuld an dem Ausgange der denkwürdigen Reichstags¬
verhandlungen einzelnen Parteien zuzuschieben. Die Unzufriedenheit war eine
allgemeine, allgemein der Unwille darüber, daß die Regierung nicht imstande
war, die verwahrlosten Finanzen von Grund aus zu bessern. Und diese
allgemeine Mißstimmung war es am letzten Ende, die zu den bekannten
Ereignissen führte.

Wenn die vorstehend entwickelte Ansicht richtig ist, so ergibt sich daraus
die Notwendigkeit, die wichtige Aufgabe, deren Lösung unterblieb, nunmehr
endlich in Angriff zu nehmen, um schweres Unheil zu verhüten. Von vorn¬
herein ist klar, daß ein Unternehmen, wie die Abtragung von 5 Milliarden,
nicht mit kleinen Mitteln auszuführen ist. Die Steuerschraube so weit anzuziehen,
wie zu dem Zweck notwendig wäre, davon kann ernstlich nicht die Rede sein.
Es gibt nur ein geeignetes, unanfechtbares Mittel, das ist die jüngst vergeblich
versuchte Reform des Erbrechts, das Erbrecht des Reiches. An die Stelle der
entfernteren Seitenverwandten muß das Reich als Erbe treten, wenn der Erb¬
lasser nicht anders bestimmt hat. Diesen oft von mir empfohlenen Vorschlag
werde ich wiederholen, solange ich Leser dafür finde. Denn es ist meine feste
Überzeugung, daß diese Reform, die der Gesamtheit herrenloses Gut zuspricht,
das ein verkehrtes Gesetz bisher lachenden Erben zu rechtloser Bereicherung
hingab, den einfachsten Geboten der Gerechtigkeit entspricht, — daß sie gleich¬
zeitig auch das einzige Mittel bildet, um das Reich aus gefährlichen Nöten zu
befreien. Man darf behaupten, daß durch die Bewegung zugunsten der Erb¬
rechtsreform, die in ihren Anfängen über ein Jahrhundert alt ist und von den
besten Vertretern deutscher Wissenschaft getragen wird, folgende Sätze nunmehr
zum Gemeingut geworden sind:

Das noch in Geltung stehende schrankenlose Erbrecht der Verwandten in
inkinitum ist theoretisch von keinem Standpunkt zu rechtfertigen, praktisch nicht
durchzuführen. Es bestand geschichtlich weder im alten römischen, noch im
alten deutschen Recht. Es ist eine sinnlose Erfindung Justinians aus dem
Jahre 54.3 nach Christi Geburt. Da sich inzwischen aber die Verhältnisse vielfach
geändert haben, da Deutschland im zwanzigsten Jahrhundert nicht notwendig
nach oströmischen Gesetzen aus dem sechsten Jahrhundert regiert werden muß,
so erscheint es geboten, auch dieses Überbleibsel aus der römischen Verfallzeit
endlich nach dem Bedürfnis der Gegenwart umzugestalten. Nachdem die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/196>, abgerufen am 01.10.2024.