Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Preußische Ansiedler in Gstcrreich

geschaft gewöhnt. Aber das zitierte Patent Friedrichs war zur Hereinziehung
österreichischer Untertanen veröffentlicht worden. Die preußischen Werber in den
Grenzorten Galiziens lockten mit ihm die aus Galizien dahin kommenden Leute
an. Es lag also nahe, wegen des Wettbewerbes mit dem Nachbarstaate im
österreichischen Patente die Bestimmungen des preußischen nachzubilden. So
entstand das Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, das zunächst vor allem
Ansiedler aus Preußisch-Schlesien und aus dem "republikanischen Polen" herbei¬
ziehen sollte. Übrigens wurden Österreich und Preußen bald darauf auch
Konkurrenten auf dem großen Werbegebiete in Südwestdeutschland. Die öster¬
reichischen Werber übten auf ihre Regierung stets einen wirksamen Druck aus,
wenn sie ihr berichteten, daß Ansiedler nach Preußen gezogen werden.

Die Einwanderung aus Preußen ist gegenüber dem gewaltigen Strom von
Ansiedlern aus Südwestdeutschland nur gering gewesen; aber immer wieder hören
wir in den achtziger Jahren von preußischen Ansiedlern. So werden schon im
Jahre 1782 mehreren Familien aus Preußisch-Schlesien Pässe zur Einwanderung
nach Galizien erteilt; darunter befinden sich mehrere Handwerker, besonders
Schuhmacher, Schneider und Zeugmacher. Mitunter werden sie unter ganz
eigentümlichen Verhältnissen genannt. So war der preußische Deserteur Ernst
August Unverzagt in Ranischau (Galizien) angesiedelt worden, wegen schlechter
Aufführung aber samt anderen sechs Familien entlassen. Nun ging er nach
Wien und versuchte hier Ansiedler, die nach Galizien ziehen wollten, davon
abzuhalten. Er wurde auf eine Anzeige des Ansieoluugskommissars Welz ver¬
haftet, bald aber mit einer Verwarnung aus dem Arrest entlassen (1783). Ein
andermal meldeten sich drei preußische Emigranten aus Wohlan (Schlesien) um
Pässe. Die österreichische Behörde hatte aber einige Bedenken "wegen ihres
guten Aussehens", ob sie zum Ackerbau taugen würden und nicht vielleicht
Emissäre wären, die andere zur Auswanderung nach Preußen veranlassen sollten.
Da sie aber versicherten, sie hätten aus Furcht vor dem Soldatenstande ihre
Wirtschaften verlassen und ihre Frauen mitgebracht, wurde ihnen die Ansiedlung
gewährt (1783). Als Kaiser Joseph im Sommer 1783 Galizien bereiste, befahl
er in seinem Handschreiben vom 30. Juni ausdrücklich, die aus Schlesien ins
Land gekommenen Ansiedler mit Häusern, Stallungen, Vieh und Gründen zu
versehen. Um diese Zeit bat der preußische Emigrant Sonnner um ein Feld
zum Anbau der Röte und um Gewährung eines Vorschusses. Ende 1783
erscheinen in Naszacowice bei Neu-Sanden, wo schon im Mittelalter zahlreiche
Deutsche wohnten*), preußische Emigranten angesiedelt. In diesem Jahre richtete
auf Veranlassung des österreichischen Gesandten in Berlin der dortige Strumpf¬
wirkermeister Johann Müller an die Wiener Regierung die Bitte, sein Gewerbe
in Wien oder Galizien treiben zu dürfen; der Gesandte hatte ihm versprochen,
daß er in Prag die ganzen Reisekosten und als Unterstützung zur Ausübung



') Kaindl, Gesch. der Deutschen in den KmP a theil In ndew I.
Preußische Ansiedler in Gstcrreich

geschaft gewöhnt. Aber das zitierte Patent Friedrichs war zur Hereinziehung
österreichischer Untertanen veröffentlicht worden. Die preußischen Werber in den
Grenzorten Galiziens lockten mit ihm die aus Galizien dahin kommenden Leute
an. Es lag also nahe, wegen des Wettbewerbes mit dem Nachbarstaate im
österreichischen Patente die Bestimmungen des preußischen nachzubilden. So
entstand das Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, das zunächst vor allem
Ansiedler aus Preußisch-Schlesien und aus dem „republikanischen Polen" herbei¬
ziehen sollte. Übrigens wurden Österreich und Preußen bald darauf auch
Konkurrenten auf dem großen Werbegebiete in Südwestdeutschland. Die öster¬
reichischen Werber übten auf ihre Regierung stets einen wirksamen Druck aus,
wenn sie ihr berichteten, daß Ansiedler nach Preußen gezogen werden.

Die Einwanderung aus Preußen ist gegenüber dem gewaltigen Strom von
Ansiedlern aus Südwestdeutschland nur gering gewesen; aber immer wieder hören
wir in den achtziger Jahren von preußischen Ansiedlern. So werden schon im
Jahre 1782 mehreren Familien aus Preußisch-Schlesien Pässe zur Einwanderung
nach Galizien erteilt; darunter befinden sich mehrere Handwerker, besonders
Schuhmacher, Schneider und Zeugmacher. Mitunter werden sie unter ganz
eigentümlichen Verhältnissen genannt. So war der preußische Deserteur Ernst
August Unverzagt in Ranischau (Galizien) angesiedelt worden, wegen schlechter
Aufführung aber samt anderen sechs Familien entlassen. Nun ging er nach
Wien und versuchte hier Ansiedler, die nach Galizien ziehen wollten, davon
abzuhalten. Er wurde auf eine Anzeige des Ansieoluugskommissars Welz ver¬
haftet, bald aber mit einer Verwarnung aus dem Arrest entlassen (1783). Ein
andermal meldeten sich drei preußische Emigranten aus Wohlan (Schlesien) um
Pässe. Die österreichische Behörde hatte aber einige Bedenken „wegen ihres
guten Aussehens", ob sie zum Ackerbau taugen würden und nicht vielleicht
Emissäre wären, die andere zur Auswanderung nach Preußen veranlassen sollten.
Da sie aber versicherten, sie hätten aus Furcht vor dem Soldatenstande ihre
Wirtschaften verlassen und ihre Frauen mitgebracht, wurde ihnen die Ansiedlung
gewährt (1783). Als Kaiser Joseph im Sommer 1783 Galizien bereiste, befahl
er in seinem Handschreiben vom 30. Juni ausdrücklich, die aus Schlesien ins
Land gekommenen Ansiedler mit Häusern, Stallungen, Vieh und Gründen zu
versehen. Um diese Zeit bat der preußische Emigrant Sonnner um ein Feld
zum Anbau der Röte und um Gewährung eines Vorschusses. Ende 1783
erscheinen in Naszacowice bei Neu-Sanden, wo schon im Mittelalter zahlreiche
Deutsche wohnten*), preußische Emigranten angesiedelt. In diesem Jahre richtete
auf Veranlassung des österreichischen Gesandten in Berlin der dortige Strumpf¬
wirkermeister Johann Müller an die Wiener Regierung die Bitte, sein Gewerbe
in Wien oder Galizien treiben zu dürfen; der Gesandte hatte ihm versprochen,
daß er in Prag die ganzen Reisekosten und als Unterstützung zur Ausübung



') Kaindl, Gesch. der Deutschen in den KmP a theil In ndew I.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0190" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316479"/>
          <fw type="header" place="top"> Preußische Ansiedler in Gstcrreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_713" prev="#ID_712"> geschaft gewöhnt. Aber das zitierte Patent Friedrichs war zur Hereinziehung<lb/>
österreichischer Untertanen veröffentlicht worden. Die preußischen Werber in den<lb/>
Grenzorten Galiziens lockten mit ihm die aus Galizien dahin kommenden Leute<lb/>
an. Es lag also nahe, wegen des Wettbewerbes mit dem Nachbarstaate im<lb/>
österreichischen Patente die Bestimmungen des preußischen nachzubilden. So<lb/>
entstand das Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, das zunächst vor allem<lb/>
Ansiedler aus Preußisch-Schlesien und aus dem &#x201E;republikanischen Polen" herbei¬<lb/>
ziehen sollte. Übrigens wurden Österreich und Preußen bald darauf auch<lb/>
Konkurrenten auf dem großen Werbegebiete in Südwestdeutschland. Die öster¬<lb/>
reichischen Werber übten auf ihre Regierung stets einen wirksamen Druck aus,<lb/>
wenn sie ihr berichteten, daß Ansiedler nach Preußen gezogen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_714" next="#ID_715"> Die Einwanderung aus Preußen ist gegenüber dem gewaltigen Strom von<lb/>
Ansiedlern aus Südwestdeutschland nur gering gewesen; aber immer wieder hören<lb/>
wir in den achtziger Jahren von preußischen Ansiedlern. So werden schon im<lb/>
Jahre 1782 mehreren Familien aus Preußisch-Schlesien Pässe zur Einwanderung<lb/>
nach Galizien erteilt; darunter befinden sich mehrere Handwerker, besonders<lb/>
Schuhmacher, Schneider und Zeugmacher. Mitunter werden sie unter ganz<lb/>
eigentümlichen Verhältnissen genannt. So war der preußische Deserteur Ernst<lb/>
August Unverzagt in Ranischau (Galizien) angesiedelt worden, wegen schlechter<lb/>
Aufführung aber samt anderen sechs Familien entlassen. Nun ging er nach<lb/>
Wien und versuchte hier Ansiedler, die nach Galizien ziehen wollten, davon<lb/>
abzuhalten. Er wurde auf eine Anzeige des Ansieoluugskommissars Welz ver¬<lb/>
haftet, bald aber mit einer Verwarnung aus dem Arrest entlassen (1783). Ein<lb/>
andermal meldeten sich drei preußische Emigranten aus Wohlan (Schlesien) um<lb/>
Pässe. Die österreichische Behörde hatte aber einige Bedenken &#x201E;wegen ihres<lb/>
guten Aussehens", ob sie zum Ackerbau taugen würden und nicht vielleicht<lb/>
Emissäre wären, die andere zur Auswanderung nach Preußen veranlassen sollten.<lb/>
Da sie aber versicherten, sie hätten aus Furcht vor dem Soldatenstande ihre<lb/>
Wirtschaften verlassen und ihre Frauen mitgebracht, wurde ihnen die Ansiedlung<lb/>
gewährt (1783). Als Kaiser Joseph im Sommer 1783 Galizien bereiste, befahl<lb/>
er in seinem Handschreiben vom 30. Juni ausdrücklich, die aus Schlesien ins<lb/>
Land gekommenen Ansiedler mit Häusern, Stallungen, Vieh und Gründen zu<lb/>
versehen. Um diese Zeit bat der preußische Emigrant Sonnner um ein Feld<lb/>
zum Anbau der Röte und um Gewährung eines Vorschusses. Ende 1783<lb/>
erscheinen in Naszacowice bei Neu-Sanden, wo schon im Mittelalter zahlreiche<lb/>
Deutsche wohnten*), preußische Emigranten angesiedelt. In diesem Jahre richtete<lb/>
auf Veranlassung des österreichischen Gesandten in Berlin der dortige Strumpf¬<lb/>
wirkermeister Johann Müller an die Wiener Regierung die Bitte, sein Gewerbe<lb/>
in Wien oder Galizien treiben zu dürfen; der Gesandte hatte ihm versprochen,<lb/>
daß er in Prag die ganzen Reisekosten und als Unterstützung zur Ausübung</p><lb/>
          <note xml:id="FID_18" place="foot"> ') Kaindl, Gesch. der Deutschen in den KmP a theil In ndew I.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0190] Preußische Ansiedler in Gstcrreich geschaft gewöhnt. Aber das zitierte Patent Friedrichs war zur Hereinziehung österreichischer Untertanen veröffentlicht worden. Die preußischen Werber in den Grenzorten Galiziens lockten mit ihm die aus Galizien dahin kommenden Leute an. Es lag also nahe, wegen des Wettbewerbes mit dem Nachbarstaate im österreichischen Patente die Bestimmungen des preußischen nachzubilden. So entstand das Ansiedlungspatent vom 17. September 1781, das zunächst vor allem Ansiedler aus Preußisch-Schlesien und aus dem „republikanischen Polen" herbei¬ ziehen sollte. Übrigens wurden Österreich und Preußen bald darauf auch Konkurrenten auf dem großen Werbegebiete in Südwestdeutschland. Die öster¬ reichischen Werber übten auf ihre Regierung stets einen wirksamen Druck aus, wenn sie ihr berichteten, daß Ansiedler nach Preußen gezogen werden. Die Einwanderung aus Preußen ist gegenüber dem gewaltigen Strom von Ansiedlern aus Südwestdeutschland nur gering gewesen; aber immer wieder hören wir in den achtziger Jahren von preußischen Ansiedlern. So werden schon im Jahre 1782 mehreren Familien aus Preußisch-Schlesien Pässe zur Einwanderung nach Galizien erteilt; darunter befinden sich mehrere Handwerker, besonders Schuhmacher, Schneider und Zeugmacher. Mitunter werden sie unter ganz eigentümlichen Verhältnissen genannt. So war der preußische Deserteur Ernst August Unverzagt in Ranischau (Galizien) angesiedelt worden, wegen schlechter Aufführung aber samt anderen sechs Familien entlassen. Nun ging er nach Wien und versuchte hier Ansiedler, die nach Galizien ziehen wollten, davon abzuhalten. Er wurde auf eine Anzeige des Ansieoluugskommissars Welz ver¬ haftet, bald aber mit einer Verwarnung aus dem Arrest entlassen (1783). Ein andermal meldeten sich drei preußische Emigranten aus Wohlan (Schlesien) um Pässe. Die österreichische Behörde hatte aber einige Bedenken „wegen ihres guten Aussehens", ob sie zum Ackerbau taugen würden und nicht vielleicht Emissäre wären, die andere zur Auswanderung nach Preußen veranlassen sollten. Da sie aber versicherten, sie hätten aus Furcht vor dem Soldatenstande ihre Wirtschaften verlassen und ihre Frauen mitgebracht, wurde ihnen die Ansiedlung gewährt (1783). Als Kaiser Joseph im Sommer 1783 Galizien bereiste, befahl er in seinem Handschreiben vom 30. Juni ausdrücklich, die aus Schlesien ins Land gekommenen Ansiedler mit Häusern, Stallungen, Vieh und Gründen zu versehen. Um diese Zeit bat der preußische Emigrant Sonnner um ein Feld zum Anbau der Röte und um Gewährung eines Vorschusses. Ende 1783 erscheinen in Naszacowice bei Neu-Sanden, wo schon im Mittelalter zahlreiche Deutsche wohnten*), preußische Emigranten angesiedelt. In diesem Jahre richtete auf Veranlassung des österreichischen Gesandten in Berlin der dortige Strumpf¬ wirkermeister Johann Müller an die Wiener Regierung die Bitte, sein Gewerbe in Wien oder Galizien treiben zu dürfen; der Gesandte hatte ihm versprochen, daß er in Prag die ganzen Reisekosten und als Unterstützung zur Ausübung ') Kaindl, Gesch. der Deutschen in den KmP a theil In ndew I.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/190
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/190>, abgerufen am 25.08.2024.