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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

Es wurden gegen die Häufung der Pfründen Bestimmungen erlassen, die mit
Klöstern unierten Pfarrereien und Kirchen sollten von Weltpriestern versehen
werden, auch zahlreiche neue Stellen wurden geschaffen.

Die besseren Elenrente unter den Vaganten bekamen so Gelegenheit, in
ein geordnetes Leben zurückzukehren, und gegen die verkommenen Existenzen,
die übrig blieben, ging man dann mit Strenge vor. In Frankreich entledigte
man sich ihrer schon in den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts für
einige Zeit durch die Bestimmung, ihnen das Haar so zu scheren, daß man
die klerikale Tonsur an ihnen nicht mehr sehe. Die Wirkung scheint kräftiger
gewesen zu sein, als man vielleicht erwartet hatte. In den nächsten fünfzig
Jahren hörte man von den Goliarden in Frankreich nichts mehr. Sie wandten
sich nach Deutschland.

Aber auch hier wurden die Aussichten immer schlechter. Streng verfuhren
vor allem die um 1260 herum in Niederdeutschland abgehaltenen Synoden.
Jede Unterstützung der wandernden Kleriker wurde verboten. Im Süden, auf
den die Vaganten nun angewiesen waren, schritt man erst gegen Ende des
Jahrhunderts zum Äußersten 1287 erließ das große Nationalkonzil von
Würzburg die Bestimmung, daß den unverbesserlichen Fahrenden die klerikalen
Vorrechte genommen und sie von den weltlichen Gerichten bestraft werden
sollten. Damals waren die Vaganten, durch die Synoden von Salzburg 1274
und Se. Pölten 1284 auch in diesen Gegenden unmöglich geworden, bereits
auf der Wanderung nach Frankreich begriffen. Schon zwei Jahre später,
1289, waren dort solche Scharen eingetroffen, daß vier Synoden gegen sie
einschritten. Auch hier sprach man allen, die ein Jahr lang Goliarden gewesen
waren und bis dahin oder auf dreimalige Aufforderung nicht auftraten, die
geistlichen Vorrechte ab. Nun war es in Frankreich mit den Goliarden end¬
gültig aus. Die letzten Neste wurden in Deutschland durch die strengen
Bestimmungen der Synoden von Se. Pölten 1294, Köln 1300, Mainz 1310
und Salzburg 1310 vernichtet.

Mit scharfen Schnitten hatte die Kirche diese faulen Glieder von ihrem
Leibe getrennt. Wer sich nicht in geordnete Verhältnisse zurückfinden konnte,
dem blieb nichts mehr übrig, als auf den lange und hartnäckig festgehaltenen
geistlichen Charakter zu verzichten. Mit der Sonderexistenz klerikaler Fahrenden
war es vorbei.




Die Vaganten

Es wurden gegen die Häufung der Pfründen Bestimmungen erlassen, die mit
Klöstern unierten Pfarrereien und Kirchen sollten von Weltpriestern versehen
werden, auch zahlreiche neue Stellen wurden geschaffen.

Die besseren Elenrente unter den Vaganten bekamen so Gelegenheit, in
ein geordnetes Leben zurückzukehren, und gegen die verkommenen Existenzen,
die übrig blieben, ging man dann mit Strenge vor. In Frankreich entledigte
man sich ihrer schon in den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts für
einige Zeit durch die Bestimmung, ihnen das Haar so zu scheren, daß man
die klerikale Tonsur an ihnen nicht mehr sehe. Die Wirkung scheint kräftiger
gewesen zu sein, als man vielleicht erwartet hatte. In den nächsten fünfzig
Jahren hörte man von den Goliarden in Frankreich nichts mehr. Sie wandten
sich nach Deutschland.

Aber auch hier wurden die Aussichten immer schlechter. Streng verfuhren
vor allem die um 1260 herum in Niederdeutschland abgehaltenen Synoden.
Jede Unterstützung der wandernden Kleriker wurde verboten. Im Süden, auf
den die Vaganten nun angewiesen waren, schritt man erst gegen Ende des
Jahrhunderts zum Äußersten 1287 erließ das große Nationalkonzil von
Würzburg die Bestimmung, daß den unverbesserlichen Fahrenden die klerikalen
Vorrechte genommen und sie von den weltlichen Gerichten bestraft werden
sollten. Damals waren die Vaganten, durch die Synoden von Salzburg 1274
und Se. Pölten 1284 auch in diesen Gegenden unmöglich geworden, bereits
auf der Wanderung nach Frankreich begriffen. Schon zwei Jahre später,
1289, waren dort solche Scharen eingetroffen, daß vier Synoden gegen sie
einschritten. Auch hier sprach man allen, die ein Jahr lang Goliarden gewesen
waren und bis dahin oder auf dreimalige Aufforderung nicht auftraten, die
geistlichen Vorrechte ab. Nun war es in Frankreich mit den Goliarden end¬
gültig aus. Die letzten Neste wurden in Deutschland durch die strengen
Bestimmungen der Synoden von Se. Pölten 1294, Köln 1300, Mainz 1310
und Salzburg 1310 vernichtet.

Mit scharfen Schnitten hatte die Kirche diese faulen Glieder von ihrem
Leibe getrennt. Wer sich nicht in geordnete Verhältnisse zurückfinden konnte,
dem blieb nichts mehr übrig, als auf den lange und hartnäckig festgehaltenen
geistlichen Charakter zu verzichten. Mit der Sonderexistenz klerikaler Fahrenden
war es vorbei.




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[0186] Die Vaganten Es wurden gegen die Häufung der Pfründen Bestimmungen erlassen, die mit Klöstern unierten Pfarrereien und Kirchen sollten von Weltpriestern versehen werden, auch zahlreiche neue Stellen wurden geschaffen. Die besseren Elenrente unter den Vaganten bekamen so Gelegenheit, in ein geordnetes Leben zurückzukehren, und gegen die verkommenen Existenzen, die übrig blieben, ging man dann mit Strenge vor. In Frankreich entledigte man sich ihrer schon in den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts für einige Zeit durch die Bestimmung, ihnen das Haar so zu scheren, daß man die klerikale Tonsur an ihnen nicht mehr sehe. Die Wirkung scheint kräftiger gewesen zu sein, als man vielleicht erwartet hatte. In den nächsten fünfzig Jahren hörte man von den Goliarden in Frankreich nichts mehr. Sie wandten sich nach Deutschland. Aber auch hier wurden die Aussichten immer schlechter. Streng verfuhren vor allem die um 1260 herum in Niederdeutschland abgehaltenen Synoden. Jede Unterstützung der wandernden Kleriker wurde verboten. Im Süden, auf den die Vaganten nun angewiesen waren, schritt man erst gegen Ende des Jahrhunderts zum Äußersten 1287 erließ das große Nationalkonzil von Würzburg die Bestimmung, daß den unverbesserlichen Fahrenden die klerikalen Vorrechte genommen und sie von den weltlichen Gerichten bestraft werden sollten. Damals waren die Vaganten, durch die Synoden von Salzburg 1274 und Se. Pölten 1284 auch in diesen Gegenden unmöglich geworden, bereits auf der Wanderung nach Frankreich begriffen. Schon zwei Jahre später, 1289, waren dort solche Scharen eingetroffen, daß vier Synoden gegen sie einschritten. Auch hier sprach man allen, die ein Jahr lang Goliarden gewesen waren und bis dahin oder auf dreimalige Aufforderung nicht auftraten, die geistlichen Vorrechte ab. Nun war es in Frankreich mit den Goliarden end¬ gültig aus. Die letzten Neste wurden in Deutschland durch die strengen Bestimmungen der Synoden von Se. Pölten 1294, Köln 1300, Mainz 1310 und Salzburg 1310 vernichtet. Mit scharfen Schnitten hatte die Kirche diese faulen Glieder von ihrem Leibe getrennt. Wer sich nicht in geordnete Verhältnisse zurückfinden konnte, dem blieb nichts mehr übrig, als auf den lange und hartnäckig festgehaltenen geistlichen Charakter zu verzichten. Mit der Sonderexistenz klerikaler Fahrenden war es vorbei.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/186>, abgerufen am 23.07.2024.