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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

In der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts waren die Vaganren
schon so verwahrlost, daß sie größtenteils gar nicht mehr auf ein Amt
rechneten, sondern das ungebundene Umherziehen vorzogen. In unanständigen
Anzüge wanderten sie daher, an den Türen der Pfarrhäuser bettelnd, oder
drangen auch haufenweise, mit Rapieren, Schwertern und Hellebarden bewaffnet
ein und erzwangen mit Schimpfen und Gewalttat das Geld. Das Erbeutete
wurde gemeinsam verjubelt und bei Würfeln und Karten oft genug auch das
letzte Gewand verloren. Mancher rief dann, vor Kälte mit den Zähnen
klappernd: "Schund und Wehe, was haben wir für einen strengen Orden!''
Getrunken und gespielt wurde so lange, bis Zunge und Füße nicht mehr
wollten. Dann schwankte man auf die Straße und schlief, wo man eben
hinfiel, im schmutzigen Straßengraben oder in den Brennesseln an: Wege.
Eine Salzburger Synode von 1292 schildert ihr Treiben kurz und bündig so:
"Sie gehen unanständig daher, liegen in den Backhäusern (wo sich Vagabunden
zu wärmen pflegten), besuchen Kneipen, Spiele und Dirnen", und in dem Buch
der Rügen (1276) heißt der Abschnitt über die Lotterpfaffen: "Zu den Lotter¬
pfaffen solltet ihr sprechen: Ihr unreinen Affen, wie mögt ihr euer Leben,
das doch Gott euch gegeben, nur so vertun, da ihr nur in Üppigkeit dahinlebt
und in Schlechtigkeit! Wäre doch euer elender Orden nie geboren worden!
Denn lästerlich, recht wie Schächer geht ihr daher, und eurer Bosheit ist so
viel, daß Gott nichts mehr von euch wissen will. Und sogar dem bösen
Feinde ist es arg, wenn ihr zu ihm kommt. Auch er hielte sich lieber an
ehrbare Leute. Darum geht eilends, ehe es zu spät ist, und dringt in das
Höllentor, ehe euch auch das versperrt wird. Wenn ich euch aber ernstlich raten
soll, wie mir Gott befiehlt, so bekehret euch und ehret Gott künftig besser, als
ihr bisher getan, denn wohl erinnere ich mich des Wortes, das Gott liebend
zu uns sprach, da er uns in Nöten sah: Nicht des Sünders Tod will ich,
sondern daß er lebe und sich bekehre. Tut ihr das uicht, so weiß ich wohl
den Lohn, den man euch geben soll."

Da das Ansehen des Klerus so aufs schwerste geschädigt wurde, sah sich
die Kirche zur Abhilfe genötigt, zumal da die Vaganten, wenn sie sich auch
in ihrem Leben von den verachteten Gauklern und Spielleuten nicht mehr
unterschieden, an den Vorrechten des geistlichen Standes eifrig festhielten. Zum
Einschreiten zwangen auch die Verhöhnung der kirchlichen Bräuche und die
Entweihung des Heiligsten. Man hatte die Vaganten gelegentlich bei kirchlichen
Feiern, Primizen und Kirchweihen zum Gesänge herangezogen. Sie benutzten
die Gelegenheit, um bei der heiligen Handlung leichtfertige Lieder zu singen.
Auf den Dörfern zeigten sie falsche Reliquien und erteilten Ablässe, hielten
Predigten und Prozessionen, lasen in Dörfern, die keinen eigenen Geistlichen
hatten, ohne geweiht zu sein, Messen und benutzten den Altar zum Würfelspiel.

Die Maßregeln der Kirche hatten eine doppelte Richtung. Zuerst
suchte sie die Mißstände, die das Vagantentum hervorgerufen hatten, zu beseitigen.


Die Vaganten

In der zweiten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts waren die Vaganren
schon so verwahrlost, daß sie größtenteils gar nicht mehr auf ein Amt
rechneten, sondern das ungebundene Umherziehen vorzogen. In unanständigen
Anzüge wanderten sie daher, an den Türen der Pfarrhäuser bettelnd, oder
drangen auch haufenweise, mit Rapieren, Schwertern und Hellebarden bewaffnet
ein und erzwangen mit Schimpfen und Gewalttat das Geld. Das Erbeutete
wurde gemeinsam verjubelt und bei Würfeln und Karten oft genug auch das
letzte Gewand verloren. Mancher rief dann, vor Kälte mit den Zähnen
klappernd: „Schund und Wehe, was haben wir für einen strengen Orden!''
Getrunken und gespielt wurde so lange, bis Zunge und Füße nicht mehr
wollten. Dann schwankte man auf die Straße und schlief, wo man eben
hinfiel, im schmutzigen Straßengraben oder in den Brennesseln an: Wege.
Eine Salzburger Synode von 1292 schildert ihr Treiben kurz und bündig so:
„Sie gehen unanständig daher, liegen in den Backhäusern (wo sich Vagabunden
zu wärmen pflegten), besuchen Kneipen, Spiele und Dirnen", und in dem Buch
der Rügen (1276) heißt der Abschnitt über die Lotterpfaffen: „Zu den Lotter¬
pfaffen solltet ihr sprechen: Ihr unreinen Affen, wie mögt ihr euer Leben,
das doch Gott euch gegeben, nur so vertun, da ihr nur in Üppigkeit dahinlebt
und in Schlechtigkeit! Wäre doch euer elender Orden nie geboren worden!
Denn lästerlich, recht wie Schächer geht ihr daher, und eurer Bosheit ist so
viel, daß Gott nichts mehr von euch wissen will. Und sogar dem bösen
Feinde ist es arg, wenn ihr zu ihm kommt. Auch er hielte sich lieber an
ehrbare Leute. Darum geht eilends, ehe es zu spät ist, und dringt in das
Höllentor, ehe euch auch das versperrt wird. Wenn ich euch aber ernstlich raten
soll, wie mir Gott befiehlt, so bekehret euch und ehret Gott künftig besser, als
ihr bisher getan, denn wohl erinnere ich mich des Wortes, das Gott liebend
zu uns sprach, da er uns in Nöten sah: Nicht des Sünders Tod will ich,
sondern daß er lebe und sich bekehre. Tut ihr das uicht, so weiß ich wohl
den Lohn, den man euch geben soll."

Da das Ansehen des Klerus so aufs schwerste geschädigt wurde, sah sich
die Kirche zur Abhilfe genötigt, zumal da die Vaganten, wenn sie sich auch
in ihrem Leben von den verachteten Gauklern und Spielleuten nicht mehr
unterschieden, an den Vorrechten des geistlichen Standes eifrig festhielten. Zum
Einschreiten zwangen auch die Verhöhnung der kirchlichen Bräuche und die
Entweihung des Heiligsten. Man hatte die Vaganten gelegentlich bei kirchlichen
Feiern, Primizen und Kirchweihen zum Gesänge herangezogen. Sie benutzten
die Gelegenheit, um bei der heiligen Handlung leichtfertige Lieder zu singen.
Auf den Dörfern zeigten sie falsche Reliquien und erteilten Ablässe, hielten
Predigten und Prozessionen, lasen in Dörfern, die keinen eigenen Geistlichen
hatten, ohne geweiht zu sein, Messen und benutzten den Altar zum Würfelspiel.

Die Maßregeln der Kirche hatten eine doppelte Richtung. Zuerst
suchte sie die Mißstände, die das Vagantentum hervorgerufen hatten, zu beseitigen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/185>, abgerufen am 23.07.2024.