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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

Häuser das Publikum abgaben. Die wichtigste Sammlung von ihnen befindet
sich jetzt in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek. Sie stammt aus dem
Kloster Benediktbeuern, und daher hat der erste Herausgeber, Schmeller, den
Vagantenliedern den Namen Larmirm Lurana gegeben. Diese Handschrift
enthält auch etwa ein halbes Hundert deutsche Lieder, aber die stammen eben
nicht von den fahrenden Schülern. Wahrscheinlich hat ein geistlicher Herr hier
aufzeichnen lassen, was er von fahrenden Leuten (auch weltlichen Sängern) zu
hören liebte. Die Handschrift ist um 1225 von verschiedenen Schreibern nach
einem festen Plane angefertigt.

In schier unerschöpflichen Variationen singen die Vaganten von Lust
und Leid des Lebens und der Liebe. Liebeslieder, Spiellieder, Bettellieder,
aber auch ernste Strophen und Schilderungen ihres Elends stehen bunt durch¬
einander.

Die Minnelieder nehmen schon durch ihre Sprache eine eigenartige
Stellung ein. Klingt in der Volkssprache das Wort des Dichters unmittelbar
von Herz zu Herzen, so muß sich der lateinische Poet erst an den Verstand
wenden, der das fremde Wort in die Muttersprache übersetzt. Anderseits macht
ihn die fremde Sprache derber, deutlicher, rücksichtsloser im Ausdruck. Dazu
kam die rauhere Lebensweise und Lebensauffassung der Vaganten. Von der
Schwärmerei, in die die Minnepoesie geradezu ausartete, war der fahrende
Schüler weit entfernt. Zwar finden sich auch hier einige Lieder von großer
Zartheit und feiner Empfindung, wird auch hier gelegentlich von Lenz und
Liebe, von den Blumen auf dem Anger und den Rosen auf den Wangen, der
milden Maiensonne und den strahlenden Augen der Liebsten, von: Vogelschall
im Hag und der holden Stimme des trauten Mädchens gesungen, die Mehrzahl
der Lieder aber ist derb, sinnlich, ja zynisch.

Unübertroffen sind die Vaganten dagegen in den Trink- und Spiel¬
liedern. Feuchtfröhlicher Humor durchweht z. B. das Kneiplied*):


In tsberna qusn<Zo sumus,
I^on cursmus, czuicZ sit munus.

So wir sitzen in den Schänken,
Kann uns Erdennot nicht kränken;
Nein, da gilt es Kurzweil treiben,
Nlso our's und soll es bleiben.
Was getrieben la der Welt wird,
Wo geschenkt für bares Geld wird,
Daseist eine wichtige Frage,
Drum vernehmt, was ich euch sage.
Hier ein Spiel, ein süss daneben,
Dort ein wahres Heidenlcben,
Wo des Spieles wird gepflogen,
Sieht sich mancher ausgezogen.


") Übersetzung von Ludwig Laistner.
Die Vaganten

Häuser das Publikum abgaben. Die wichtigste Sammlung von ihnen befindet
sich jetzt in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek. Sie stammt aus dem
Kloster Benediktbeuern, und daher hat der erste Herausgeber, Schmeller, den
Vagantenliedern den Namen Larmirm Lurana gegeben. Diese Handschrift
enthält auch etwa ein halbes Hundert deutsche Lieder, aber die stammen eben
nicht von den fahrenden Schülern. Wahrscheinlich hat ein geistlicher Herr hier
aufzeichnen lassen, was er von fahrenden Leuten (auch weltlichen Sängern) zu
hören liebte. Die Handschrift ist um 1225 von verschiedenen Schreibern nach
einem festen Plane angefertigt.

In schier unerschöpflichen Variationen singen die Vaganten von Lust
und Leid des Lebens und der Liebe. Liebeslieder, Spiellieder, Bettellieder,
aber auch ernste Strophen und Schilderungen ihres Elends stehen bunt durch¬
einander.

Die Minnelieder nehmen schon durch ihre Sprache eine eigenartige
Stellung ein. Klingt in der Volkssprache das Wort des Dichters unmittelbar
von Herz zu Herzen, so muß sich der lateinische Poet erst an den Verstand
wenden, der das fremde Wort in die Muttersprache übersetzt. Anderseits macht
ihn die fremde Sprache derber, deutlicher, rücksichtsloser im Ausdruck. Dazu
kam die rauhere Lebensweise und Lebensauffassung der Vaganten. Von der
Schwärmerei, in die die Minnepoesie geradezu ausartete, war der fahrende
Schüler weit entfernt. Zwar finden sich auch hier einige Lieder von großer
Zartheit und feiner Empfindung, wird auch hier gelegentlich von Lenz und
Liebe, von den Blumen auf dem Anger und den Rosen auf den Wangen, der
milden Maiensonne und den strahlenden Augen der Liebsten, von: Vogelschall
im Hag und der holden Stimme des trauten Mädchens gesungen, die Mehrzahl
der Lieder aber ist derb, sinnlich, ja zynisch.

Unübertroffen sind die Vaganten dagegen in den Trink- und Spiel¬
liedern. Feuchtfröhlicher Humor durchweht z. B. das Kneiplied*):


In tsberna qusn<Zo sumus,
I^on cursmus, czuicZ sit munus.

So wir sitzen in den Schänken,
Kann uns Erdennot nicht kränken;
Nein, da gilt es Kurzweil treiben,
Nlso our's und soll es bleiben.
Was getrieben la der Welt wird,
Wo geschenkt für bares Geld wird,
Daseist eine wichtige Frage,
Drum vernehmt, was ich euch sage.
Hier ein Spiel, ein süss daneben,
Dort ein wahres Heidenlcben,
Wo des Spieles wird gepflogen,
Sieht sich mancher ausgezogen.


") Übersetzung von Ludwig Laistner.
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[0180] Die Vaganten Häuser das Publikum abgaben. Die wichtigste Sammlung von ihnen befindet sich jetzt in der Münchener Hof- und Staatsbibliothek. Sie stammt aus dem Kloster Benediktbeuern, und daher hat der erste Herausgeber, Schmeller, den Vagantenliedern den Namen Larmirm Lurana gegeben. Diese Handschrift enthält auch etwa ein halbes Hundert deutsche Lieder, aber die stammen eben nicht von den fahrenden Schülern. Wahrscheinlich hat ein geistlicher Herr hier aufzeichnen lassen, was er von fahrenden Leuten (auch weltlichen Sängern) zu hören liebte. Die Handschrift ist um 1225 von verschiedenen Schreibern nach einem festen Plane angefertigt. In schier unerschöpflichen Variationen singen die Vaganten von Lust und Leid des Lebens und der Liebe. Liebeslieder, Spiellieder, Bettellieder, aber auch ernste Strophen und Schilderungen ihres Elends stehen bunt durch¬ einander. Die Minnelieder nehmen schon durch ihre Sprache eine eigenartige Stellung ein. Klingt in der Volkssprache das Wort des Dichters unmittelbar von Herz zu Herzen, so muß sich der lateinische Poet erst an den Verstand wenden, der das fremde Wort in die Muttersprache übersetzt. Anderseits macht ihn die fremde Sprache derber, deutlicher, rücksichtsloser im Ausdruck. Dazu kam die rauhere Lebensweise und Lebensauffassung der Vaganten. Von der Schwärmerei, in die die Minnepoesie geradezu ausartete, war der fahrende Schüler weit entfernt. Zwar finden sich auch hier einige Lieder von großer Zartheit und feiner Empfindung, wird auch hier gelegentlich von Lenz und Liebe, von den Blumen auf dem Anger und den Rosen auf den Wangen, der milden Maiensonne und den strahlenden Augen der Liebsten, von: Vogelschall im Hag und der holden Stimme des trauten Mädchens gesungen, die Mehrzahl der Lieder aber ist derb, sinnlich, ja zynisch. Unübertroffen sind die Vaganten dagegen in den Trink- und Spiel¬ liedern. Feuchtfröhlicher Humor durchweht z. B. das Kneiplied*): In tsberna qusn<Zo sumus, I^on cursmus, czuicZ sit munus. So wir sitzen in den Schänken, Kann uns Erdennot nicht kränken; Nein, da gilt es Kurzweil treiben, Nlso our's und soll es bleiben. Was getrieben la der Welt wird, Wo geschenkt für bares Geld wird, Daseist eine wichtige Frage, Drum vernehmt, was ich euch sage. Hier ein Spiel, ein süss daneben, Dort ein wahres Heidenlcben, Wo des Spieles wird gepflogen, Sieht sich mancher ausgezogen. ") Übersetzung von Ludwig Laistner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/180>, abgerufen am 23.07.2024.