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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Die Vaganten

Musikstunden, taten eine Schule auf, zogen als Lehrer umher oder verrichteten
gegen täglichen Lohn bei den berühmten Gelehrten Dienstleistungen.

Die große Mehrzahl aber, die keine Unterkunft fand oder sie wieder verlor,
ging dazu über, bei den Standesgenossen, den Geistlichen, Unterstützung zu
suchen. Denn als Schüler und weil sie oft die niederen Weihen hatten,
rechneten sie zum Klerus, wenn sie auch keine Geistlichen waren. So kam das
Wandern auf. Dichtend und singend, die lateinischen Lieder, die sie aus den
Schulen gedichtet und gehört, vortragend und neue dazu verfertigend, zogen
die jungen Kleriker in alle Lande. Die glänzende Aufnahme, die weltliche
Sänger an den weltlichen Höfen fanden, lockte sie, bei geistlichen Herren, an
den Höfen der Bischöfe, in den Klöstern, bei den Pfarrern ebenso aufzutreten
und durch Dichtung und Vortrag von Liedern ihren Unterhalt zu suchen.
Dies Wesen des Vagantentums finden wir um die Mitte des zwölften Jahr¬
hunderts ausgebildet: stellenlose Kleriker, die dichtend und singend
umherziehen, bilden den Kern der Vaganten. Allerlei andere Leutchen
schlössen sich ihnen an: Mönche, die ihre Unbotmäßigkeit auf die Landstraße
warf, Priester, die mit dein Zölibat in Konflikt kamen, Vikare, die ihre Stelle
verloren hatten usw. Das Bundeslied spricht sich über diese bunte Zusammen¬
setzung eingehend genug aus").

Wir sind an Barmherzigkeit
Echte Religiösen;
Denn wir nehmen alles auf,
Kleine samt den Großen:
Nehmen auf den reichen Mann,
Wie den arm' und bloßen,
Den die frommen Klosterherrn
Von der Schwelle stoßen.
Nehmen ferner auf den Mönch
Mit rasierten Haaren,
Pfarrer samt der Hauserin
In gesetzten Jahren,
Lehrer mit der ganzen Schul',
Herren in Tnlaren,
Einen Schüler doppelt gern,
Fehlt's ihm nicht am Bären.
Für Gerechte ist der Bund
Wie für Ungerechte,
Starke, Schmucke nehmen wir,
Nehmen Lahn' und Schlechte,
Juqendkrttftiq Blühende,
Alterslastgeschwächte,
Die mit frostigen Gemüt
Und Fran Benus' Knechte.


*) Übersetzung bon Ludwig Laistner.
Die Vaganten

Musikstunden, taten eine Schule auf, zogen als Lehrer umher oder verrichteten
gegen täglichen Lohn bei den berühmten Gelehrten Dienstleistungen.

Die große Mehrzahl aber, die keine Unterkunft fand oder sie wieder verlor,
ging dazu über, bei den Standesgenossen, den Geistlichen, Unterstützung zu
suchen. Denn als Schüler und weil sie oft die niederen Weihen hatten,
rechneten sie zum Klerus, wenn sie auch keine Geistlichen waren. So kam das
Wandern auf. Dichtend und singend, die lateinischen Lieder, die sie aus den
Schulen gedichtet und gehört, vortragend und neue dazu verfertigend, zogen
die jungen Kleriker in alle Lande. Die glänzende Aufnahme, die weltliche
Sänger an den weltlichen Höfen fanden, lockte sie, bei geistlichen Herren, an
den Höfen der Bischöfe, in den Klöstern, bei den Pfarrern ebenso aufzutreten
und durch Dichtung und Vortrag von Liedern ihren Unterhalt zu suchen.
Dies Wesen des Vagantentums finden wir um die Mitte des zwölften Jahr¬
hunderts ausgebildet: stellenlose Kleriker, die dichtend und singend
umherziehen, bilden den Kern der Vaganten. Allerlei andere Leutchen
schlössen sich ihnen an: Mönche, die ihre Unbotmäßigkeit auf die Landstraße
warf, Priester, die mit dein Zölibat in Konflikt kamen, Vikare, die ihre Stelle
verloren hatten usw. Das Bundeslied spricht sich über diese bunte Zusammen¬
setzung eingehend genug aus").

Wir sind an Barmherzigkeit
Echte Religiösen;
Denn wir nehmen alles auf,
Kleine samt den Großen:
Nehmen auf den reichen Mann,
Wie den arm' und bloßen,
Den die frommen Klosterherrn
Von der Schwelle stoßen.
Nehmen ferner auf den Mönch
Mit rasierten Haaren,
Pfarrer samt der Hauserin
In gesetzten Jahren,
Lehrer mit der ganzen Schul',
Herren in Tnlaren,
Einen Schüler doppelt gern,
Fehlt's ihm nicht am Bären.
Für Gerechte ist der Bund
Wie für Ungerechte,
Starke, Schmucke nehmen wir,
Nehmen Lahn' und Schlechte,
Juqendkrttftiq Blühende,
Alterslastgeschwächte,
Die mit frostigen Gemüt
Und Fran Benus' Knechte.


*) Übersetzung bon Ludwig Laistner.
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[0176] Die Vaganten Musikstunden, taten eine Schule auf, zogen als Lehrer umher oder verrichteten gegen täglichen Lohn bei den berühmten Gelehrten Dienstleistungen. Die große Mehrzahl aber, die keine Unterkunft fand oder sie wieder verlor, ging dazu über, bei den Standesgenossen, den Geistlichen, Unterstützung zu suchen. Denn als Schüler und weil sie oft die niederen Weihen hatten, rechneten sie zum Klerus, wenn sie auch keine Geistlichen waren. So kam das Wandern auf. Dichtend und singend, die lateinischen Lieder, die sie aus den Schulen gedichtet und gehört, vortragend und neue dazu verfertigend, zogen die jungen Kleriker in alle Lande. Die glänzende Aufnahme, die weltliche Sänger an den weltlichen Höfen fanden, lockte sie, bei geistlichen Herren, an den Höfen der Bischöfe, in den Klöstern, bei den Pfarrern ebenso aufzutreten und durch Dichtung und Vortrag von Liedern ihren Unterhalt zu suchen. Dies Wesen des Vagantentums finden wir um die Mitte des zwölften Jahr¬ hunderts ausgebildet: stellenlose Kleriker, die dichtend und singend umherziehen, bilden den Kern der Vaganten. Allerlei andere Leutchen schlössen sich ihnen an: Mönche, die ihre Unbotmäßigkeit auf die Landstraße warf, Priester, die mit dein Zölibat in Konflikt kamen, Vikare, die ihre Stelle verloren hatten usw. Das Bundeslied spricht sich über diese bunte Zusammen¬ setzung eingehend genug aus"). Wir sind an Barmherzigkeit Echte Religiösen; Denn wir nehmen alles auf, Kleine samt den Großen: Nehmen auf den reichen Mann, Wie den arm' und bloßen, Den die frommen Klosterherrn Von der Schwelle stoßen. Nehmen ferner auf den Mönch Mit rasierten Haaren, Pfarrer samt der Hauserin In gesetzten Jahren, Lehrer mit der ganzen Schul', Herren in Tnlaren, Einen Schüler doppelt gern, Fehlt's ihm nicht am Bären. Für Gerechte ist der Bund Wie für Ungerechte, Starke, Schmucke nehmen wir, Nehmen Lahn' und Schlechte, Juqendkrttftiq Blühende, Alterslastgeschwächte, Die mit frostigen Gemüt Und Fran Benus' Knechte. *) Übersetzung bon Ludwig Laistner.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/176>, abgerufen am 03.07.2024.