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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

Vurschenbnnd" (ca. 25 Burschenschafter). Es gibt wohl heute keine Burschen¬
schaft mehr, die uicht mehrmals im Semester "wissenschaftliche Abende" abhält,
an denen Vorträge über sozialwissenschaftliche Themata gehalten werden. Viele
veranstalten auch Besichtigungen. Schon diese geringe Beschäftigung, mag sie
auch oft an Systemlosigkeit leiden, ist außerordentlich viel wert; denn sie weckt
das Interesse der Mitglieder an den sozialen Fragen, und ist erst einmal das
Interesse wachgerufen, so kommt eine eindringende Beschäftigung vou selbst.

Schon diese kurze Skizze möge dem Leser die Überzeugung verschaffen, daß
das akademische Leben der Gegenwart dem jungen Studenten vielfache Gelegen¬
heit gibt, sich über soziale Probleme Aufklärung zu verschaffen und auch praktisch
sozial tätig zu sein. Es steht zu hoffen, daß immer mehr Studenten diese
Gelegenheit ergreifen werden; denn nur so kann ein Geschlecht heranwachsen,
das geschaffen ist, vermittelnd in den sozialen Kampf einzugreifen. Denn soziale
Arbeit erzeugt soziales Verständnis und das ist uns vor allem nötig.

Mehr als je gelten grade auch hier die Worte Schillers an die Jenenser
Studenten bei seiner Antrittsvorlesung: "Ein edles Verlangen muß in uns
entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit,
das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die Folgewelt
wieder abgeben müssen, auch aus unseren Mitteln einen Beitrag zu legen und
an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet,
unser suchendes Dasein zu befestigen."




Schloß Stolper und die Reichsgräfin von (Löset
Dr. Hans poeschel von
I.

eilige Stunden östlich von Dresden erheben sich auf einem Sockel
von Basaltfelsen die Ruinen der ehemaligen Feste Stolper. Schon
früh hatten die Meißner Bischöfe ihre Hand auf diesen land¬
beherrschenden Punkt gelegt. Ein rohes Holzkastell im Urwalde
fanden sie vor, sie schufen es in ein prächtiges Bergschloß um
und trugen von hier aus die Kultur weit ins Land hinein. Viele von ihnen
residierten lieber auf diesem entlegenen Sitze als daheim bei ihrem widerhaarigen
Kapitel auf der Albrechtsburg. So namentlich in der Reformationszeit. Bischof
Johannes der Sechste (seit 1490), ein kluger, energischer, in kirchlichen Dingen
liberaler Herr, erwählte Stolper zu seinein Lieblingsaufenthalt. Die Chroniken


Schloß Stolper und die Reichsgräfin von Löset

Vurschenbnnd" (ca. 25 Burschenschafter). Es gibt wohl heute keine Burschen¬
schaft mehr, die uicht mehrmals im Semester „wissenschaftliche Abende" abhält,
an denen Vorträge über sozialwissenschaftliche Themata gehalten werden. Viele
veranstalten auch Besichtigungen. Schon diese geringe Beschäftigung, mag sie
auch oft an Systemlosigkeit leiden, ist außerordentlich viel wert; denn sie weckt
das Interesse der Mitglieder an den sozialen Fragen, und ist erst einmal das
Interesse wachgerufen, so kommt eine eindringende Beschäftigung vou selbst.

Schon diese kurze Skizze möge dem Leser die Überzeugung verschaffen, daß
das akademische Leben der Gegenwart dem jungen Studenten vielfache Gelegen¬
heit gibt, sich über soziale Probleme Aufklärung zu verschaffen und auch praktisch
sozial tätig zu sein. Es steht zu hoffen, daß immer mehr Studenten diese
Gelegenheit ergreifen werden; denn nur so kann ein Geschlecht heranwachsen,
das geschaffen ist, vermittelnd in den sozialen Kampf einzugreifen. Denn soziale
Arbeit erzeugt soziales Verständnis und das ist uns vor allem nötig.

Mehr als je gelten grade auch hier die Worte Schillers an die Jenenser
Studenten bei seiner Antrittsvorlesung: „Ein edles Verlangen muß in uns
entglühen, zu dem reichen Vermächtnis von Wahrheit, Sittlichkeit und Freiheit,
das wir von der Vorwelt überkamen und reich vermehrt an die Folgewelt
wieder abgeben müssen, auch aus unseren Mitteln einen Beitrag zu legen und
an dieser unvergänglichen Kette, die durch alle Menschengeschlechter sich windet,
unser suchendes Dasein zu befestigen."




Schloß Stolper und die Reichsgräfin von (Löset
Dr. Hans poeschel von
I.

eilige Stunden östlich von Dresden erheben sich auf einem Sockel
von Basaltfelsen die Ruinen der ehemaligen Feste Stolper. Schon
früh hatten die Meißner Bischöfe ihre Hand auf diesen land¬
beherrschenden Punkt gelegt. Ein rohes Holzkastell im Urwalde
fanden sie vor, sie schufen es in ein prächtiges Bergschloß um
und trugen von hier aus die Kultur weit ins Land hinein. Viele von ihnen
residierten lieber auf diesem entlegenen Sitze als daheim bei ihrem widerhaarigen
Kapitel auf der Albrechtsburg. So namentlich in der Reformationszeit. Bischof
Johannes der Sechste (seit 1490), ein kluger, energischer, in kirchlichen Dingen
liberaler Herr, erwählte Stolper zu seinein Lieblingsaufenthalt. Die Chroniken


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/17>, abgerufen am 23.07.2024.