Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches dem, was sie zufällig zusammenführt. Man begegnet immer noch der alten Prüfen wir also unbefangen, was es mit dem erwähnten Vierbund auf sich Maßgebliches und Unmaßgebliches dem, was sie zufällig zusammenführt. Man begegnet immer noch der alten Prüfen wir also unbefangen, was es mit dem erwähnten Vierbund auf sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0161" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316450"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_622" prev="#ID_621"> dem, was sie zufällig zusammenführt. Man begegnet immer noch der alten<lb/> irrtümlichen Auffassung von der Einkreisungspolitik König Eduards des Siebenten,<lb/> jener Auffassung, die wir hier stets als unrichtig bekämpft haben. Diese Ein¬<lb/> kreisungspolitik war für die englische Staatsleitung niemals Selbstzweck, sondern<lb/> der Vorspann, mit dessen Hilfe man eine Reihe von ganz bestimmt zu formu¬<lb/> lierenden, rein britischen Interessen unter Dach und Fach zu bringen suchte.<lb/> Darüber hinaus ist sie auch tatsächlich niemals wirksam gewesen, und wenn die<lb/> englische Politik wirklich ganz ernsthaft die Bekämpfung Deutscklcmds durch eine<lb/> Vereinigung aller außerdeutschen Interessen in Europa zum Grundgedanken ihrer<lb/> Tätigkeit hätte machen wollen, so wäre sie damit noch viel ärger gescheitert, als<lb/> sie in der Tat scheiterte, sobald sie den Versuch machte, die Festigkeit ihrer „Erdeulen"<lb/> an der Orientpolitik zu erproben.</p><lb/> <p xml:id="ID_623"> Prüfen wir also unbefangen, was es mit dem erwähnten Vierbund auf sich<lb/> hat. England hat mit Japan unter ganz bestimmten Leitgedanken, die mit der<lb/> britischen Weltstellung zusammenhängen, ein Bündnis geschlossen. Es ist ebenso<lb/> mit Frankreich — wiederum auf bestimmten Grundlagen ganz andrer Art — in<lb/> ein enges Freundschaftsverhältnis mit bestimmten Verträgen getreten. Es hat sich<lb/> endlich mit Rußland über asiatische Fragen verständigt, aber erst nachdem Rußland<lb/> durch Japan nicht ohne englische Mitwirkung so weit gelähmt und zurückgedrängt<lb/> wordeu war, daß das alte Verhältnis zwischen den beiden asiatischen Rivalen<lb/> Rußland und England nicht mehr bestand. Wenn nun Rußland und Japan zu<lb/> einer Verständigung gelangt sind, so erscheint der Ring dieser vier Mächte voll¬<lb/> ständig geschlossen, und gewiß wird jede einzelne dieser Mächte die Freundschaften<lb/> ihrer Freunde benutzen, um bei guter Gelegenheit Vorteile herauszuschlagen. Aber<lb/> besteht zwischen diesen Mächten wirklich ein gemeinsames Interesse, das alle vier<lb/> an diesen Ring bindet? Es wäre interessant, wenn jemand so etwas heraus¬<lb/> zufinden vermöchte. England hat sein jetziges, ihm allerdings höchst bequemes<lb/> Verhältnis zu Rußland erst gewonnen, als diese Macht durch den Gegensatz zu<lb/> Japan genügend zurückgedrängt worden war. Es ist vollkommen klar, was England<lb/> durch sein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland gewonnen hat, und ebenso was für<lb/> Nutzen es von dem Bündnis mit Japan hat. Aber woliegtderGewinnEnglands, wenn<lb/> Rußland, von der Sorge um Ostasien befreit, in Europa und im nahen Orient in die<lb/> Stellung und deu Einfluß zurückkehrt, die England früher so lauge Zeit hindurch<lb/> zu einem zähen Gegner Rußlands gemacht haben? Und was hat England davon,<lb/> wenn der ostasiatische Verbündete, Japan, den man seinerzeit doch nur um des<lb/> Gegensatzes zu Rußland willen zum Freunde gewählt hat, als aufstrebende Gro߬<lb/> macht im Stillen Ozean gar kein Gegengewicht mehr zu fürchten hat? Deshalb<lb/> glauben wir nicht daran, daß England die Triebfeder der russisch-japanischen<lb/> Verhandlungen gewesen ist, wie es von einer Seite behauptet wird. Sicherlich<lb/> hat England das Ergebnis der Verhandlungen vorausgesehen und erkannt, daß<lb/> es sie nicht hindern konnte. Es hat dann sein freundschaftliches Verhältnis zu<lb/> beiden Teilen benutzt, um dem Unvermeidlichen die beste Seite abzugewinnen und<lb/> seinen Vorteil nach Möglichkeit zu wahren, aber reine Freude hat es schwerlich<lb/> dabei empfunden. Und auch Frankreichs Hoffnung, daß Rußland nun wieder in<lb/> Europa und im Orient aktiv werden möge, sieht bei näherer Prüfung nicht ganz<lb/> echt aus. Deun wenn Rußland diese Hoffnungen erfüllte, würde seine Politik<lb/> wahrscheinlich durchaus nicht im Einklang mit den Wünschen des französischen<lb/> Kapitals stehen. Gerade im Orient decken sich die Interessen der beiden Nationen<lb/> durchaus nicht, und von der Interessengemeinschaft des erträumten Vierbundes<lb/> bleibt, bei Licht besehen, ganz verzweifelt wenig übrig.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0161]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
dem, was sie zufällig zusammenführt. Man begegnet immer noch der alten
irrtümlichen Auffassung von der Einkreisungspolitik König Eduards des Siebenten,
jener Auffassung, die wir hier stets als unrichtig bekämpft haben. Diese Ein¬
kreisungspolitik war für die englische Staatsleitung niemals Selbstzweck, sondern
der Vorspann, mit dessen Hilfe man eine Reihe von ganz bestimmt zu formu¬
lierenden, rein britischen Interessen unter Dach und Fach zu bringen suchte.
Darüber hinaus ist sie auch tatsächlich niemals wirksam gewesen, und wenn die
englische Politik wirklich ganz ernsthaft die Bekämpfung Deutscklcmds durch eine
Vereinigung aller außerdeutschen Interessen in Europa zum Grundgedanken ihrer
Tätigkeit hätte machen wollen, so wäre sie damit noch viel ärger gescheitert, als
sie in der Tat scheiterte, sobald sie den Versuch machte, die Festigkeit ihrer „Erdeulen"
an der Orientpolitik zu erproben.
Prüfen wir also unbefangen, was es mit dem erwähnten Vierbund auf sich
hat. England hat mit Japan unter ganz bestimmten Leitgedanken, die mit der
britischen Weltstellung zusammenhängen, ein Bündnis geschlossen. Es ist ebenso
mit Frankreich — wiederum auf bestimmten Grundlagen ganz andrer Art — in
ein enges Freundschaftsverhältnis mit bestimmten Verträgen getreten. Es hat sich
endlich mit Rußland über asiatische Fragen verständigt, aber erst nachdem Rußland
durch Japan nicht ohne englische Mitwirkung so weit gelähmt und zurückgedrängt
wordeu war, daß das alte Verhältnis zwischen den beiden asiatischen Rivalen
Rußland und England nicht mehr bestand. Wenn nun Rußland und Japan zu
einer Verständigung gelangt sind, so erscheint der Ring dieser vier Mächte voll¬
ständig geschlossen, und gewiß wird jede einzelne dieser Mächte die Freundschaften
ihrer Freunde benutzen, um bei guter Gelegenheit Vorteile herauszuschlagen. Aber
besteht zwischen diesen Mächten wirklich ein gemeinsames Interesse, das alle vier
an diesen Ring bindet? Es wäre interessant, wenn jemand so etwas heraus¬
zufinden vermöchte. England hat sein jetziges, ihm allerdings höchst bequemes
Verhältnis zu Rußland erst gewonnen, als diese Macht durch den Gegensatz zu
Japan genügend zurückgedrängt worden war. Es ist vollkommen klar, was England
durch sein freundschaftliches Verhältnis zu Rußland gewonnen hat, und ebenso was für
Nutzen es von dem Bündnis mit Japan hat. Aber woliegtderGewinnEnglands, wenn
Rußland, von der Sorge um Ostasien befreit, in Europa und im nahen Orient in die
Stellung und deu Einfluß zurückkehrt, die England früher so lauge Zeit hindurch
zu einem zähen Gegner Rußlands gemacht haben? Und was hat England davon,
wenn der ostasiatische Verbündete, Japan, den man seinerzeit doch nur um des
Gegensatzes zu Rußland willen zum Freunde gewählt hat, als aufstrebende Gro߬
macht im Stillen Ozean gar kein Gegengewicht mehr zu fürchten hat? Deshalb
glauben wir nicht daran, daß England die Triebfeder der russisch-japanischen
Verhandlungen gewesen ist, wie es von einer Seite behauptet wird. Sicherlich
hat England das Ergebnis der Verhandlungen vorausgesehen und erkannt, daß
es sie nicht hindern konnte. Es hat dann sein freundschaftliches Verhältnis zu
beiden Teilen benutzt, um dem Unvermeidlichen die beste Seite abzugewinnen und
seinen Vorteil nach Möglichkeit zu wahren, aber reine Freude hat es schwerlich
dabei empfunden. Und auch Frankreichs Hoffnung, daß Rußland nun wieder in
Europa und im Orient aktiv werden möge, sieht bei näherer Prüfung nicht ganz
echt aus. Deun wenn Rußland diese Hoffnungen erfüllte, würde seine Politik
wahrscheinlich durchaus nicht im Einklang mit den Wünschen des französischen
Kapitals stehen. Gerade im Orient decken sich die Interessen der beiden Nationen
durchaus nicht, und von der Interessengemeinschaft des erträumten Vierbundes
bleibt, bei Licht besehen, ganz verzweifelt wenig übrig.
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