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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans Memling

zweifeln können, daß sie nicht von ihm herrühren, bei andern dagegen ist die
Wahrscheinlichkeit, daß Memling sie gemalt habe, sehr groß." Die beiden
Schmalseiten schreibt Voll dem Memling zu. Über die Autorschaft der sechs
Hauptbilder ein Urteil abzugeben, kann er sich nicht entschließen. Von dem
dritten Bilde, der Ankunft in Rom, das wir auch für das schönste halten, sagt
er: "Es ist unmöglich zu schildern, mit welcher Kunst Memling ganz verschiedene
psychologische Motive durcheinander zu weben und zu einem einheitlichen Ganzen
von entzückender Holdseligkeit zu verbinden gewußt hat. Hier kommt nun auch
die Schönheit des Königskindes, sein adliges Wesen und der Prunk der Gewandung
zur vollen Geltung. Mit rührender, ahnungsloser Demut und doch königlicher
Freiheit kniet die Jungfrau vor dem Papst und hebt die Hände zum Gebet.
Als ein rechter Vater der Christenheit steht der alte, ungemein würdige Mann
vor ihr, mehr imposant durch seine Persönlichkeit als durch den kostbaren Ornat.
Freundlich stützt er die emporgehobenen Hände der Prinzessin mit der Linken.
Mit der Rechten erteilt er den Segen in einer fast beunruhigend feierlichen
Weise; denn er scheint das zu wissen, was Ursula noch nicht einmal ahnt: daß
dieses blühende Leben bald vernichtet sein wird."

"Angesichts solcher Feinheit der Erzählung," sagt Voll aus Anlaß des
letzten Bildes, dem Martertode der Ursula, "darf man dann auch darauf ver¬
zichten, viele Fragen nach der Eigenhändigkeit der Ausführung durch Memling
zu tun, die heute ja auch kaum mehr festzustellen ist." Eine Begründung gibt
er seinen Zweifeln nicht. Auf uns hat der Schrein immer den Eindruck der
größten Einheitlichkeit gemacht. Wir erfahren von der Bestellung bei Memling
im Jahre 1480, entweder durch die Johaunesbrüderschaft oder durch die Namen
Jocosa van Dudzeole und Anna van der Moorteele. Am 21. Oktober 1489 --
das Datum ist erhalten -- wurde der Schrein in Anwesenheit dreier genannter
Personen, worunter zwei Bischöfe, dem Gebrauch übergeben. Es muß also eine
Reihe von Jahren gedauert haben, ehe die vielen Bilder fertig wurden. Das
spricht zugunsten einer Herstellung durch denselben Künstler. Vor allem: wer
hätte denn in den Jahren eine Kunst verstanden, um die etwas weniger
geglückten Bilder zu schaffen? Ein Mann, dessen Namen wir nicht kennen?
Denn die bekannten Zeitgenossen der Malerzunft sind doch wohl zu derbe, zu
mittelalterlich ungeschlacht, als daß man ihnen solche Werke zutrauen könnte.
Rogier van der Weyden war schon seit 1466 tot. Kann denn nicht auch ein
Maler mehr oder weniger vollendet schaffen? Sind doch von allen Künstlern
solche Abweichungen bekannt. Die Gleichartigkeit des Stils, sowie die allerdings
äußerliche Gleichartigkeit der Maße und der Disposition des Raumes für die
Figuren spricht sehr zugunsten Memlings. Über Finessen in der Ausführung
maßen wir uns kein Urteil an.

Zwei große Bilder Memlings in der Art des Rogier van der Weyden
befinden sich in den Pinakotheken zu München und zu Turin: die sieben Freuden
der Maria und die Grablegung Christi. Wie der Brüsseler Maler so gern


Hans Memling

zweifeln können, daß sie nicht von ihm herrühren, bei andern dagegen ist die
Wahrscheinlichkeit, daß Memling sie gemalt habe, sehr groß." Die beiden
Schmalseiten schreibt Voll dem Memling zu. Über die Autorschaft der sechs
Hauptbilder ein Urteil abzugeben, kann er sich nicht entschließen. Von dem
dritten Bilde, der Ankunft in Rom, das wir auch für das schönste halten, sagt
er: „Es ist unmöglich zu schildern, mit welcher Kunst Memling ganz verschiedene
psychologische Motive durcheinander zu weben und zu einem einheitlichen Ganzen
von entzückender Holdseligkeit zu verbinden gewußt hat. Hier kommt nun auch
die Schönheit des Königskindes, sein adliges Wesen und der Prunk der Gewandung
zur vollen Geltung. Mit rührender, ahnungsloser Demut und doch königlicher
Freiheit kniet die Jungfrau vor dem Papst und hebt die Hände zum Gebet.
Als ein rechter Vater der Christenheit steht der alte, ungemein würdige Mann
vor ihr, mehr imposant durch seine Persönlichkeit als durch den kostbaren Ornat.
Freundlich stützt er die emporgehobenen Hände der Prinzessin mit der Linken.
Mit der Rechten erteilt er den Segen in einer fast beunruhigend feierlichen
Weise; denn er scheint das zu wissen, was Ursula noch nicht einmal ahnt: daß
dieses blühende Leben bald vernichtet sein wird."

„Angesichts solcher Feinheit der Erzählung," sagt Voll aus Anlaß des
letzten Bildes, dem Martertode der Ursula, „darf man dann auch darauf ver¬
zichten, viele Fragen nach der Eigenhändigkeit der Ausführung durch Memling
zu tun, die heute ja auch kaum mehr festzustellen ist." Eine Begründung gibt
er seinen Zweifeln nicht. Auf uns hat der Schrein immer den Eindruck der
größten Einheitlichkeit gemacht. Wir erfahren von der Bestellung bei Memling
im Jahre 1480, entweder durch die Johaunesbrüderschaft oder durch die Namen
Jocosa van Dudzeole und Anna van der Moorteele. Am 21. Oktober 1489 —
das Datum ist erhalten — wurde der Schrein in Anwesenheit dreier genannter
Personen, worunter zwei Bischöfe, dem Gebrauch übergeben. Es muß also eine
Reihe von Jahren gedauert haben, ehe die vielen Bilder fertig wurden. Das
spricht zugunsten einer Herstellung durch denselben Künstler. Vor allem: wer
hätte denn in den Jahren eine Kunst verstanden, um die etwas weniger
geglückten Bilder zu schaffen? Ein Mann, dessen Namen wir nicht kennen?
Denn die bekannten Zeitgenossen der Malerzunft sind doch wohl zu derbe, zu
mittelalterlich ungeschlacht, als daß man ihnen solche Werke zutrauen könnte.
Rogier van der Weyden war schon seit 1466 tot. Kann denn nicht auch ein
Maler mehr oder weniger vollendet schaffen? Sind doch von allen Künstlern
solche Abweichungen bekannt. Die Gleichartigkeit des Stils, sowie die allerdings
äußerliche Gleichartigkeit der Maße und der Disposition des Raumes für die
Figuren spricht sehr zugunsten Memlings. Über Finessen in der Ausführung
maßen wir uns kein Urteil an.

Zwei große Bilder Memlings in der Art des Rogier van der Weyden
befinden sich in den Pinakotheken zu München und zu Turin: die sieben Freuden
der Maria und die Grablegung Christi. Wie der Brüsseler Maler so gern


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[0144] Hans Memling zweifeln können, daß sie nicht von ihm herrühren, bei andern dagegen ist die Wahrscheinlichkeit, daß Memling sie gemalt habe, sehr groß." Die beiden Schmalseiten schreibt Voll dem Memling zu. Über die Autorschaft der sechs Hauptbilder ein Urteil abzugeben, kann er sich nicht entschließen. Von dem dritten Bilde, der Ankunft in Rom, das wir auch für das schönste halten, sagt er: „Es ist unmöglich zu schildern, mit welcher Kunst Memling ganz verschiedene psychologische Motive durcheinander zu weben und zu einem einheitlichen Ganzen von entzückender Holdseligkeit zu verbinden gewußt hat. Hier kommt nun auch die Schönheit des Königskindes, sein adliges Wesen und der Prunk der Gewandung zur vollen Geltung. Mit rührender, ahnungsloser Demut und doch königlicher Freiheit kniet die Jungfrau vor dem Papst und hebt die Hände zum Gebet. Als ein rechter Vater der Christenheit steht der alte, ungemein würdige Mann vor ihr, mehr imposant durch seine Persönlichkeit als durch den kostbaren Ornat. Freundlich stützt er die emporgehobenen Hände der Prinzessin mit der Linken. Mit der Rechten erteilt er den Segen in einer fast beunruhigend feierlichen Weise; denn er scheint das zu wissen, was Ursula noch nicht einmal ahnt: daß dieses blühende Leben bald vernichtet sein wird." „Angesichts solcher Feinheit der Erzählung," sagt Voll aus Anlaß des letzten Bildes, dem Martertode der Ursula, „darf man dann auch darauf ver¬ zichten, viele Fragen nach der Eigenhändigkeit der Ausführung durch Memling zu tun, die heute ja auch kaum mehr festzustellen ist." Eine Begründung gibt er seinen Zweifeln nicht. Auf uns hat der Schrein immer den Eindruck der größten Einheitlichkeit gemacht. Wir erfahren von der Bestellung bei Memling im Jahre 1480, entweder durch die Johaunesbrüderschaft oder durch die Namen Jocosa van Dudzeole und Anna van der Moorteele. Am 21. Oktober 1489 — das Datum ist erhalten — wurde der Schrein in Anwesenheit dreier genannter Personen, worunter zwei Bischöfe, dem Gebrauch übergeben. Es muß also eine Reihe von Jahren gedauert haben, ehe die vielen Bilder fertig wurden. Das spricht zugunsten einer Herstellung durch denselben Künstler. Vor allem: wer hätte denn in den Jahren eine Kunst verstanden, um die etwas weniger geglückten Bilder zu schaffen? Ein Mann, dessen Namen wir nicht kennen? Denn die bekannten Zeitgenossen der Malerzunft sind doch wohl zu derbe, zu mittelalterlich ungeschlacht, als daß man ihnen solche Werke zutrauen könnte. Rogier van der Weyden war schon seit 1466 tot. Kann denn nicht auch ein Maler mehr oder weniger vollendet schaffen? Sind doch von allen Künstlern solche Abweichungen bekannt. Die Gleichartigkeit des Stils, sowie die allerdings äußerliche Gleichartigkeit der Maße und der Disposition des Raumes für die Figuren spricht sehr zugunsten Memlings. Über Finessen in der Ausführung maßen wir uns kein Urteil an. Zwei große Bilder Memlings in der Art des Rogier van der Weyden befinden sich in den Pinakotheken zu München und zu Turin: die sieben Freuden der Maria und die Grablegung Christi. Wie der Brüsseler Maler so gern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/144>, abgerufen am 23.07.2024.