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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans ZNeinling

daß der Künstler im Jahre 1494 zu Brügge gestorben ist, und zwar vermutlich
nicht in hohem Alter, da er bei seinem Tode noch unmündige Kinder hatte.
Seine Geburt ist daher zwischen die Jahre 1440 und 1450 zu setzen. Ander¬
wärts ist sein Aufenthalt nirgends nachgewiesen. Eine Nachricht, daß Memling
schon 1450 das Bildnis der Herzogin Jsabella von Burgund gemalt habe,
schwebt vollständig in der Luft. Die erste sichere Kunde ist die, daß er das
berühmte Danziger Auferstehungsbild spätestens 1473 vollendet haben kann und
daß er damals schon ein angesehener Maler gewesen sein muß.

Im Kriege zwischen der Hansa und England kreuzte Kapitän Peter Beneke
mit einer ursprünglich französischen Kriegs-Karavelle im Kanal und fing am
10. April 1473 -- dem heutigen Völkerrecht sehr zuwider -- eine von Sluis, dem
Hafen Brügges, abgegangene, nach Livorno bestimmte Galeere ab. Unter ihrer
reichen Ladung befand sich auch ein dreiflügeliges Altarbild von Memling, das
als Eigentum des mediceischen Agenten Portinari eingeschrieben, aber von einem
Florentiner Mäzen, Jacopo Taili, bestellt war. Der Künstler muß also schon
einen großen Ruf gehabt haben, wenn er einen Auftrag aus Florenz erhalten
konnte. Die Ladung wurde uach Stade gebracht und dort verwertet. Die
kostbaren Pelze, Tuchwaren, Gewürze, Stickereien usw. sollen einen Gesamterlös
von 1400000 Mark nach heutigem Gelde erbracht haben. Drei Danziger
Reeber, die das "Jüngste Gericht" erworben hatten, oder auf deren Anteil es
gefallen war, brachten es nach Danzig und stifteten es für die dortige Kapelle
der Georgenbruderschaft. Die Mediceer, unterstützt von Papst Sixtus dem Vierten,
verlangten nachhaltig und leidenschaftlich das Bild zurück, doch blieb es fern
an der Weichsel. Napoleon der Erste ließ es nach Paris bringen; es kam uach
Deutschland zurück, und nachdem die Danziger noch Gefahr gelaufen hatten, es
an Berlin zu verlieren, wurde es wieder ihr Eigentum. Weit schlimmer als
diese Schicksale haben ihm Restauratoren mitgespielt. Im Jahre 1718, zu einer
Zeit, wo man von Bilder-Restaurierungen noch gar nichts verstand, fiel es in die
Hände eines Danziger Malers namens Krau, 1815 und 1851 wurde es Berliner
Professoren überantwortet, mit deren Taten man heute sehr unzufrieden ist.
Jedenfalls hat es sehr gelitten. Hervorragende Stellen sind zum Teil ganz
abgerieben und durch Übermalung "hergestellt". In seiner Gesamtheit, sowohl
was Auffassung, was Komposition und Gruppenbildung und namentlich die
Zeichnung nackter Körper anbelangt, trägt es noch stark den Stempel des
Mittelalters.

Noch älter, wahrscheinlich von 1469, ist ein Triptychon (Madonna mit
Heiligen und Stiftern) im Besitz des Herzogs von Devonshire. Es ist aber
keineswegs sicher, daß es von Memling herstammt. Von ihn: ist das sog. Porträt
Memlings genommen, eines bartlosen jungen Mannes in Tuchmütze. Kein
Fingerzeig deutet jedoch darauf hin, daß sich der Maler hier selbst wiedergegeben
habe, und da die Urheberschaft Memlings nicht feststeht, so kann man eben gar
nichts aus dem -- übrigens sehr gut gemalten Kopfe -- schließen.


Hans ZNeinling

daß der Künstler im Jahre 1494 zu Brügge gestorben ist, und zwar vermutlich
nicht in hohem Alter, da er bei seinem Tode noch unmündige Kinder hatte.
Seine Geburt ist daher zwischen die Jahre 1440 und 1450 zu setzen. Ander¬
wärts ist sein Aufenthalt nirgends nachgewiesen. Eine Nachricht, daß Memling
schon 1450 das Bildnis der Herzogin Jsabella von Burgund gemalt habe,
schwebt vollständig in der Luft. Die erste sichere Kunde ist die, daß er das
berühmte Danziger Auferstehungsbild spätestens 1473 vollendet haben kann und
daß er damals schon ein angesehener Maler gewesen sein muß.

Im Kriege zwischen der Hansa und England kreuzte Kapitän Peter Beneke
mit einer ursprünglich französischen Kriegs-Karavelle im Kanal und fing am
10. April 1473 — dem heutigen Völkerrecht sehr zuwider — eine von Sluis, dem
Hafen Brügges, abgegangene, nach Livorno bestimmte Galeere ab. Unter ihrer
reichen Ladung befand sich auch ein dreiflügeliges Altarbild von Memling, das
als Eigentum des mediceischen Agenten Portinari eingeschrieben, aber von einem
Florentiner Mäzen, Jacopo Taili, bestellt war. Der Künstler muß also schon
einen großen Ruf gehabt haben, wenn er einen Auftrag aus Florenz erhalten
konnte. Die Ladung wurde uach Stade gebracht und dort verwertet. Die
kostbaren Pelze, Tuchwaren, Gewürze, Stickereien usw. sollen einen Gesamterlös
von 1400000 Mark nach heutigem Gelde erbracht haben. Drei Danziger
Reeber, die das „Jüngste Gericht" erworben hatten, oder auf deren Anteil es
gefallen war, brachten es nach Danzig und stifteten es für die dortige Kapelle
der Georgenbruderschaft. Die Mediceer, unterstützt von Papst Sixtus dem Vierten,
verlangten nachhaltig und leidenschaftlich das Bild zurück, doch blieb es fern
an der Weichsel. Napoleon der Erste ließ es nach Paris bringen; es kam uach
Deutschland zurück, und nachdem die Danziger noch Gefahr gelaufen hatten, es
an Berlin zu verlieren, wurde es wieder ihr Eigentum. Weit schlimmer als
diese Schicksale haben ihm Restauratoren mitgespielt. Im Jahre 1718, zu einer
Zeit, wo man von Bilder-Restaurierungen noch gar nichts verstand, fiel es in die
Hände eines Danziger Malers namens Krau, 1815 und 1851 wurde es Berliner
Professoren überantwortet, mit deren Taten man heute sehr unzufrieden ist.
Jedenfalls hat es sehr gelitten. Hervorragende Stellen sind zum Teil ganz
abgerieben und durch Übermalung „hergestellt". In seiner Gesamtheit, sowohl
was Auffassung, was Komposition und Gruppenbildung und namentlich die
Zeichnung nackter Körper anbelangt, trägt es noch stark den Stempel des
Mittelalters.

Noch älter, wahrscheinlich von 1469, ist ein Triptychon (Madonna mit
Heiligen und Stiftern) im Besitz des Herzogs von Devonshire. Es ist aber
keineswegs sicher, daß es von Memling herstammt. Von ihn: ist das sog. Porträt
Memlings genommen, eines bartlosen jungen Mannes in Tuchmütze. Kein
Fingerzeig deutet jedoch darauf hin, daß sich der Maler hier selbst wiedergegeben
habe, und da die Urheberschaft Memlings nicht feststeht, so kann man eben gar
nichts aus dem — übrigens sehr gut gemalten Kopfe — schließen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/140>, abgerufen am 23.07.2024.