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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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vom Leben am preußischen Hofe

Berlin und Frankfurt erscheinen mir unerheblich im Vergleich zu dieser Frage.
Ich glaube, es wird ihnen ergehen, wie vielen großen sprechenden Versammlungen,
sie werden von den Ereignissen über- und fortgeschwemmt werden. Auch die
klügsten Menschen lernen wenig von den Begebenheiten, wenn es sich darum
handelt, ihre geliebten Theorien aufrecht zu erhalten!"

Frappierend wirkt auch der am 6. Januar 1849 niedergeschriebene Erguß
über die große deutsche Frage, weil er den Nagel auf den Kopf trifft: "Was
soll geschehen, um die Sonne wirklich leuchten zu lassen, das einige Deutschland,
auf das man uns hinweist, und die doch nur als ein Nebelbild hinter Wolken
erscheint? Immer bleibt uns nur ein verbesserter Bund, der die verschiedensten
Interessen unvollkommener Menschen, die nun einmal keine Halbgötter find, in
sich schließt. Die Einheit darin könnte nur durch das Übergewicht einer einzelnen
Macht hergestellt werden, die imstande wäre, die übrigen zu zwingen, aber dies
streitet doch gegen die verherrlichte Freiheit! Die spitzfindige Superklugheit, die
jetzt die Welt regiert, muß sich wieder in Einfachheit, Gradheit, gesundes Ver¬
ständnis für das Naturgemäße wandeln, wenn das Leben der Menschen unter¬
einander wieder erträglich werden soll." Klingt das nicht, als sei Karoline
Rochow bei Bismarck in die Schule gegangen?

Indes, die Politik ist doch nicht das eigentliche Thema des Buches. Im
Vordergrunde stehen immer die Menschen, mit denen diese Brief- und Memoiren¬
schreiber in Berührung kamen, von deren äußerem und innerem Wesen sie sich
ein Bild machten, deren Schicksale sie mit Anteil verfolgten.

Marie Fouquö versteht es sehr gut, von diesen Schicksalen spannend und
mit vielen Einzelheiten zu erzählen, während Karoline Rochow durch ihre for¬
schende und klassifizierende Weise getrieben wird, sich das innerste Wesen der Menschen
zurecht zu legen, sie zu charakterisieren. Unter den auf diese doppelte Weise
geschilderten Persönlichkeiten ragen zunächst die Glieder des Königshauses hervor.
Als wichtigste Vertreterin der Romantik unter den fürstlichen Damen lernen wir
die Prinzessin Wilhelm (geborene Prinzessin Marianne von Hessen-Homburg 1785
bis 184") kennen. "Da sie wohl mehr einen romantischen Sinn als ein leiden¬
schaftliches Herz besaß, hatte sie sich ein eigenes inneres Leben gebildet, das sebst
in einer Art Spielerei in geschriebenen Büchern, sinnvollen Bilderchen. aufgehobenen
Andenken von Blättchen an bis zu Edelsteinen .., einen äußeren Ausdruck suchte.
Sie hatte sich daran gewöhnt, dies Leben von Gedanken und Gefühlen apart
ZU führen, unbeschadet der Pflichttreue, mit der sie ihre äußere Stellung zu
einem sehr ungleichen Gemahl, in einem Lande und einer Familie, die ihr nicht
gefielen, auszufüllen strebte. Und so stellte sie ähnliche Anforderungen an jedes
weibliche Gemüt, was zuweilen gefährliche Konsequenzen haben konnte, da doch
am Ende "Je8 aMire8 as coeur", groß oder klein, das Hauptmotiv zu dieser
inneren Romantik liefern mußte." Man versteht hiernach das Verhältnis, in
dein die Prinzessin zum Dichter de la Motte - Fouque stand. Dieser kam sich
ihr gegenüber durchaus als mittelalterlicher Ritter und Minnesänger vor und


Grenzvotm III 1910 16
vom Leben am preußischen Hofe

Berlin und Frankfurt erscheinen mir unerheblich im Vergleich zu dieser Frage.
Ich glaube, es wird ihnen ergehen, wie vielen großen sprechenden Versammlungen,
sie werden von den Ereignissen über- und fortgeschwemmt werden. Auch die
klügsten Menschen lernen wenig von den Begebenheiten, wenn es sich darum
handelt, ihre geliebten Theorien aufrecht zu erhalten!"

Frappierend wirkt auch der am 6. Januar 1849 niedergeschriebene Erguß
über die große deutsche Frage, weil er den Nagel auf den Kopf trifft: „Was
soll geschehen, um die Sonne wirklich leuchten zu lassen, das einige Deutschland,
auf das man uns hinweist, und die doch nur als ein Nebelbild hinter Wolken
erscheint? Immer bleibt uns nur ein verbesserter Bund, der die verschiedensten
Interessen unvollkommener Menschen, die nun einmal keine Halbgötter find, in
sich schließt. Die Einheit darin könnte nur durch das Übergewicht einer einzelnen
Macht hergestellt werden, die imstande wäre, die übrigen zu zwingen, aber dies
streitet doch gegen die verherrlichte Freiheit! Die spitzfindige Superklugheit, die
jetzt die Welt regiert, muß sich wieder in Einfachheit, Gradheit, gesundes Ver¬
ständnis für das Naturgemäße wandeln, wenn das Leben der Menschen unter¬
einander wieder erträglich werden soll." Klingt das nicht, als sei Karoline
Rochow bei Bismarck in die Schule gegangen?

Indes, die Politik ist doch nicht das eigentliche Thema des Buches. Im
Vordergrunde stehen immer die Menschen, mit denen diese Brief- und Memoiren¬
schreiber in Berührung kamen, von deren äußerem und innerem Wesen sie sich
ein Bild machten, deren Schicksale sie mit Anteil verfolgten.

Marie Fouquö versteht es sehr gut, von diesen Schicksalen spannend und
mit vielen Einzelheiten zu erzählen, während Karoline Rochow durch ihre for¬
schende und klassifizierende Weise getrieben wird, sich das innerste Wesen der Menschen
zurecht zu legen, sie zu charakterisieren. Unter den auf diese doppelte Weise
geschilderten Persönlichkeiten ragen zunächst die Glieder des Königshauses hervor.
Als wichtigste Vertreterin der Romantik unter den fürstlichen Damen lernen wir
die Prinzessin Wilhelm (geborene Prinzessin Marianne von Hessen-Homburg 1785
bis 184«) kennen. „Da sie wohl mehr einen romantischen Sinn als ein leiden¬
schaftliches Herz besaß, hatte sie sich ein eigenes inneres Leben gebildet, das sebst
in einer Art Spielerei in geschriebenen Büchern, sinnvollen Bilderchen. aufgehobenen
Andenken von Blättchen an bis zu Edelsteinen .., einen äußeren Ausdruck suchte.
Sie hatte sich daran gewöhnt, dies Leben von Gedanken und Gefühlen apart
ZU führen, unbeschadet der Pflichttreue, mit der sie ihre äußere Stellung zu
einem sehr ungleichen Gemahl, in einem Lande und einer Familie, die ihr nicht
gefielen, auszufüllen strebte. Und so stellte sie ähnliche Anforderungen an jedes
weibliche Gemüt, was zuweilen gefährliche Konsequenzen haben konnte, da doch
am Ende „Je8 aMire8 as coeur", groß oder klein, das Hauptmotiv zu dieser
inneren Romantik liefern mußte." Man versteht hiernach das Verhältnis, in
dein die Prinzessin zum Dichter de la Motte - Fouque stand. Dieser kam sich
ihr gegenüber durchaus als mittelalterlicher Ritter und Minnesänger vor und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/133>, abgerufen am 25.08.2024.