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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Wertzmvachssteuer

L. Ein altes Familiengut geht bei der Erbauseinandersetzung mit den
Geschwistern an einen der Brüder über. Der Übergang ist nach dem Gesetz
steuerfrei. Nach zehn Jahren verkauft der Sohn das Gut. Nunmehr wird
der Wertzuwachs für eine vierzig Jahre zurückliegende Zeit berechnet. Mit der
Wertzuwachssteuer sollte nach dem Gesetzentwurf aber nicht nur der Verkäufer
belastet werden, sondern auch die Geschwister, mit denen er sich vor zehn Jahren
auseinandergesetzt hat, sollten den Wertzuwachs für die dreißig Jahre, die vor der
Auseinandersetzung liegen, nach Maßgabe ihres Erbteils versteuern. Diese
Bestimmung des Entwurfs ist von der Kommission gestrichen. Nunmehr haftet
nur der Bruder, der den Besitz vielleicht mit schweren Opfern übernommen hat,
für die Steuer auf den Wertzuwachs, an dem die Geschwister durch die erhaltene
Anrechnung ihres Erbteils partizipiert haben. Es wird nicht verkannt werden
können, daß es sich in vorliegendem Falle um eine Erbschaftssteuer eines
einzelnen Familienmitgliedes handelt, welches das Verbrechen begeht, zu dem
es die Verhältnisse leicht zwingen können, das Erbgut des Vaters zu verkaufen.

Die angeführten Beispiele ließen sich leicht mit dem Nachweis vervielfältigen,
daß der Gesetzentwurf trotz mannigfacher Abschwächungen, die durch die Kommission
vorgenommen worden sind, eine Fülle der herbsten Ungerechtigkeiten enthält,
von denen besonders, wie es in der Natur der Sache liegt, das Land betroffen
wird. Man hat an der Hand des ausgezeichneten Kommissionsberichtes das
Ringen der Gewalten klar vor Augen, diesen Fehler zu beseitigen. Aber es
mußte und konnte nur vergeblich sein, weil sich der Wertzuwachs der Grund¬
stücke auf den: Lande und in den größeren Städten wenigstens auf ganz ver¬
schiedene Weise vollzieht. Im ersteren Falle erfolgt er, abgesehen von den
Jndustriegegenden im wesentlichen, bei kleineren Besitzungen fast ausschließlich,
"mit Zutun" der Besitzer, im anderen Falle "ohne ihr Zutun" durch
äußere Verhältnisse. Das werden stets zwei inkommensurable Größen bleiben.
Der Versuch des Ausgleichs führt nicht einmal zur Balancierung der
Gerechtigkeitswage, er führt nur sicher zu einer finanziellen Bankerotterklärung,
die ja auch zahlenmäßig belegt worden ist. Will man den Wertzuwachs in
den Städten richtig erfassen, so belastet man die Arbeit des platten Landes,
und will man letzteres schonen, so trifft man nicht den "mühelosem" Gewinn
in den Städten. Der geistige Inhalt des wohlberechtigten Gedankens muß
notwendigerweise an der Form zugrunde gehen, da eine Unmöglichkeit besteht,
eine Materie durch eine zentrale Gesetzgebung des Reiches zu regeln, die in
lokalen Zuständen der Gemeinden ihren mannigfach verschiedenen Ursprung hat.
Forscht man nach, wodurch trotzdem die Neichsregierung zu ihrem Entwurf
veranlaßt worden ist, so ergeben sich, abgesehen von dem finanziellen Bedürfnis,
zwei von der Wissenschaft hineingetragene Momente treibender Natur. Man
bezeichnet sie mit der Behauptung, daß der Grund und Boden im Hinblick von
Angebot und Nachfrage einen monopolistischen Charakter angenommen habe,
und daß ferner das Reich durch seine Einrichtungen zugleich mit den Gemeinden


Wertzmvachssteuer

L. Ein altes Familiengut geht bei der Erbauseinandersetzung mit den
Geschwistern an einen der Brüder über. Der Übergang ist nach dem Gesetz
steuerfrei. Nach zehn Jahren verkauft der Sohn das Gut. Nunmehr wird
der Wertzuwachs für eine vierzig Jahre zurückliegende Zeit berechnet. Mit der
Wertzuwachssteuer sollte nach dem Gesetzentwurf aber nicht nur der Verkäufer
belastet werden, sondern auch die Geschwister, mit denen er sich vor zehn Jahren
auseinandergesetzt hat, sollten den Wertzuwachs für die dreißig Jahre, die vor der
Auseinandersetzung liegen, nach Maßgabe ihres Erbteils versteuern. Diese
Bestimmung des Entwurfs ist von der Kommission gestrichen. Nunmehr haftet
nur der Bruder, der den Besitz vielleicht mit schweren Opfern übernommen hat,
für die Steuer auf den Wertzuwachs, an dem die Geschwister durch die erhaltene
Anrechnung ihres Erbteils partizipiert haben. Es wird nicht verkannt werden
können, daß es sich in vorliegendem Falle um eine Erbschaftssteuer eines
einzelnen Familienmitgliedes handelt, welches das Verbrechen begeht, zu dem
es die Verhältnisse leicht zwingen können, das Erbgut des Vaters zu verkaufen.

Die angeführten Beispiele ließen sich leicht mit dem Nachweis vervielfältigen,
daß der Gesetzentwurf trotz mannigfacher Abschwächungen, die durch die Kommission
vorgenommen worden sind, eine Fülle der herbsten Ungerechtigkeiten enthält,
von denen besonders, wie es in der Natur der Sache liegt, das Land betroffen
wird. Man hat an der Hand des ausgezeichneten Kommissionsberichtes das
Ringen der Gewalten klar vor Augen, diesen Fehler zu beseitigen. Aber es
mußte und konnte nur vergeblich sein, weil sich der Wertzuwachs der Grund¬
stücke auf den: Lande und in den größeren Städten wenigstens auf ganz ver¬
schiedene Weise vollzieht. Im ersteren Falle erfolgt er, abgesehen von den
Jndustriegegenden im wesentlichen, bei kleineren Besitzungen fast ausschließlich,
„mit Zutun" der Besitzer, im anderen Falle „ohne ihr Zutun" durch
äußere Verhältnisse. Das werden stets zwei inkommensurable Größen bleiben.
Der Versuch des Ausgleichs führt nicht einmal zur Balancierung der
Gerechtigkeitswage, er führt nur sicher zu einer finanziellen Bankerotterklärung,
die ja auch zahlenmäßig belegt worden ist. Will man den Wertzuwachs in
den Städten richtig erfassen, so belastet man die Arbeit des platten Landes,
und will man letzteres schonen, so trifft man nicht den „mühelosem" Gewinn
in den Städten. Der geistige Inhalt des wohlberechtigten Gedankens muß
notwendigerweise an der Form zugrunde gehen, da eine Unmöglichkeit besteht,
eine Materie durch eine zentrale Gesetzgebung des Reiches zu regeln, die in
lokalen Zuständen der Gemeinden ihren mannigfach verschiedenen Ursprung hat.
Forscht man nach, wodurch trotzdem die Neichsregierung zu ihrem Entwurf
veranlaßt worden ist, so ergeben sich, abgesehen von dem finanziellen Bedürfnis,
zwei von der Wissenschaft hineingetragene Momente treibender Natur. Man
bezeichnet sie mit der Behauptung, daß der Grund und Boden im Hinblick von
Angebot und Nachfrage einen monopolistischen Charakter angenommen habe,
und daß ferner das Reich durch seine Einrichtungen zugleich mit den Gemeinden


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/120>, abgerufen am 26.08.2024.