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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Austauschprofessor

den Versuch gemacht, ihn festzuhalten, dabei war ihn: die Laterne aus der Hand
gefallen und den Deich hinnntergetrudelt. So, nun war man ganz hilflos.
Sie hatte zwar nicht gebrannt, aber ihre Gegenwart war doch tröstlich gewesen.

Die beiden verschnauften eine Weile. Dann ging's weiter. Doktor Jerum
mußte seiue Freundin ziehen. Schauer auf Schauer peitschte der Regen mit
fürchterlicher Wut daher. Bisher war wenigstens der halb aus Sand, halb
aus Lehm bestehende Fußweg stellenweise einigermaßen passierbar gewesen. Das
hörte nach fünf Minuten ans. Der ganze Deich war eine einzige große "Pele"
-- so ist nämlich der landesübliche Ausdruck für "Pfütze". Bald watete man im
Wasser, bald im Schlamm. Es war fürchterlich.

Doktor Jerum fühlte, wie Miß Grantons Kräfte mehr und mehr erlahmten.

"Teure Lady," schrie er, "ich fürchte, wir müssen die Waffen strecken. Wir
kommen nicht durch."

"U--u--ufffl" stöhnte Miß Alice und blieb wieder mal stehen.

"Wir wollen zu Pastor Lehmann gehen und ihn um ein Nachtquartier
bitten," grotte Jerum.

Miß Granton antwortete nicht. Sie stand einige Augenblicke an Doktor
Jerum angelehnt. Ihr Busen wogte von der Erschöpfung auf und ab. Dann
sagte sie mit knirschenden Zähnen:

"So, nun kann ich wieder!"

Alle Wetter, dachte Jerum, die ist noch zäher als ihr Automantel.

Weiterer fünfminütlicher Kampf gegen Sturm, Regen, "Peiten", Schlamm. --
Stillstand.

Jetzt ging auch Alices Kopfbedeckung über den Deich. Sie war in Autmütze
gekommen, und die Brillengläser hatten ihr Gesicht wenigstens einigermaßen
geschützt. Die hatte sie ein wenig gelüftet, worauf der Sturm nur gelauert zu
haben schien. Denn er packte mit fürchterlicher Faust ihr Haar und hätte ihr
auch das vom Kopf gerissen, wenn es nicht so gut festgewachsen gewesen wäre.
Nun flatterte es wie eine lange Notflagge in die Nacht hinaus.

"A--vnd, Mr. Jerum, mein Köpf, mein Haar. Halten Sie---"

Miß Granton war ohnmächtig geworden.

Da stand nun Doktor Jerum, seine Walküre im Arm, in Schlamm, Nacht,
Sturm, Regen auf dem Altpoggensieler Deich und wußte nicht aus noch ein.

Da näherte sich ein plumpes viereckiges Etwas mit zwei feurigen Augen.
Ein Wagen. Alle Götter Persiens und Germaniens seien gepriesen!

"Ha--a--aille!" rief Doktor Jerum, in genau derselben Tonart wie heute
morgen Sergeant Bunte. Er hatte das Brüllen auch beim Kommiß gelernt.

Der Wagen stand. Ein Brennt. Mit drei illuminierten Bauern im Kasten
und einem halbwegs nüchternen Kutscher auf dein Bock.

Ob der Wagen sie mitnehmen wolle. -- Ja, wohin denn? -- Nach Kruslcck.
-- Nee, dahin führe er nicht. Aber nach'in .Spieler'. (Das war eine große
Gastwirtschaft zwei Stunden elbabwärts). Bis nach dein Kruslaker Damm aber


Der Austauschprofessor

den Versuch gemacht, ihn festzuhalten, dabei war ihn: die Laterne aus der Hand
gefallen und den Deich hinnntergetrudelt. So, nun war man ganz hilflos.
Sie hatte zwar nicht gebrannt, aber ihre Gegenwart war doch tröstlich gewesen.

Die beiden verschnauften eine Weile. Dann ging's weiter. Doktor Jerum
mußte seiue Freundin ziehen. Schauer auf Schauer peitschte der Regen mit
fürchterlicher Wut daher. Bisher war wenigstens der halb aus Sand, halb
aus Lehm bestehende Fußweg stellenweise einigermaßen passierbar gewesen. Das
hörte nach fünf Minuten ans. Der ganze Deich war eine einzige große „Pele"
— so ist nämlich der landesübliche Ausdruck für „Pfütze". Bald watete man im
Wasser, bald im Schlamm. Es war fürchterlich.

Doktor Jerum fühlte, wie Miß Grantons Kräfte mehr und mehr erlahmten.

„Teure Lady," schrie er, „ich fürchte, wir müssen die Waffen strecken. Wir
kommen nicht durch."

„U—u—ufffl" stöhnte Miß Alice und blieb wieder mal stehen.

„Wir wollen zu Pastor Lehmann gehen und ihn um ein Nachtquartier
bitten," grotte Jerum.

Miß Granton antwortete nicht. Sie stand einige Augenblicke an Doktor
Jerum angelehnt. Ihr Busen wogte von der Erschöpfung auf und ab. Dann
sagte sie mit knirschenden Zähnen:

„So, nun kann ich wieder!"

Alle Wetter, dachte Jerum, die ist noch zäher als ihr Automantel.

Weiterer fünfminütlicher Kampf gegen Sturm, Regen, „Peiten", Schlamm. —
Stillstand.

Jetzt ging auch Alices Kopfbedeckung über den Deich. Sie war in Autmütze
gekommen, und die Brillengläser hatten ihr Gesicht wenigstens einigermaßen
geschützt. Die hatte sie ein wenig gelüftet, worauf der Sturm nur gelauert zu
haben schien. Denn er packte mit fürchterlicher Faust ihr Haar und hätte ihr
auch das vom Kopf gerissen, wenn es nicht so gut festgewachsen gewesen wäre.
Nun flatterte es wie eine lange Notflagge in die Nacht hinaus.

„A—vnd, Mr. Jerum, mein Köpf, mein Haar. Halten Sie---"

Miß Granton war ohnmächtig geworden.

Da stand nun Doktor Jerum, seine Walküre im Arm, in Schlamm, Nacht,
Sturm, Regen auf dem Altpoggensieler Deich und wußte nicht aus noch ein.

Da näherte sich ein plumpes viereckiges Etwas mit zwei feurigen Augen.
Ein Wagen. Alle Götter Persiens und Germaniens seien gepriesen!

„Ha—a—aille!" rief Doktor Jerum, in genau derselben Tonart wie heute
morgen Sergeant Bunte. Er hatte das Brüllen auch beim Kommiß gelernt.

Der Wagen stand. Ein Brennt. Mit drei illuminierten Bauern im Kasten
und einem halbwegs nüchternen Kutscher auf dein Bock.

Ob der Wagen sie mitnehmen wolle. — Ja, wohin denn? — Nach Kruslcck.
— Nee, dahin führe er nicht. Aber nach'in .Spieler'. (Das war eine große
Gastwirtschaft zwei Stunden elbabwärts). Bis nach dein Kruslaker Damm aber


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[0626] Der Austauschprofessor den Versuch gemacht, ihn festzuhalten, dabei war ihn: die Laterne aus der Hand gefallen und den Deich hinnntergetrudelt. So, nun war man ganz hilflos. Sie hatte zwar nicht gebrannt, aber ihre Gegenwart war doch tröstlich gewesen. Die beiden verschnauften eine Weile. Dann ging's weiter. Doktor Jerum mußte seiue Freundin ziehen. Schauer auf Schauer peitschte der Regen mit fürchterlicher Wut daher. Bisher war wenigstens der halb aus Sand, halb aus Lehm bestehende Fußweg stellenweise einigermaßen passierbar gewesen. Das hörte nach fünf Minuten ans. Der ganze Deich war eine einzige große „Pele" — so ist nämlich der landesübliche Ausdruck für „Pfütze". Bald watete man im Wasser, bald im Schlamm. Es war fürchterlich. Doktor Jerum fühlte, wie Miß Grantons Kräfte mehr und mehr erlahmten. „Teure Lady," schrie er, „ich fürchte, wir müssen die Waffen strecken. Wir kommen nicht durch." „U—u—ufffl" stöhnte Miß Alice und blieb wieder mal stehen. „Wir wollen zu Pastor Lehmann gehen und ihn um ein Nachtquartier bitten," grotte Jerum. Miß Granton antwortete nicht. Sie stand einige Augenblicke an Doktor Jerum angelehnt. Ihr Busen wogte von der Erschöpfung auf und ab. Dann sagte sie mit knirschenden Zähnen: „So, nun kann ich wieder!" Alle Wetter, dachte Jerum, die ist noch zäher als ihr Automantel. Weiterer fünfminütlicher Kampf gegen Sturm, Regen, „Peiten", Schlamm. — Stillstand. Jetzt ging auch Alices Kopfbedeckung über den Deich. Sie war in Autmütze gekommen, und die Brillengläser hatten ihr Gesicht wenigstens einigermaßen geschützt. Die hatte sie ein wenig gelüftet, worauf der Sturm nur gelauert zu haben schien. Denn er packte mit fürchterlicher Faust ihr Haar und hätte ihr auch das vom Kopf gerissen, wenn es nicht so gut festgewachsen gewesen wäre. Nun flatterte es wie eine lange Notflagge in die Nacht hinaus. „A—vnd, Mr. Jerum, mein Köpf, mein Haar. Halten Sie---" Miß Granton war ohnmächtig geworden. Da stand nun Doktor Jerum, seine Walküre im Arm, in Schlamm, Nacht, Sturm, Regen auf dem Altpoggensieler Deich und wußte nicht aus noch ein. Da näherte sich ein plumpes viereckiges Etwas mit zwei feurigen Augen. Ein Wagen. Alle Götter Persiens und Germaniens seien gepriesen! „Ha—a—aille!" rief Doktor Jerum, in genau derselben Tonart wie heute morgen Sergeant Bunte. Er hatte das Brüllen auch beim Kommiß gelernt. Der Wagen stand. Ein Brennt. Mit drei illuminierten Bauern im Kasten und einem halbwegs nüchternen Kutscher auf dein Bock. Ob der Wagen sie mitnehmen wolle. — Ja, wohin denn? — Nach Kruslcck. — Nee, dahin führe er nicht. Aber nach'in .Spieler'. (Das war eine große Gastwirtschaft zwei Stunden elbabwärts). Bis nach dein Kruslaker Damm aber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/626>, abgerufen am 22.07.2024.