Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Lyrik des siebziger Krieges

das dort für sie sprechen durfte, das den Herwegh und Freiligrath reichlich die
Wage hielt, wenn nicht überlegen war, oder doch überlegen hätte werden
können -- Graf Strachwitz --, wurde schon als ein Fünfundzwanzigjähriger
im Dezember 1847 fortgerafft.

Stelle ich nun neben die achtundvierziger Dichter die damals noch schweig¬
samen, so muß ich bei einem beginnen, der mit Geibel fast genau gleichaltrig
ist. Friedrich Karl Gerok, der 1815 geborene Württemberger, wirkte in den
Revolutionsjahren als Diakonus in Bodungen und Stuttgart und ließ seine
erste Gedichtsammlung erst 1857 erscheinen. Seine Zeitgedichte auf den siebziger
Krieg nannte er "Deutsche Ostern". Näher als das gleiche Geburtsjahr rückt
Gerok seine Frömmigkeit neben Geibel. Aber den mächtigen Schwung dieses
Dichters erreicht er doch selten. Seinem religiösen Ausdruck haftet bisweilen
etwas Berufsmäßiges an, er gibt eher eine -- weder unschön noch gar würdelos --
gereimte Predigt als ein völliges religiöses Gedicht. So im "Aufgebot an
die Prediger":

Geroks Hauptbegabung als Kriegsdichter scheint mir auf beschreibendem
Gebiete zu liegen. Er ist ein einfacher Schilderer einzelner Vorgänge. Sein
balladenähnliches Gedicht "Die Rosse von Gravelotte", seine hübsche Anekdote
"Des deutschen Knaben Tischgebet" sind zu bekannt, als daß sie hier mit einigen
Strophen belegt zu werden brauchten. Bedeutender vielleicht hinsichtlich der
Darstellung des Tatsächlichen ist das Gedicht "Ein Schlachtfeld". Der Voll¬
mond zeigt die fürchterliche Vernichtung "kalt in grausem Glänze". Der eine
Tote lächelt wie im Schlaf.

Dort schlummert einer sanft, "sein Psälmbuch aufgeblättert" . . .


Die Lyrik des siebziger Krieges

das dort für sie sprechen durfte, das den Herwegh und Freiligrath reichlich die
Wage hielt, wenn nicht überlegen war, oder doch überlegen hätte werden
können — Graf Strachwitz —, wurde schon als ein Fünfundzwanzigjähriger
im Dezember 1847 fortgerafft.

Stelle ich nun neben die achtundvierziger Dichter die damals noch schweig¬
samen, so muß ich bei einem beginnen, der mit Geibel fast genau gleichaltrig
ist. Friedrich Karl Gerok, der 1815 geborene Württemberger, wirkte in den
Revolutionsjahren als Diakonus in Bodungen und Stuttgart und ließ seine
erste Gedichtsammlung erst 1857 erscheinen. Seine Zeitgedichte auf den siebziger
Krieg nannte er „Deutsche Ostern". Näher als das gleiche Geburtsjahr rückt
Gerok seine Frömmigkeit neben Geibel. Aber den mächtigen Schwung dieses
Dichters erreicht er doch selten. Seinem religiösen Ausdruck haftet bisweilen
etwas Berufsmäßiges an, er gibt eher eine — weder unschön noch gar würdelos —
gereimte Predigt als ein völliges religiöses Gedicht. So im „Aufgebot an
die Prediger":

Geroks Hauptbegabung als Kriegsdichter scheint mir auf beschreibendem
Gebiete zu liegen. Er ist ein einfacher Schilderer einzelner Vorgänge. Sein
balladenähnliches Gedicht „Die Rosse von Gravelotte", seine hübsche Anekdote
„Des deutschen Knaben Tischgebet" sind zu bekannt, als daß sie hier mit einigen
Strophen belegt zu werden brauchten. Bedeutender vielleicht hinsichtlich der
Darstellung des Tatsächlichen ist das Gedicht „Ein Schlachtfeld". Der Voll¬
mond zeigt die fürchterliche Vernichtung „kalt in grausem Glänze". Der eine
Tote lächelt wie im Schlaf.

Dort schlummert einer sanft, „sein Psälmbuch aufgeblättert" . . .


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316257"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Lyrik des siebziger Krieges</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_3201" prev="#ID_3200"> das dort für sie sprechen durfte, das den Herwegh und Freiligrath reichlich die<lb/>
Wage hielt, wenn nicht überlegen war, oder doch überlegen hätte werden<lb/>
können &#x2014; Graf Strachwitz &#x2014;, wurde schon als ein Fünfundzwanzigjähriger<lb/>
im Dezember 1847 fortgerafft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_3202"> Stelle ich nun neben die achtundvierziger Dichter die damals noch schweig¬<lb/>
samen, so muß ich bei einem beginnen, der mit Geibel fast genau gleichaltrig<lb/>
ist. Friedrich Karl Gerok, der 1815 geborene Württemberger, wirkte in den<lb/>
Revolutionsjahren als Diakonus in Bodungen und Stuttgart und ließ seine<lb/>
erste Gedichtsammlung erst 1857 erscheinen. Seine Zeitgedichte auf den siebziger<lb/>
Krieg nannte er &#x201E;Deutsche Ostern". Näher als das gleiche Geburtsjahr rückt<lb/>
Gerok seine Frömmigkeit neben Geibel. Aber den mächtigen Schwung dieses<lb/>
Dichters erreicht er doch selten. Seinem religiösen Ausdruck haftet bisweilen<lb/>
etwas Berufsmäßiges an, er gibt eher eine &#x2014; weder unschön noch gar würdelos &#x2014;<lb/>
gereimte Predigt als ein völliges religiöses Gedicht. So im &#x201E;Aufgebot an<lb/>
die Prediger":</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_60" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_3203"> Geroks Hauptbegabung als Kriegsdichter scheint mir auf beschreibendem<lb/>
Gebiete zu liegen. Er ist ein einfacher Schilderer einzelner Vorgänge. Sein<lb/>
balladenähnliches Gedicht &#x201E;Die Rosse von Gravelotte", seine hübsche Anekdote<lb/>
&#x201E;Des deutschen Knaben Tischgebet" sind zu bekannt, als daß sie hier mit einigen<lb/>
Strophen belegt zu werden brauchten. Bedeutender vielleicht hinsichtlich der<lb/>
Darstellung des Tatsächlichen ist das Gedicht &#x201E;Ein Schlachtfeld". Der Voll¬<lb/>
mond zeigt die fürchterliche Vernichtung &#x201E;kalt in grausem Glänze". Der eine<lb/>
Tote lächelt wie im Schlaf.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_61" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_3204" next="#ID_3205"> Dort schlummert einer sanft, &#x201E;sein Psälmbuch aufgeblättert" . . .</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_62" type="poem">
            <l/>
          </lg><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0618] Die Lyrik des siebziger Krieges das dort für sie sprechen durfte, das den Herwegh und Freiligrath reichlich die Wage hielt, wenn nicht überlegen war, oder doch überlegen hätte werden können — Graf Strachwitz —, wurde schon als ein Fünfundzwanzigjähriger im Dezember 1847 fortgerafft. Stelle ich nun neben die achtundvierziger Dichter die damals noch schweig¬ samen, so muß ich bei einem beginnen, der mit Geibel fast genau gleichaltrig ist. Friedrich Karl Gerok, der 1815 geborene Württemberger, wirkte in den Revolutionsjahren als Diakonus in Bodungen und Stuttgart und ließ seine erste Gedichtsammlung erst 1857 erscheinen. Seine Zeitgedichte auf den siebziger Krieg nannte er „Deutsche Ostern". Näher als das gleiche Geburtsjahr rückt Gerok seine Frömmigkeit neben Geibel. Aber den mächtigen Schwung dieses Dichters erreicht er doch selten. Seinem religiösen Ausdruck haftet bisweilen etwas Berufsmäßiges an, er gibt eher eine — weder unschön noch gar würdelos — gereimte Predigt als ein völliges religiöses Gedicht. So im „Aufgebot an die Prediger": Geroks Hauptbegabung als Kriegsdichter scheint mir auf beschreibendem Gebiete zu liegen. Er ist ein einfacher Schilderer einzelner Vorgänge. Sein balladenähnliches Gedicht „Die Rosse von Gravelotte", seine hübsche Anekdote „Des deutschen Knaben Tischgebet" sind zu bekannt, als daß sie hier mit einigen Strophen belegt zu werden brauchten. Bedeutender vielleicht hinsichtlich der Darstellung des Tatsächlichen ist das Gedicht „Ein Schlachtfeld". Der Voll¬ mond zeigt die fürchterliche Vernichtung „kalt in grausem Glänze". Der eine Tote lächelt wie im Schlaf. Dort schlummert einer sanft, „sein Psälmbuch aufgeblättert" . . .

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/618
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/618>, abgerufen am 22.07.2024.