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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Die Lyrik des siebziger Krieges

der preußischen Waffen" hätten ihn "nicht mit fortgerissen". "Ich bewundere
die Tapferkeit des Heeres, aber ich perhorresziere die selbstischen Zwecke der
Hohenzollern und ihrer Berater. Ich sehe Cäsarismus und Prätorianismus
voraus. Nach außen mögen beide der Stellung Preußens und Deutschlands
Respekt verschaffen, aber nach innen wird noch auf langehin an keine wahrhaft
freiheitliche Entwicklung zu denken sein. . . ." Sobald sich dieser ruhige Beobachter
davon überzeugt hat, daß die Zwecke der Hohenzollern nicht gar so selbstische
sind, muß der Revolutionsmann von 1848 auf ihrer Seite stehen. Die nächsten
Jahre bringen für ihn diese Fortentwicklung. Am 23. Juli 1870 schreibt er
aus Stuttgart: "Ich hoffe und erflehe Sieg für Deutschland ... daß ich mit
jeder Faser meines Herzens deutsch bin und mich in aller Sorge stolz und
gehoben fühle durch das einige, einheitliche Vorgehen Deutschlands, brauche ich
dir nicht zu sagen. Es ist eine schwere, aber auch eine große Zeit, und ich
hoffe zu Gott, daß Deutschland größer, stärker, herrlicher aus dem Kampfe
hervorgehen wird, als es je zuvor gewesen!" Aus solcher Stimmung heraus
erwachsen nun dem Sänger der Barrikaden seine unvergänglich schönen Kriegs¬
strophen. Daß er der Opfer gedenkt, ist bereits gezeigt worden. Auch sein
balladisches Meisterstück "Die Trompete von Gravelotte" mündet in eine Toten¬
klage, und schönste Menschlichkeit spricht aus den Versen "An Wolfgang im
Felde", die Geleitgabe für seinen als Samariter tätigen Sohn:

. . . Verdier' dir deine Sporen,
Im Dienst der Menschlichkeit!
Rundum der Kampf aufs Messer: --
Lern du zu dieser Frist,
Daß Wunden heilen besser
Als Wunden schlagen istl
Durch Sterbende und Tote
Geh deines Weges treu;
Halt hoch das Kreuz, das rote,
Ob Blut und Barbarei;
Las; Freund und Feind es scheinen
Auf deinem ernsten Gang --
Und fluche nur dem einen,
Der uns zum Schlachten zwang!

Aber wie jene Verse "An Deutschland" sogleich ins Heldische und Freudig-
Zuversichtliche übergehen, so ist auch für Freiligraths gesamte Kriegslyrik die
Freude an der gewaltigen Tat das Hervorstechendste. In der "Trompete von
Gravelotte" überwiegt die Freude am balladischen Heldengeschehen, in "Hurra,
Germania!" (dem dichterisch minder bedeutenden Stück) ist kaum etwas anderes
als Jubel zu verspüren, in "So wird es geschehn!" herrscht biblische Zuversicht,
biblischer Jubel über den sicheren Sturz des Gegners.


Die Lyrik des siebziger Krieges

der preußischen Waffen" hätten ihn „nicht mit fortgerissen". „Ich bewundere
die Tapferkeit des Heeres, aber ich perhorresziere die selbstischen Zwecke der
Hohenzollern und ihrer Berater. Ich sehe Cäsarismus und Prätorianismus
voraus. Nach außen mögen beide der Stellung Preußens und Deutschlands
Respekt verschaffen, aber nach innen wird noch auf langehin an keine wahrhaft
freiheitliche Entwicklung zu denken sein. . . ." Sobald sich dieser ruhige Beobachter
davon überzeugt hat, daß die Zwecke der Hohenzollern nicht gar so selbstische
sind, muß der Revolutionsmann von 1848 auf ihrer Seite stehen. Die nächsten
Jahre bringen für ihn diese Fortentwicklung. Am 23. Juli 1870 schreibt er
aus Stuttgart: „Ich hoffe und erflehe Sieg für Deutschland ... daß ich mit
jeder Faser meines Herzens deutsch bin und mich in aller Sorge stolz und
gehoben fühle durch das einige, einheitliche Vorgehen Deutschlands, brauche ich
dir nicht zu sagen. Es ist eine schwere, aber auch eine große Zeit, und ich
hoffe zu Gott, daß Deutschland größer, stärker, herrlicher aus dem Kampfe
hervorgehen wird, als es je zuvor gewesen!" Aus solcher Stimmung heraus
erwachsen nun dem Sänger der Barrikaden seine unvergänglich schönen Kriegs¬
strophen. Daß er der Opfer gedenkt, ist bereits gezeigt worden. Auch sein
balladisches Meisterstück „Die Trompete von Gravelotte" mündet in eine Toten¬
klage, und schönste Menschlichkeit spricht aus den Versen „An Wolfgang im
Felde", die Geleitgabe für seinen als Samariter tätigen Sohn:

. . . Verdier' dir deine Sporen,
Im Dienst der Menschlichkeit!
Rundum der Kampf aufs Messer: —
Lern du zu dieser Frist,
Daß Wunden heilen besser
Als Wunden schlagen istl
Durch Sterbende und Tote
Geh deines Weges treu;
Halt hoch das Kreuz, das rote,
Ob Blut und Barbarei;
Las; Freund und Feind es scheinen
Auf deinem ernsten Gang —
Und fluche nur dem einen,
Der uns zum Schlachten zwang!

Aber wie jene Verse „An Deutschland" sogleich ins Heldische und Freudig-
Zuversichtliche übergehen, so ist auch für Freiligraths gesamte Kriegslyrik die
Freude an der gewaltigen Tat das Hervorstechendste. In der „Trompete von
Gravelotte" überwiegt die Freude am balladischen Heldengeschehen, in „Hurra,
Germania!" (dem dichterisch minder bedeutenden Stück) ist kaum etwas anderes
als Jubel zu verspüren, in „So wird es geschehn!" herrscht biblische Zuversicht,
biblischer Jubel über den sicheren Sturz des Gegners.


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[0614] Die Lyrik des siebziger Krieges der preußischen Waffen" hätten ihn „nicht mit fortgerissen". „Ich bewundere die Tapferkeit des Heeres, aber ich perhorresziere die selbstischen Zwecke der Hohenzollern und ihrer Berater. Ich sehe Cäsarismus und Prätorianismus voraus. Nach außen mögen beide der Stellung Preußens und Deutschlands Respekt verschaffen, aber nach innen wird noch auf langehin an keine wahrhaft freiheitliche Entwicklung zu denken sein. . . ." Sobald sich dieser ruhige Beobachter davon überzeugt hat, daß die Zwecke der Hohenzollern nicht gar so selbstische sind, muß der Revolutionsmann von 1848 auf ihrer Seite stehen. Die nächsten Jahre bringen für ihn diese Fortentwicklung. Am 23. Juli 1870 schreibt er aus Stuttgart: „Ich hoffe und erflehe Sieg für Deutschland ... daß ich mit jeder Faser meines Herzens deutsch bin und mich in aller Sorge stolz und gehoben fühle durch das einige, einheitliche Vorgehen Deutschlands, brauche ich dir nicht zu sagen. Es ist eine schwere, aber auch eine große Zeit, und ich hoffe zu Gott, daß Deutschland größer, stärker, herrlicher aus dem Kampfe hervorgehen wird, als es je zuvor gewesen!" Aus solcher Stimmung heraus erwachsen nun dem Sänger der Barrikaden seine unvergänglich schönen Kriegs¬ strophen. Daß er der Opfer gedenkt, ist bereits gezeigt worden. Auch sein balladisches Meisterstück „Die Trompete von Gravelotte" mündet in eine Toten¬ klage, und schönste Menschlichkeit spricht aus den Versen „An Wolfgang im Felde", die Geleitgabe für seinen als Samariter tätigen Sohn: . . . Verdier' dir deine Sporen, Im Dienst der Menschlichkeit! Rundum der Kampf aufs Messer: — Lern du zu dieser Frist, Daß Wunden heilen besser Als Wunden schlagen istl Durch Sterbende und Tote Geh deines Weges treu; Halt hoch das Kreuz, das rote, Ob Blut und Barbarei; Las; Freund und Feind es scheinen Auf deinem ernsten Gang — Und fluche nur dem einen, Der uns zum Schlachten zwang! Aber wie jene Verse „An Deutschland" sogleich ins Heldische und Freudig- Zuversichtliche übergehen, so ist auch für Freiligraths gesamte Kriegslyrik die Freude an der gewaltigen Tat das Hervorstechendste. In der „Trompete von Gravelotte" überwiegt die Freude am balladischen Heldengeschehen, in „Hurra, Germania!" (dem dichterisch minder bedeutenden Stück) ist kaum etwas anderes als Jubel zu verspüren, in „So wird es geschehn!" herrscht biblische Zuversicht, biblischer Jubel über den sicheren Sturz des Gegners.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/614>, abgerufen am 22.07.2024.